Alan Moore und Dave Gibbons: "Watchmen"

Sie waren Kämpfer für Recht und Ordnung, wachten über die Moral und die Stärke Amerikas. Dann vergaß man die Wächter. Jetzt taucht plötzlich jemand auf, der einen nach dem anderen auszuschalten versucht. Wer wacht über die Wächter?
Mit "WATCHMEN" haben die beiden Engländer Alan Moore und Dave Gibbons einen aufsehenerregenden Comic-Roman geschaffen, der vor allem durch seine psychologische Tiefe und seinen schwarzen Realismus besticht. "WATCHMEN" wurde mehrfach mit dem amerikanischen "Kirby Award" und dem englischen "Eagle" ausgezeichnet.


Comics sind kleine Heftchen mit bunten Bildern, die vor allen Dingen kleine Kinder und Leseschwache konsumieren. Sie propagieren eine Welt in Schwarz und Weiß und entweder gewalttätige Konfliktlösungen, simples Vergnügen oder Sex. In einem berühmten Jerry Lewis-Film heißt es, man müsse Comics liegend lagern, weil sonst das Blut herauslaufe. Nun, Sex und Gewalt spielen auch in diesem Comic eine bestimmte Rolle, aber es ist sicherlich kein kleines Heftchen, und ich würde es frühestens Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 12 zur Lektüre empfehlen.

Dave Gibbons, der bereits durch seine Dystopie "Martha Washington" ein Amerika der Zukunft beschrieben hat, das schrecklicher ist, als das in "Dark Angel" beschriebene, und Alan Moore, der Autor mehrerer Comic-Serien ist, haben hier ein Paralleluniversum gezeichnet, das bei aller Fantastik eine erschreckende Realitätsnähe hat. In dieser Welt hat es Superhelden wie in den Comics einige Zeit lang wirklich gegeben, aber sie erwiesen sich vor dem Hintergrund der Realität bald als so lächerlich und ineffektiv, wie man es beim verständigen Lesen einiger Superhelden-Serien sehr schnell vermutet. Schließlich wurden sie durch einen Gesetzesakt verboten und nur ein faschister Psychopath namens Rorschach, ein Staatssöldner namens Comedian und eine wandelnde Atombombe namens Dr. Manhattan sind noch aktiv, die letzten beiden als Angestellte der US-Regierung. Die Existenz von Dr. Manhattan hat den Vietnam-Krieg im Sinne der Amerikaner entschieden, und die in ihm gebundene Macht hat auch zum Gewinn des Kalten Kriegs geführt, was die UdSSR in die Ecke gedrängt hat, die jetzt in verschiedenen Ecken der Welt Stellvertreterkonflikte anstachelt.

Eines Tages wird der Comedian aus dem Fenster seiner Penthouse-Wohnung geschleudert und stellt die Polizei vor ein Rätsel. Aber die wirklichen Ermittlungen werden von Rorschach durchgeführt, der die im Ruhestand befindlichen Heldinnen und Helden, aber auch ausgesuchte ehemalige Gegner, aufsucht um herauszufinden, wer den Comedian getötet haben könnte. Dabei fallen ihm einige seltsame Zusammenhänge auf, die das gesamte Weltgefüge verändern könnten. Als er sich an den Multimilliardär Adrian Veidt wendet, der zuvor mal als der Verbrechensbekämpfer Ozymandias bekannt war, geht er relativ unbefriedigt nach Hause. Wenig später wird Dr. Manhattan während eines Fernsehinterviews heftig attackiert und verlässt die Erde. Das geopolitische Gleichgewicht verrutscht schlagartig, und die UdSSR marschiert in Afghanistan und Pakistan ein.

In der amerikanischen Bevölkerung macht sich Weltuntergangsstimmung breit, und einige andere ehemalige Maskenträger tauchen wieder aus der Versenkung auf, um sich Rorschachs Ermittlungen anzuschließen. Die Geschichte wird zunehmend komplex. Bis schließlich eine Kraft des Guten etwas überaus Schreckliches tut um die Welt zu retten, womit sie eine entscheidende moralische Frage aufwirft: Darf man die gesamte Menschheit täuschen um sie zu retten, und wie viele Menschen darf man dafür opfern? Und haben "richtige" Helden das Recht, dies aufzudecken und damit die Opfer zu entwerten und die Menschheit erneut in Gefahr zu bringen?

Das Comic selbst wird häufiger durch ein Comic im Comic unterbrochen, das eine überaus grausame Geschichte erzählt. Außerdem tauchen auch ständig weitere Textpassagen auf, die gänzlich ohne Bilder auskommen, wie zum Beispiel Auszüge aus fiktiven Autobiografien, wissenschaftliche Aufsätze, Auszüge aus psychiatrischen Begutachtungen, Zeitungsausschnitte und vieles mehr. Dies zwingt Leserinnen und Leser zum ständigen Umdenken sowie Umorientieren und führt immer wieder auf Irrwege.

Als einfacher Roman müsste dieses Werk für eine vergleichbare Wirkung ungefähr 1200 Seiten haben, doch John Higgins' Bilder, der Text und die gesamte Struktur ermöglichen eine hervorragende Konzentration des erzählerischen und philosophischen Inhalts, so dass eine andere Form der Darstellung der Geschichte in Wirklichkeit einen Verlust darstellen würde.

Verschiedene Kritiker haben gesagt, dass "Watchmen" das Medium Comic erstmals wirklich in den Bereich der Prosa-Literatur bringe, was ich durchaus unterschreiben möchte. Spätere Erfolge auf diesem Gebiet, wie "Maus" und die Ralf König-Comic-Romane sind sicherlich hier schon angelegt.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 04/2003)


Alan Moore und Dave Gibbons: "Watchmen"
Carlsen, 2000.
ISBN 3-5517-4408-4.
ca. EUR. 32,-.
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