Robert Merle: "Ein Kardinal vor La Rochelle"


Es handelt sich wieder um ein Buch, das mit Lust zu lesen ist

"Ein Kardinal vor La Rochelle" wurde von Robert Merle als der achte Band einer Reihe (inzwischen erschien ein neunter Band beim selben Verlag: "Noch immer schwelt die Glut") geschrieben, die sich mit der Konfrontation zwischen Katholiken und Protestanten von Mitte des sechzehnten bis Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in Frankreich beschäftigt. Pierre-Emmanuel de Siorac, Graf von Orbieu hat Monate des Hungers und Durstes hinter sich, da er von den mit den französischen Protestanten verbündeten Engländern auf der Insel Ré belagert wurde. Die Engländer mussten erfolglos abziehen, und eben erst befreit, schließt sich Pierre-Emmanuel Ludwig XIII, König von Frankreich bei dessen Belagerung von La Rochelle an und wird so vom Belagerten zu Belagerer.

Unter Heinrich IV, Vater von Ludwig XIII und selbst ursprünglich Protestant, kam es zum Edikt von Nantes, das den Hugenotten eine bedingte Religionsfreiheit zusicherte. Zentrum des neuen Glaubens war La Rochelle, eine reiche Handelsstadt an der Küste des Atlantiks. Selber viele Jahre Opfer einer harten Verfolgung, drehten die Rochellaiser den Spieß um, vertrieben alle Katholiken aus ihren Mauern und wollten einen protestantischen Staat im Staate gründen. Dies bewog den jungen König Ludwig gegen die Rochellaiser vorzurücken, und er beabsichtigt die Stadt durch Belagerung auszuhungern. Da die Rebellen über das offene Meer von den Engländern mit Nahrungsmittel versorgt werden, fasst Kanzler Richelieu den undurchführbar scheinenden Plan, einen Deich durch das Meer zu bauen, um auch diesen Weg den Rochellaisern zu versperren. Das Heer des Königs umfasst zu Beginn der Belagerung zehntausend Mann und wächst in der Folge auf dreißigtausend an. So ist das Land um La Rochelle voll von Soldaten und ein Quartier ist nur schwer zu finden.

Pierre-Emmanuel sucht etwas abseits des Lagers seine Bleibe und findet tatsächlich das Schloss der Marquise de Brézolles, welche - erst seit drei Tagen verwitwet - ihm ihre Gastfreundschaft anbietet. Aber jung und hübsch, wie die Marquise ist, und dem Witwenstand angehörig, zaudert sie nicht lange Pierre-Emmanuel mit ihren Netzen zu umgarnen. Und so berechnend sie ist, gelingt es ihr doch bald, den Edelmann in sich verliebt zu machen und in ihr Bett zu bringen. Doch wie enttäuscht ist Pierre-Emmanuel, als seine Herzensdame bald nach Nantes abreist und ihn alleine - fast alleine, denn er tröstet sich mit der Dienstmagd Perrette - in ihrem Schloss und bei der Belagerung zurücklässt.

Die Belagerung von La Rochelle geht indessen ins zweite Jahr, und während die Zahl der Soldaten im Lager Ludwigs zunimmt, nimmt die Zahl der Einwohner der Stadt durch den Mangel an Nahrung drastisch ab. Während im ersten Winter der Belagerung die Menschen in La Rochelle froren, da kein Feuerholz in die Stadt geschafft werden konnte, verhungerten viele im zweiten Winter oder starben an Krankheiten und Folgen der Auszehrung. Doch wie immer in der Geschichte hatten die Mächtigen noch genug zu essen und gaben nicht auf, während die Armen nur zu bald verhungerten. Schwierig manövriert sich hier Merle durch, denn auf der einen Seite schildert er das militärische und politische Geschick des Königs und seines engsten Vertrauten, des Kardinals Richelieu, und auf der anderen Seite zeigt er, wie wenig heroisch dieser Kampf ist, wenn eine Bevölkerung von Achtundzwanzigtausend im Verlauf der Belagerung auf wenige Tausend dezimiert wird. Und so verliert er über seine Schilderung der königlichen Politik nie das Schicksal eines Einzelnen - sei es ein Adliger oder ein Bauer - aus den Augen. Ebenso verbindet er die französische Geschichte mit der Liebe zum Detail und verblüfft durch seine Beschreibungen von Alltäglichkeiten, wenn er z. B. schildert, wie der Nebel in seiner wattigen Umhüllung jedes Geräusch erstickt.

Wenn Robert Merle in seinen Büchern von den Frauen spricht, so immer voll Liebe und Zuneigung. Er ist dann ganz Charmeur der französischen Schule, hebt die Frauen auf ein Podest und hat von Feminismus keine Ahnung. Aber deshalb bringt er auch wieder die Spannung und das Knistern in die Beziehung zwischen Mann und Frau. Und so ist es der französischen Frau erlaubt, ihre Macht auf den Mann über ihre Weiblichkeit auszuüben. Ein koketter Blick, ein Wiegen in den Hüften, Absätze und Röcke verführen den Mann nach wie vor und wieder stärker. Und die Franzosen, mehr Kavalier als die Mitteleuropäer, wissen doch genau, dass das wirklich starke Geschlecht nicht dasjenige ist, das sich dafür hält.

Es handelt sich wieder um ein Buch, das mit Lust zu lesen ist, und verraten sei noch, dass auf Pierre-Emmanuel am Ende zwei Überraschungen warten: die eine von der Marquise de Brézolles und die andere von König Ludwig XIII.

(Hans-Peter Oberdorfer)


Robert Merle: "Ein Kardinal vor La Rochelle"
Aus dem Französischen von Christel Gersch.
Aufbau Verlag. 358 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen