Murakami Haruki: "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt"


Das Ende der Welt ist eine ruhiger Ort, an dem man zuviel Zeit hat und Einhörner mit goldenem Fließ grasen.

Das Ende der Welt ist eine Stadt, bewacht von einer unüberwindbaren Mauer und einem mächtigen Wächter. Man gibt seinen Schatten am Tor ab und verliert seine Seele, und weiß, dass man die Stadt nie wieder verlassen wird. Aber das macht nichts, denn in dieser Stadt gibt es alles und nichts.

Das Ende der Welt ist eine Geschichte in der Geschichte, mit ruhigem, dunklem Rhythmus. Ein klein wenig bizarr, sehr phantasievoll, ein bisschen grausam und vor allem beschaulich-friedlich - beinahe ein schöner Ort zum leben.
Ein Traum wie es scheint, in den der Held und Ich-Erzähler des Romans, seinen Namen erfährt man nicht, zeitweilig eintaucht. Oder ist vielleicht diese Welt die reale und die vermeintlich wirkliche nur Schein?

Wie der Held wird der Leser Seite für Seite ins Ungewisse geführt, bleiben die Zusammenhänge zunächst verborgen. Denn auch in der wirklichen Welt passieren seltsame Dinge: Eine riesige Höhle, die hinter einem Wandschrank auftaucht, gefährliche Kreaturen, die in ständiger Finsternis unter der Erde leben und ein genialer Wissenschafter, der mit dem Unterbewusstsein von Menschen experimentiert.

In der wirklichen Welt herrscht Datenkrieg und der Protagonist arbeitet als Kalkulator, d.h. er codiert und decodiert Daten. Während er seiner Arbeit nachgeht, gerät er aber plötzlich zwischen die feindlichen Fronten und wird von seinen Leuten ebenso gejagt wie von der Daten-Mafia.

Obwohl die Ereignisse sich überstürzen entsteht keine richtige Spannung. Der Ich-Erzähler wundert sich zwar ab und zu über seine bizarren Erlebnisse nimmt aber alles gelassen und selbstverständlich hin. Er meistert alle Situationen souverän, um danach bei einem Bier oder Glas Whisky darüber zu sinnieren.

Ein phantasievoller und ungewöhnlicher Roman, der einen, wann immer die Erzählung zum "Ende der Welt" wechselt, in eine beinahe meditative Stimmung versetzt. Die Beschreibung der wundersamen Begebenheiten und Landschaften zeugen von der großen Vorstellungskraft des Autors.

Die Sprache wirkt allerdings eher europäisch als japanisch. Auch die vielen Musik- und Filmzitate westlichen Ursprungs, die Beschreibung westlichen Essens und nicht zuletzt die Coolness, mit welcher der Held alle gefährlichen Situationen in John-Wayne-Manier meistert, lassen einen vergessen, dass die Handlung in Japan spielt.

Diese Anlehnung an den Westen nimmt dem Roman viel von seinem Reiz, wenngleich sie einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Eine latente Japan-Verweigerung ist im Roman unschwer zu erkennen. Eigentlich schade, dass der Blick in die typisch japanische Denkweise verwehrt bleibt. Helden amerikanischen Vorbilds gibt es ja bereits genug, sei es zwischen Buchdeckel gepresst oder im Breitband-Format auf der Leinwand.

Ohne die märchenhafte, mystische Erzählung vom Ende der Welt wäre das Buch ein solider, aber vernachlässigbarer Thriller. Durch diese zusätzliche Dimension gewinnt es an Tiefe, stimuliert die Vorstellungskraft des Lesers und zeugt von überzeugender Erzählkunst des Verfassers.

(wm; 03/2002)


Haruki Murakami: "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt"
Suhrkamp Taschenbuch, 2001. 542 Seiten.
ISBN 3-5183-9697-8.
ca. EUR 14,-.
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