Robert Merle: "Paris ist eine Messe wert"


Ein weiterer Roman aus der elfbändigen Romanfolge "Fortune de France"

"Paris ist eine Messe wert"

Wer kennt nicht diesen Satz, der angeblich von Heinrich IV stammt, aus dem Geschichteunterricht, insofern man sich daran erinnern kann? Wie es um die Herkunft dieses Ausspruches steht, wird noch Thema dieser Rezension sein. Die Geschichte drum herum jedoch schildert Altmeister Robert Merle in hervorragender Weise in seinem zehnten Band der Romanreihe "Fortune de France", welche das wechselhafte Schicksal zwischen Hugenotten und Katholiken von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts in Frankreich anhand dreier Generationen der Familie Siorac schildert. Doch möge sich der Leser, und ebenso die schöne Leserin, nicht in die Irre leiten lassen. Dieser eben erschienene zehnte Band schließt eigentlich eine Lücke, die Robert Merle ließ, und ist in der chronologischen Reihenfolge eigentlich Band fünf. (Es sei an dieser Stelle auch verraten, dass chronologischer Band sechs als elfter Band in der Erscheinung folgt.)

Zur Geschichte. Der vorangehende Band endete damit, dass Heinrich III sich endlich seines Widersachers, des Guisen, des Hauptes der katholischen Liga, entledigen konnte - er ließ ihn erdolchen. Dieser politische Mord verschaffte dem in die Enge getriebenen König wieder etwas Luft und er gedachte, seine vielgeliebte Hauptstadt Paris zurück zu erobern. Die katholische Liga aber war immer noch mächtig, und König Heinrich nicht wirklich ein guter Feldherr. So verbündete er sich nun mit König Heinrich von Navarra, mit dem ihm nicht nur der Name, sondern auch ein gutes Stück Sympathie verband. Schließlich war dieser Navarra doch mit seiner Schwester Margot verheiratet, und da er selbst keine Kinder hatte - der König war schwul, galt er für ihn als Nachfolger seines französischen Thrones, den es jedoch zuerst zurück zu erobern galt.

Das Treffen der beiden Könige, Heinrichs III von Frankreich und Heinrichs von Navarra, kam zustande, und man verstand sich trotz der unterschiedlichen religiösen Bekenntnisse - Heinrich III war Katholik, der katholischen Liga jedoch zu lau, und der andere Heinrich war augenblicklich Hugenotte, hatte er doch in seinem Leben schon fünf Mal die Religion gewechselt. Gemeinsam machten sie sich also auf, Paris, die Perle des Abendlandes, zurück zu erobern. Die Zeichen schienen günstig und Paris schon zum Greifen nahe, als ein von der Liga gedungener Mönch in einem Gespräch König Heinrich III mit einem Dolch tödlich verwundete. Im Sterben betonte der dahinscheidende König wiederholt, Heinrich von Navarra solle sein Nachfolger werden. Zwar erkannten die Hugenotten und auch die königstreuen Adligen Navarra als König Heinrich IV an, aber Paris und halb Frankreich gehörten immer noch der katholischen Liga an.

Pierre de Siorac, der getreue Diener des verstorbenen Königs und von diesem als Belohnung für geheime Missionen zum Baron ernannt, stellte sich nun an die Seite des neuen Königs und focht für diesen die erste Schlacht seines Lebens, die er nur mit Glück überleben konnte. Obwohl er sich als tapferer Krieger zeigte, zog es Heinrich IV jedoch vor, ihn - wie sein Vorgänger - für geheime Missionen einzusetzen. Er solle unter der Maske eines Kaufmannes ins belagerte Paris reisen und dort heimlich seine Cousinen während der Belagerungszeit mit Lebensmitteln versorgen. Zuvor machte Pierre noch einen Abstecher auf sein Landgut, um seine Frau Angelina zu trösten, deren eineiige Zwillingsschwester Larissa vor kurzem verstorben war. Angekommen auf dem Landgut befiel ihn jedoch ein schauderlicher Verdacht, sahen sich die beiden Schwestern doch zum Verwechseln ähnlich und bemerkte er an seiner Frau Verhaltensweisen, die er zuvor nur von deren Schwester kannte ...

Auch wenn der Autor einen Band nach dem anderen schreibt und dem gemäß sich die Bände ähneln, so ist es doch interessant zu beobachten, wie unterschiedlich sie sind. Jedem Band ist eine andere Atmosphäre eigen, und immer wieder überrascht Merle mit seinem Stil. Auch wenn Pierre de Siorac immer der gleiche liebenswürdige und sinnenfreudige Mensch bleibt, gibt es trotzdem feine psychologische Veränderungen. Sein Wesen erfährt eine andere Ausformung im Umgang mit dem generösen Heinrich III, der von königlicher Erscheinung und erlesensten Umgangsformen ist, als im Umgang mit seinem Nachfolger, Heinrich IV, der den Charakter eines ruhelosen Kriegers hat, mit seinen kurzen Beinen ständig auf und ab gehen muss und leider viel zu oft nach Knoblauch stinkt. Aber auch der Umgang mit seinen Freunden und seiner Frau verändert sich zusehends. Zur gleichen Zeit wie seine Schwägerin Larissa stirbt sein langjähriger Wahlbruder und Waffengefährte Giacomi. Aber die Trauer, die eigentlich groß sein müsste, wirkt zu kurz, zu kühl, zu distanziert. Dies sieht einem Pierre de Siorac eigentlich nicht ähnlich. Und dann die Geschichte mit seiner Frau - oder ist es doch deren Schwester, die sich nur als seine Frau ausgibt? Diese Geschichte zieht sich durch das gesamte Buch und lässt der Leserschaft keine Ruhe. Ein wahrer Krimi könnte sich hier in diesem Werk entwickeln, aber Merle sind die Könige, die Adligen, ihre Berichte und Sichtweisen doch wichtiger. Und so führt er weiter durch das Geschehen dieser Zeit, vorbei an dem sechsten Religionswechsel Heinrichs IV und hin zu dessen Krönung in Chartres.

Dieser Band hält aber noch ein paar Eigentümlichkeiten bereit. Des Öfteren hat man das Gefühl, eine Erzählung reiße einfach ab, oder der Autor lasse einfach wichtige Sachen aus. Dinge fehlen, die eigentlich erzählt werden müssten. Noch mehr verwundern kleine Unstimmigkeiten. So soll ein Ketzer aus dem zweiten Band der Reihe durch einen Pfeil umgekommen sein, es war aber in Wirklichkeit eine Arkebusenkugel. Ein Fehler Merles oder der Übersetzerin? Apropos Übersetzerin: Der Titel dieses Bandes, "Paris ist eine Messe wert", scheint doch sehr unpassend gewählt zu sein. Natürlich kennen wir diesen Ausspruch aus dem Geschichteunterricht, wie ich eingangs schon erwähnte. Aber Merle schreibt selbst, dass Heinrich IV diesen Ausspruch nie im Leben getan hat. Und der französische Originaltitel lautet auch "La Violante Amour", was man mit "gewalttätiger" oder "heftiger Liebe" übersetzen kann. Abgesehen von diesen Kleinigkeiten ist der Band, den man sich nicht entgehen lassen sollte, aber ein Muss für jeden "Fortune de France"-Fan.

(Hans-Peter Oberdorfer)


Robert Merle: "Paris ist eine Messe wert"
Aus dem Französischen von Christel Gersch.
Aufbau Verlag. 458 Seiten.
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