Jutta Ditfurth: "Ulrike Meinhof"

Die Biografie


Wider die doppelte Legendenbildung

In dieser nun vorliegenden Biografie wird 'Die Wahrheit über Ulrike Meinhof' (Untertitel) versprochen - in ihrer sechsjährigen Recherche fand Ditfurth "bisher unbekannte Quellen", so kann sie "völlig neue Zusammenhänge in der Lebensgeschichte der RAF-Gründerin" aufzeigen (vgl. Klappentext). Eine freilich pikante Konstellation, wenn eine ehemalige Grüne und jetzige Angehörige der 'ÖkoLinX-Antirassistischen Liste Frankfurt' über eine Radikallinke schreibt und dabei fein säuberlich ideologische Gemeinsamkeiten und politpraktische Gegensätzlichkeiten ausbalancieren muss. Ulrike Meinhof (1934-1976) wurde militant durch politisch motivierten Überfrust, Jutta Ditfurth (geb. 1951) wurde linksradikal, weil sie Fundi bleiben wollte, während die Grünen überwiegend zu Realos mutierten - und ihr übrigens Die Linke auch noch zu kapitalismusimmanent agiert.

Die Meinhof-Tochter Bettina Röhl bezeichnete Ditfurths Buch als "terroristisch kontaminierten Giftmüll" - sie hatte ja vorher schon mit ihrem Buch 'So macht Kommunismus Spaß' ihre eigene Darstellung der 'Akte Konkret' abgeliefert. Und nun meint sie zu Ditfurth, sie habe vieles bei ihr abgeschrieben und bediene sich "trüber" Quellen: "Da muss man einfach feststellen, dass Ditfurth eigentlich überhaupt kein Buch selber geschrieben hat." Zu einem Drittel habe sie bei Alois Prinz abgeschrieben, zum zweiten Drittel aus ihrem 'Kommunismus'-Buch - und das dritte Drittel sei die unreflektierte Übernahme alter Mythen von unbelehrbaren RAF-Veteranen.

Röhl stellt ganz dezidiert fest: "Die eigentliche Biografie von Ulrike Meinhof steht in meinem Buch. Die Hauptquelle zu Ulrike Meinhof ist Ulrike Meinhof selbst. Und das ist ganz nötig gewesen, dass ich vor einem Jahr überhaupt mal Ulrike Meinhof zitiert habe, denn der normale Bürger weiß in der Tat nicht, was Ulrike Meinhof selber gesagt und geschrieben hat. Das erfährt man auch in Ditfurths Buch überhaupt nicht." (vgl. "Deutschlandradio", Dez. 2007). Ditfurth bemerkte in einem Interview (vgl. "Stern", Sept. 2007): "Keine öffentliche Figur in diesem Land ist dermaßen unter Legenden, Mythen, Fälschungen begraben wie Meinhof." Ditfurth polemisiert gegen Stefan Austs Buch 'Der Baader-Meinhof-Komplex' - und sie sagt: "oft haben Zeitzeugen keine besondere Glaubwürdigkeit." Dabei strotzt sie vor Selbstbewusstsein: "Ich denke schon, dass mein Buch für die nächsten Jahre Bestand haben wird (...) weil die empirischen Grundlagen sauber sind." Generell macht sie anderen Meinhof-Biografen dieselben Vorwürfe, die Röhl an ihre Adresse richtet, nämlich dass immer wieder nur abgeschrieben wurde: "Bis auf ein Buch, das von Mario Krebs, war das alles Müll." Der "taz" (Jan. 2008) verrät sie, dass mehr als 6000 Quellenangaben aus ihren sechsjährigen Recherchen "aus komplizierten rechtlichen Gründen" nicht im Buch erwähnt werden durften. Resümierend charakterisiert Ditfurth ihr Projekt so: "Ich habe dieses Buch ganz absichtlich sehr zurückhaltend geschrieben und ohne moralinsaure Beurteilung und Bewertung (...) ich versuche einem Menschen, der Kriegskind war und der früh revoltiert hat ... gerecht zu werden."

Die Frage, die sich für den heutigen Leser stellt, ist die, ob der damalige Staat nicht zu sehr dämonisiert wird und ob damit einhergehend der Mythos RAF im Denkansatz gerechtfertigt wird - die Gefahr deutet sich zumindest an, den RAF-Terror als moralisch bezeugbaren Bürgerkrieg zu glorifizieren. Jedenfalls wird deutlich, dass es sich nicht um "gewöhnliche Kriminelle" handelte, wie es gerne von offiziöser Seite artikuliert wurde. Meinhof sah sich als Kämpferin gegen die Refaschisierung der BRD - dass es auch Gegentendenzen gab, konnte oder wollte sie nicht wahrhaben. Ditfurth hätte hier aber stärker differenzieren und quasi neutralisieren müssen. Offensichtlich wollte sie keine zu große Distanz zu Meinhof aufkommen lassen. Meinhof war eben nicht nur eine Terroristin, sondern auch eine scharfe Analytikerin und brillante Autorin, eine Vorreiterin der APO und der Frauenbewegung.

Ulrike Meinhof stammt aus einem Elternhaus mit dem Vater als Mitglied der NSDAP und beim 'Kampfbund für deutsche Kultur'. Nach seinem Tod lebt Ulrikes Mutter mit einer Frau zusammen, ebenfalls NSDAP-Mitglied, später witzigerweise in der SPD. Ulrike ist ebenso schon in ihrer Jugend bisexuell veranlagt und wild - bereits 1958 gründete sie an der Uni Münster den 'Arbeitskreis für ein kernwaffenfreies Europa', war anfangs die einzige Frau im SDS, trat 1958 auch in die KPD ein (die sie 1964 wieder verließ), knüpfte Kontakte zu der von der DDR finanzierten Zeitschrift 'Konkret', deren Chefradakteurin sie 1961 in Hamburg wird. Ihre Ehe mit dem 'Konkret'-Leiter Klaus Rainer Röhl scheitert, sie findet vorübergehend in Rudi Dutschke einen engen Freund. Im Jahre 1968 freundet sie sich mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin an - ein Sprengstoffanschlag auf ein portugiesisches Kriegsschiff im Hamburger Hafen 1969 wird von Ditfurth als "Startschuss" für die RAF interpretiert. Meinhofs Wege in der Illegalität bis zu ihrer Verhaftung und letztendlichen Festsetzung in Stammheim werden im vorliegenden Buch chronologisch minutiös nachgezeichnet, teilweise sogar recht volkstümlich situativ geschildert. Ditfurth ist 17 Jahre jünger als Meinhof, die beiden sind sich nie persönlich begegnet - sie zieht im Gegensatz zur RAF eine deutliche Trennungslinie zwischen Sachbeschädigung und Gewalt gegen Menschen. Die Radikallinke Ditfurth empfindet offensichtlich dennoch eine Art Respekt vor der unbeugsamen Revolutionärin Meinhof - der Ton des Buches wirkt jedenfalls nicht immer genügend sachlich und distanziert. Für Ditfurth ist Meinhof eine "politische Gefangene" gewesen, eine "überzeugte bewaffnete Kämpferin, Revolutionärin und Stadtguerilla", deren Tod in Stammheim äußerst zweifelhaft bleibt.

Ulrike Meinhof "mochte Weihnachten und liebte den Duft von Zimt und Bratäpfeln" - aber: "Die Verhältnisse, in denen sie lebte, kamen ihr verlogen vor." In ihrem Artikel 'Hitler in Euch' forderte sie die "Absage an jeden politischen Terror vermittelst administrativer Maßnahmen gegen Andersdenkende, Andersglaubende und Andersfühlende." Berühmt wurde ihre Aussage: "Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht." Für das Jahr 1969 spricht Ditfurth ein Problem an, welches die längerfristige Umsetzung "linker" Theorie seit jeher schier unmöglich macht - die sogenannte "Linke" schwächt sich immer selbst: "Die Linke zerfiel weiter in antiautoritäre Flügel, in marxistisch-leninistische Gruppen, in reformistische, parteikommunistische und maoistische Organisationen, in Frauengruppen, Lederjackenfraktionen, Jungarbeiter, Lehrlinge, Schüler. (...) Eine wilde Gemengelage, in der alles diskutiert wurde, vom Eintritt in die SPD bis zum bewaffneten Kampf." Das Dilemma der "Linken" lässt sich auch schmerzlich registrieren an der selbstverständlichen Position gegen Antisemitismus und Pro-Israel einerseits, an der Sympathie für den palästinensischen Befreiungskampf bzw. die PLO andererseits. Alle Schattierungen kritischer bis dogmatischer" Linker" haben sich immer wieder gegenseitig aufgerieben.

Etwas vermessen erscheint doch Ditfurths Behauptung: "Weder Bundespräsident Gustav Heinemann noch Bundeskanzler Willy Brandt - beide wären ohne die außerparlamentarische Opposition nicht an die Macht gekommen." Schwer zu beweisen dürfte auch die Behauptung sein, "dass das BKA keine Gefangenen machen wollte", sondern dass Polizisten gezielt auf RAF-Mitglieder bei Festnahmen schossen. Der Umgang mit Heinrich Böll nach dessen Einsatz für Meinhof zeigt die Zerrissenheit der damaligen politischen Landschaft: die "Bildzeitung" verglich Bölls Sprache mit der von Goebbels, die RAF-Leute werteten Bölls Aufforderung sich zu stellen als naiv. In Stammheim arbeitete Meinhof - auch auf Gruppenbeschluss - an einem "Grundlagenwerk über das politische Konzept der RAF". Im Prozess verkündete sie u.a., es sei an der Zeit, den Imperialismus militärisch, ökonomisch und politisch zu vernichten. Bei ihrer Beerdigung am 15. Mai 1976 bemerkte Klaus Wagenbach in seiner Grabrede: "Was Ulrike Meinhof umgebracht hat, waren die deutschen Verhältnisse." Erich Fried sagte, sie war "nicht nur die beste Journalistin der BRD, sondern ... auch die bedeutendste deutsche Frau seit Rosa Luxemburg."

Bei allen Kontroversen um das vorliegende Buch hinterlässt Ditfurths Meinhof-Biografie doch einen detaillierten und engagierten Eindruck. Man kann sich vorstellen, dass in manchen Kreisen eine relativ objektive Darstellung der RAF-Gedankenwelt nicht gern gesehen wird - Ditfurths Buch wird auf jeden Fall ein Baustein sein, wenn man nach und nach die gesamte RAF-Geschichte aufarbeiten sollte - was für einen neuerlichen politischen Lernprozess dringend überfällig wäre.

(KS; 03/2008)


Jutta Ditfurth: "Ulrike Meinhof. Die Biografie"
Gebundene Ausgabe:
Ullstein, 2007. 479 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Taschenbuchausgabe:
Ullstein, 2009.
Buch bei amazon.de bestellen

Ein weiteres Buch der Autorin:

"Rudi und Ulrike. Geschichte einer Freundschaft"

Ulrike Meinhof und Rudi Dutschke - Jahrzehnte nach dem magischen Jahr 1968 erzählt Jutta Ditfurth zum ersten Mal die Geschichte einer Freundschaft, die die Republik veränderte. Einig in der Kritik der herrschenden Zustände, gingen sie gegensätzliche Wege: Ulrike Meinhof gründete die RAF mit, Rudi Dutschke ging später zu den Grünen. Als Ulrike Meinhof im Februar 1968 ihren Ehemann Klaus Rainer Röhl verließ, saß Rudi Dutschke auf dem Beifahrersitz ihres R4. Das war kein Zufall. Bereits ein Jahr zuvor, Anfang 1967, hatten die beiden Galionsfiguren der 68er-Bewegung sich miteinander angefreundet. "Er ist mein liebster und bester Freund", sagte sie.
Das Attentat auf Rudi Dutschke veränderte alles. Gleich danach, bei den Osterunruhen 1968 in Westberlin, warf Ulrike Meinhof ihre ersten Steine auf den "Springer-Verlag", vier Jahre später beteiligte sie sich an einem Bombenanschlag. Meinhof ging in den Untergrund, während Dutschke, der früh schon von der möglichen Notwendigkeit einer Stadtguerilla gesprochen hatte, bald scharfe Kritik an der RAF übte. Jutta Ditfurths intimes und kenntnisreiches Porträt dieser ungewöhnlichen Freundschaft wirft die Frage auf: Hätte es ohne das Attentat auf Dutschke die RAF je gegeben? (Droemer)
Buch bei amazon.de bestellen

Noch ein Buchtipp:

Steve Sem-Sandberg: "Theres"

Völlig neuer Zugang zum Thema RAF und Ulrike Meinhof: Eine Biografie voller Gegensätze - eine Mischung aus dokumentarischem Roman und fiktionalem Psychogramm.
Ulrike Meinhof ist "Theres": eine heilige Mörderin, eine mystische Terroristin? Steve Sem-Sandberg begibt sich in seinem Roman auf die Suche nach der Geschichte einer Frau, die ganz Deutschland in Atem gehalten hat. Er entdeckt dabei einen vielschichtigen Menschen, der zwischen Mut, Hass und Verzweiflung schwebt.
In Anlehnung an die heilige Teresa von Ávila soll RAF-Terroristin Gudrun Ensslin ihre Mittäterin Ulrike Meinhof auf den Namen "Theres" getauft haben. Steve Sem-Sandberg greift dies auf, um dem Menschen Ulrike Meinhof näherzukommen. Er stellt die Frau in den Mittelpunkt: die Flüchtlingstochter, die früh ihre Eltern verloren hat, die Mutter zweier Kinder, die engagierte Journalistin, die auf der Suche nach politischer Wahrheit und im Drang, etwas zu verändern, immer tiefer hineingerät in einen Strudel aus Terror und sinnloser Gewalt. In einer Mischung aus dokumentarischem Roman und fiktionalem Psychogramm spürt Sem-Sandberg diese andere Ulrike Meinhof, die sich hinter Pamphleten und Flugblättern verbirgt, auf und erzählt eine Biografie voller Gegensätze. Seine eindringliche Sprache lässt den Leser in den Kopf einer getriebenen Frau und ins Innerste eines gezeichneten Landes blicken. (Klett-Cotta)
Buch bei amazon.de bestellen