Herman Melville: "Bartleby, der Schreibgehilfe"


Von Einem, der auszog, das Nein-Sagen zu lernen ...
"Ich möchte lieber nicht." (Bartleby)

Der Nachwelt bekannt wurde Hermann Melville durch sein großes Seeabenteuer "Moby Dick". Er zehrte dabei von seinen Erfahrungen, die er auf mehreren Walfängern gemacht hatte. Heutzutage könnte man sich keinen Autor vorstellen, der als Mitglied einer Schiffscrew, die auf Walfang geht, auch nur Erwähnung fände. Während dieser breite, teilweise epische Roman teilweise eine nicht zu verhindernde Langeweile beim Leser auslösen kann, und öfter zu Befremden Anlass gibt, hat die kleine Erzählung vom Schreibgehilfen Bartleby eine von Anfang bis Schluss fesselnde Kraft, die kein Auge trocken lässt.

Da ist der Vorgesetzte, der eine kleine Anwaltskanzlei zu führen berufen ist, und da sind drei Kopisten, die ihm zahlreiche Hilfsarbeiten abzunehmen gewillt sind. Die Arbeit aber wird mehr, und da beschließt der Ich-Erzähler, einen jungen Mann aufzunehmen, der von der ersten Stunde seiner Arbeit an einen ungeheuren Fleiß an den Tag legt. Mit unglaublichem Eifer fertigt er Kopien von ihm zugetragenen Aktenstücken an und löst richtiggehende Begeisterungsstürme seines Vorgesetzten aus. Während die drei anderen Gehilfen immer wieder Päuschen einlegen, um sich vom mühsamen Berufsalltag erholen zu können, arbeitet Herr Bartleby stundenlang ohne Unterbrechung und verlässt dabei niemals den Wandschirm, der ihn vor dem Blick des in der Behörde gelangweilten Anwalts versteckt. In unmittelbarer Hörweite kann er jeden Befehl zur Kenntnis nehmen, ohne dass er in seiner Körperlichkeit den Frieden des ruhenden Staatsdieners stört.
Doch da geschieht es: Der Anwalt ersucht seinen Gehilfen Bartleby, ein Aktenstück mit ihm auf Fehler zu vergleichen, und erwartet, ihn sogleich aus dem sicheren Schutz des Wandschirms treten zu sehen. Aber nichts passiert. Lauter wird das Ersuchen ein weiteres Mal vorgetragen, und da erschallt dieses "Ich möchte lieber nicht", das bis zum tragischen Ende des Titelhelden ein geflügeltes Wort repräsentieren wird. Zum Teufel, da gibt es einen Hilfsdiener, der den Befehl seines Vorgesetzten missachtet! Ist denn das zu fassen! Dieser Kerl ist ja aber auch wirklich ziemlich daneben. So kann das doch nicht ausarten. Es stellt sich bald heraus, dass Bartleby keine zusätzliche Arbeit übernehmen will. Weder den Gang zum Postamt will er bestreiten, noch seinen Arbeitskollegen die Arbeit durch Mithilfe erleichtern ...

Da geht allemal etwas nicht so seinen Lauf, wie es üblich ist. Doch der Vorgesetzte sieht in Bartleby einen Menschen, dessen Leben anscheinend mit Mühsal beladen sein mag. Er sucht nach Gründen für dessen Verhalten und beschließt, diesem unglücklichen Menschen eine Chance zu geben, sich bei ihm zu bewähren. Wie ein unnützes Möbelstück wird Bartleby bald das Zimmer zieren, da er sich entschieden hat, auch das Kopieren von Aktenstücken abzustellen. Er ist nur da, und die zahlreichen Sitzungen, die im selben Zimmer abgehalten werden, sind an Parodie nicht zu überbieten, da dieser Mensch hinter dem Wandschirm sein Dasein fristet. Irgendwann hat der Anwalt genug und will Bartleby mit Geld abfinden, auf dass dieser sich aus seinem Büro entferne und etwas Besseres fände. Er schlägt ihm sogar vor, einen anderen Beruf auszuüben. Doch keiner der Vorschläge findet Gehör. Bartleby will nicht weg, und eines Tages muss sein Vorgesetzter zu seinem Befremden entdecken, dass Bartleby sogar sonntags im Büro hockt und dort Pfeffernüsse knackt! Der Mann hat offenbar keine Bleibe und ist dazu gezwungen, sein Dasein in dieser lächerlichen Amtsstube zu fristen. Als letzte Konsequenz bleibt nur übrig, dem unglücklichen Mann dadurch ein Schnippchen zu schlagen, indem der Umzug in andere Büroräume angeordnet wird. Doch selbst in seinem neuen Büro bleibt der stets namenlose Anwalt von Bartleby nicht verschont, der nach wie vor die Amtsstube nicht verlassen hat, obzwar dort längst andere Diener des Staates eingezogen sind. Ein Gespräch mit Bartleby bringt nichts ein; er muss schließlich gar ins Gefängnis verfrachtet werden und ist nicht einmal dort geneigt, ein klärendes Gespräch mit seinem ehemaligen Vorgesetzen zu führen.

Die Geschichte hat einiges gemein mit der Erzählung von Franz Kafka "Blumfeld, ein älterer Junggeselle". Hie wie da Beamtenmief und Menschen, die vorgeben zu arbeiten. Blumfeld wird durch zwei hüpfende Bälle, die ihn in seiner Wohnung aus dem Schrank angreifen, aus seiner Lethargie geholt, und der namenlose Anwalt fällt aus allen Wolken, als dieser Bartleby in sein Leben tritt. Die Geruhsamkeit des Staatsdieners hält so lange vor, wie er glaubt, nur ein Rädchen in einem Apparat zu sein, den er ohnehin nicht verstehen will. Ist da aber ein Mann, der das ganze System in Frage stellt, indem er der Sinnlosigkeit seines Tätigkeitsbereiches durch Missachtung begegnet, ändern sich die Strukturen rund um ihn herum, da kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Was die Erzählungen von Kafka und Melville unterscheidet, ist die tragikomische Komponente. Kafka erzeugt Komik, die sich steigert, weil der berufliche und private Bereich von Blumfeld auf absurde Weise ineinander übergehen. Melville jedoch setzt der Komik eine Tragik hinzu, die darin liegt, dass sein Anti-Held nicht das Nichts sein will, das er aus Sicht des Staatsapparates sein mag. Es ist ein Aufbegehren, das Bartleby kennzeichnet. Er zerrt durch die Infragestellung seiner eigenen Arbeit das ganze System veramteter, und somit verkrusteter, Strukturen vor den Kadi.

Dieser arme Mensch hinter dem Wandschirm, der nicht zum nützlichen Idioten degradiert werden will, indem er sich verweigert, wurde zum Schutzheiligen aller notorischen Pflichtverächter. Was dahinter steckt, ist freilich offensichtlich: Eine Kritik an den Bedingungen, die eine Arbeitsmoral definieren, der sich nur der Einäugige blind verschreiben kann. Der Schreibgehilfe beschließt, nicht mehr zu schreiben. Wer Reinhard P. Grubers "Nie wieder Arbeit" gelesen hat, der wird sich an das Leitmotiv dieses erschreckend ehrlichen Buches erinnern können: "Der Arbeiter ist kein Arbeiter an sich." Insofern dessen Arbeit also die persönliche Entwicklungsmöglichkeit des Arbeitenden behindert, mag dies ein Grund dafür sein, diese niederzulegen. Genau dies tut Bartleby. Frei nach dem Motto: "Stell dir vor, es gibt viel sinnlose Arbeit, und keiner macht sie."

Es gibt kaum ein Buch, das so demaskierend das Verhältnis von Arbeit und Mensch-Sein aufdeckt wie die Groteske über den Schreibgehilfen Bartleby. Längst wäre es an der Zeit, den ethischen Wert von Arbeit gesellschaftspolitisch neu zu definieren, und damit eine Umkehr der verrückten Strukturen zu starten. Insgesamt ginge es darum, Arbeit anders als gewohnt zu begreifen. Bartleby zeigt vor, wie es sein kann, den Wert von Arbeit selbst zu erkennen. Es ist leicht, zu arbeiten, aber schwer, sich dabei selbst treu zu bleiben. Bartleby ist zwar ein verschrobener, seltsamer Bursche, der aufgrund seiner materiellen Armut eigentlich auf Almosen angewiesen ist; seinen Stolz hat er jedoch nicht verloren: Bevor seine Arbeit den Menschen bricht, sollte er mit der Arbeit brechen.

(Al Truis-Mus; 11/2002)


Herman Melville:"Bartleby, der Schreibgehilfe"
Übersetzt von Elisabeth Schnack.
Manesse, 2002. 100 Seiten.
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