Henning Mankell: "Die Brandmauer"

Der letzte Fall des Kommissar Wallander


Es ist ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass man als Leser den letzten Fall des berühmten Kommissar Wallander durchschmökert. Jede Seite hat einen eigenen Reiz, und im Hintergrund taucht schon mal der Gedanke auf, ob dies auch tatsächlich den Abschluss einer Serie von Kriminalfällen bildet, die von einem Mann aufgelöst werden, der mehr mit sich selbst als mit den Tätern und Opfern in all den Mordgeschichten zu kämpfen hat. Nach der letzten Seite des letzten Falls ist es leider endgültig Gewissheit: Wallander wird seiner Tochter Linda das Feld überlassen und sie gern beraten, wenn sie Fragen an ihn hat.

Warum aber räumt Wallander das Feld? Er hat doch glänzende Polizeiarbeit verrichtet. Der interessanteste Fall, den er je in seiner Laufbahn zu bearbeiten hatte, war sicher jener der Frau, die Männer auf grausamste Art und Weise tötete, weil diese ungesühnte Verbrechen gegen Frauen verübt hatten. So viel liegt hinter Wallander, und er kann sich eigentlich nicht vorstellen, abzutreten. Linda aber wird das Erbe des Vaters antreten. Dafür wird der Autor der Wallander-Krimis sorgen. Henning Mankell hat eine Figur geschaffen, die in der Kriminalliteratur wohl einzigartig dasteht. Einen ganz gewöhnlichen Kommissar mit allerlei Schrullen und Neurosen. Einen Kommissar, der immer wieder für Überraschungen sorgen kann, der von der Liebe enttäuscht wurde und wird und manchmal erstaunlich eigenwillig agiert.

Wir Leser, die wir Kommissar Wallander und seine Fälle schätzen gelernt haben, dürfen noch einmal tief durchatmen. Immerhin werden die meisten Wallander-Fälle verfilmt werden. Und den einen oder anderen von uns wird es sicher mal nach Ystad verschlagen, wo sich die zahlreichen Mordfälle ereignet haben sollen. Empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist die Webadresse http://www.wallander.ch/ . Hier gibt es sehr viel Information nicht nur über Wallander und dessen Schöpfer, sondern auch über Ystad und Umgebung.

Der letzte Fall des Kommissar Wallander hat es noch einmal in sich. "Die Brandmauer" lautet der deutsche Titel; englisch "The Firewall". Jeder halbwegs gebildete Computerbesitzer weiß, worum es sich hierbei handelt. Um jene Mauer die bewirken soll, dass wichtige in Computern "gespeicherte" Daten vor äußeren Angriffen geschützt werden. Eine wichtige Figur ist in diesem Sinne ein 19 Jahre alter Hacker, dessen Aufgabe darin besteht, an Informationen zu kommen, die in einem Computer eingespeist sind. Es ist nicht mal sicher, welche Informationen das sein sollen und was dahinter steckt. Aber der Hacker arbeitet gut. Er knackt die "firewall"; er findet also die Passwörter heraus, und gräbt sich auf geheimnisvolle Weise in die codierte Welt des Computerusers durch, der im übrigen angeblich an einem natürlichen Tod verstorben sein soll; dessen Tod jedoch eine Lawine von weiteren Todesfällen nach sich gezogen haben könnte, deren Verflechtungsmechanismen nur sehr langsam einen Sinn zu ergeben scheinen. Die Daten, an die der junge Hacker gerät, hängen mit großen weltweit agierenden Unternehmen zusammen, deren Struktur, so glauben zumindest alle beteiligten Ermittler, das Finanzgefüge der Welt gefährlich durcheinander bringen soll.

Wallander fühlt sich alt. Er versteht die Welt der Computer nicht. Immerhin eine gute Möglichkeit für den Autor, ihn still abtreten zu lassen. Polizeiarbeit erfordert mehr als eine gute "Spürnase". Es ist erforderlich, Ahnung von Computern und deren Funktionalität zu haben, von den Hintergründen, die die Welt aus den Angeln heben können. Wallander ist ratlos. Er ist fasziniert von den Fähigkeiten des jungen Robert Modin, der schon mal im Gefängnis saß, weil er nur aus einem kleinen Spaß heraus in die geheime Welt des Pentagon eingedrungen ist. Wallander muss auch erfahren, dass sein eigener, kleiner Polizeicomputer leicht durchleuchtet werden kann.

"Die Brandmauer" ist mehr als nur ein Kriminalfall. Es ist die Deutlichmachung einer Wahrheit, der man sich leicht verschließen kann. Längst ist es so, dass die technisierte Welt das Gefüge der Gesellschaft bestimmt. Die komplexe Welt der Computer, die miteinander vernetzt sind, schaffen ein Muster, das nur schwer erklärt werden kann. Somit gilt es auch für den Computerexperten Modin, keine Geheimnisse auszuplaudern. Wie die Dinge miteinander verbunden sind, und welche unglaublichen Strukturen dahinter stecken, kann sich der Normalsterbliche nicht erklären. Aber es gibt da diese Welt der Experten, von der eine leichte Ahnung vermittelt wird. Was passiert, wenn die geheimsten Daten aufgespürt werden können? Die Ausführung des Komplotts wird verhindert; es ist nicht auszudenken, wenn derart verflochtene Systeme, wie sie die Finanzmärkte der Welt darstellen, aus den Gleisen gehoben werden.

Wallander ist in seinem Element. Er rastet aus, er ist traurig und verschwiegen. Und erstmals scheint er überfordert von dem Fall. Die Morde ergeben erst in der Rückschau einen Zusammenhang. Menschen sterben, weil sie über Dinge Bescheid wissen, die in diesen "Blechdingern" verborgen liegen. Es handelt sich nicht einfach um Computerkriminalität, sondern um versuchte Sabotage computergesteuerter Prozesse, die die industrialisierte Welt mit in Gang halten.

Erstaunlich die schweren Angriffe, die gegen die Weltbank erhoben werden. Natürlich hat Mankell recht, wenn er diese scheinheiligen Kreditgeber für die sogenannten Entwicklungsländer als rechtlich abgesicherte Organisation selbstherrlicher Großköpfe darstellt. Die Weltbank ist mit für den Schuldenstand und somit die Bedingungen in den Ländern zuständig, wo Menschen dahinsiechen und weit vor der üblichen Zeit zum Tode verurteilt sind. Die Schere zwischen Reich und Arm wird immer größer, und Menschen, die sich auf Kosten der Armen bereichern wollen, gibt es immer mehr auf der Welt. Was dagegen tun?

Zwei wahnsinnige Verbrecher wollen den Wahnsinn austreiben, indem sie die Steuerungsstrukturen der wichtigsten Finanzmärkte der Welt aushebeln; dabei wäre gerade dadurch der Wahnsinn letzthin nur potenziert. Gibt es einen Ausweg aus dieser Spirale der schreienden Ungerechtigkeit? Der letzte Fall des Kommissar Wallander ist die Darstellung der Globalisierungsfalle, so wie sie tatsächlich existiert. Eine Globalisierung, die nur zu Gunsten gewisser Menschen ausschlägt, kann keine Globalisierung für alle sein. Aus der Globalisierung müssten alle profitieren, wovon aber keine Rede sein kann.

"Die Verwundbarkeit der Gesellschaft, in der sie lebten, war größer, als jemand hatte ahnen können."
Dieser Satz ist beispielgebend für die Dynamik des Buches. Es gilt sich abzusichern gegen schwere Angriffe von außen. Hacker können ganze Systeme lahm legen, die von Wichtigkeit für viele Menschen sind. Gegen diese Verwundbarkeit setzt man dann "firewalls" ein. Wallander erkennt auch, dass er sich selbst "Brandmauern" geschaffen hat, wodurch er von den anderen Menschen getrennt ist. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, mag er sich denken. Und hat er dabei so unrecht? Schließlich lauert hinter jeder Ecke ein Mensch, der nur darauf wartet, die Schutzhülle zu durchdringen, welche sich Menschen aufbauen, um ihre Schätze zu bewahren; egal ob materieller oder geistiger Art, egal ob persönlicher oder gesellschaftlicher Natur. Der Mensch sollte sich von der Technik nicht auffressen lassen.

Wallander fühlt Resignation in sich aufsteigen, weil er der Computertechnologie nicht gewachsen ist. Wir müssen alle wachsam sein, und dürfen uns nicht hinters Licht führen lassen. Es gilt einerseits, die Vorteile der Technologien zu sehen, und andererseits die Eigendynamik zu erkennen, durch die eine kleine Anzahl von Menschen eine neue Form von Kommunikation strukturiert haben, die nicht nur Vorteile nach sich zieht, sondern auch mit einigermaßen Geschick manipuliert werden kann.

Der letzte Fall des Kommissar Wallander gibt viel Stoff zum Nachdenken. Er bleibt der einsame Wolf, und uns Lesern wohl auch in Zukunft als Vater der Kommissarin Linda erhalten, die ihren Weg machen wird. Bleibt nur noch, uns die acht Bücher in Erinnerung zu rufen, die uns über eine Wegstrecke des Lebens begleitet haben, und vielleicht zum einen oder anderen Zeitpunkt einen der Fälle des sympathischen Kommissars wieder zu lesen, der uns so ans Herz gewachsen ist.

(hei)


Henning Mankell: "Die Brandmauer"
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Gebundene Ausgabe:
Zsolnay, 2001. 575 Seiten.
ca. EUR 24,90. Buch bestellen
Taschenbuch:
dtv, 2003. 592 Seiten.
ISBN 3-423-20661-6.
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