Eduardo Mendoza: "Mauricios Wahl"


Politische und persönliche Unentschlossenheiten - ein Zeitengemälde Kataloniens der 1980er Jahre

Die bisher erschienenen Romane des am 11. Jänner 1943 geborenen katalanischen Autors Eduardo Mendoza prägten stets ein Hang zu parodistischer Übertreibung sowie ein skurriler und karikaturesk überzogener Humor. Obwohl sein neuestes Werk "Mauricios Wahl" aus dieser stilistischen Kennzeichnung ausbricht, hat es sich trotzdem ein typisches Charakteristikum bewahrt: Mendozas schonungslosen "gesellschaftlichen Röntgenblick".

Eduardo Mendoza konfrontiert den Leser stets mit konträren Gesellschaftsschichten, unter dem Prisma eines prototypischen Helden, in einem subtilen ironischen Prozess, der nicht gleich auf den ersten Blick zu erkennen ist. Das Lesen seiner Romane bedingt einen ebensolchen "Röntgenblick", um nicht Gefahr zu laufen, im "Geplätscher der Handlung" unterzugehen oder mit der Frage konfrontiert zu werden: Was will uns der Autor eigentlich sagen? Stets offenbaren seine Bücher auf den ersten (oberflächlichen) Blick eine gewisse Handlungsleere, fast wie eine Geschichte in Großbuchstaben ohne Stofflichkeit. Die umständlichen, teils possenhaften Geschichten dümpeln vor sich hin, kommen und kommen einfach nicht in Schwung. Der Leser wartet darauf, dass es "doch wohl jetzt endlich einmal losgehen müsse".

Doch dies ist Mendozas stilistische Art von "Kälte", eine Art methodische Leichtigkeit. Unter dieser Leere offenbaren sich zumeist tiefe, klüngelhaft-provinzielle Abgründe seiner katalanischen Heimatstadt Barcelona. Einer Metropole, die sich eigentlich spätestens seit der Austragung der Olympischen Spiele weltweit den Ruf als fortschrittliche und kosmopolitische "heimliche Hauptstadt" Spaniens erobert hat. Doch hinter den modernistischen Fassaden hält sich ein anachronistischer Mief, der direkt auf alte Protektionen und Privilegien aus der Franco-Zeit zurückgeht.

Auch "Mauricios Wahl" berichtet davon. Mendoza-typisch ist wiederum seine Roman-Strukturierung: die Verflechtung von zwei literarischen Segmenten, einem historisch-gesellschaftlichen auf der einen Seite und einem feinsinnigen Persönlichkeitsbild auf der anderen. Beide "ernähren" sich gegenseitig, sie dialogisieren. Wobei das zweite Niveau dieses Mal eine gewisse Bevorzugung bekommt: Eine Geschichte um Liebe, menschliche Vergänglichkeit, Schmerz und auch Frömmigkeit.

Der Leser folgt den in der dritten Person erzählten Schicksalswendungen des "Helden", des Zahnarztes Mauricio Greis, in einer Zeit zwischen der zweiten Legislaturperiode von Jordi Pujol (der Selbstverwaltung Kataloniens) und der Zuerkennung der Austragung der Olympischen Spiele an Barcelona im Jahr 1992.
Der Zeit der politischen Unentschlossenheit setzt Mendoza einen nicht minder unentschlossenen Protagonisten entgegen.
Als er nach langer Zeit seinem alten Schulkameraden Fontán wieder begegnet und dieser ihn zu einer Party einlädt, lernt er dort die angehende Rechtsanwältin Clotilde kennen und lässt sich außerdem von Freunden dazu überreden, sich bei den nächsten Regionalwahlen auf die Liste der Sozialistischen Partei Kataloniens zu setzen. Am nächsten Morgen erwacht er mit dem Gefühl, "in seinem Leben habe eine irreversible Veränderung stattgefunden". Doch es sollte noch "schlimmer" kommen.
Auf einer der folgenden Wahlkampfveranstaltungen, wo er sich mit dem alten Revolutionär Brihuegas sowie dem Arbeiterpfarrer Serapio, der ihm - dem bürgerlich Angepassten - unverhohlene Ablehnung entgegenbringt, herumschlagen muss, läuft ihm auch noch die schlichte und großherzige, aber dafür umso faszinierendere Adela, die Porritos, "die Kifferin", über den Weg.
Plötzlich sieht sich Mauricio, dessen Maxime bisher "ich lebe und lasse leben" war, neben den politischen auch noch zu sehr persönlichen Entscheidung gedrängt. Er glaubt, beide Frauen zu lieben: Clotilde und die Porritos. Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können, sei es in ihrer Charakterisierung oder ihrer Herkunft: zwei Arten, "in der Welt zu überleben" (eine Kategorisierung, die der Autor aus Barcelona nie vernachlässigt). Gerade die Beziehung Mauricios mit der "Porritos" bietet dabei einen sehr tiefgründigen, dramatischen Einblick und brillante Selbstbeobachtungen.

Einige Dialoge, manche Umrisse eines Augenblicks oder einige sekundär Handelnde lassen den Leser immer wieder schmunzeln. Mendoza ist, gerade in Szenen, wo man es nicht vermutet, ein Meister der Situationskomik.
Gleichzeitig zeichnet er jedoch ein nüchternes Bild seiner Heimatstadt und deren Menschen unter dem Mantel einer großen Generations-Traurigkeit. "Trotz der Aussicht auf die Olympischen Spiele war die Stadt in eine Art ungemütliche Traurigkeit verfallen. Die Gespräche welkten dahin, die gesellschaftlichen Zusammenkünfte waren langweilig. Niemand fand die Gedanken der anderen interessant, nicht einmal die eigenen. (...) Es herrschte ein Zustand allgemeiner Unzufriedenheit."
Diese Unzufriedenheit überträgt sich zu dominant auf den Leser. Mauricios permanentes Zögern - "Er baute darauf, dass ein Zufall oder die Zeit die Dinge zurechtrücken würden" - prägt auch die Syntax dieses Romans.

Alles in allem mangelt es diesem Buch an Schlüssigkeit. Am Ende hat man zwar eine leidlich unterhaltsame Geschichte über einen unentschlossenen und sich nicht klar positionierenden Mann gelesen, aber ein tiefer Blick in den Charakter Mauricios und auch den damit verbundenen politischen Zeitgeist Kataloniens bleibt dem Leser verwehrt. Mendoza erzeugt beim Außenstehenden ein Gefühl der Leere und des Unverständnisses, ohne hilfreich-erklärend einzugreifen.
Der Rezensentin war das ein bisschen zu wenig.

(Heike Geilen; 09/2007)


Eduardo Mendoza: "Mauricios Wahl"
Aus dem Spanischen von Peter Schwaar.
Suhrkamp, 2007. 383 Seiten.
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