Hartmuth Malorny: "Noch ein Bier, Harry?"

Eine Trinkerchronik


Um sein Leben saufen

Das Problem mit solcherart Büchern könnte ein erzieherisches - um nicht zu sagen: pädagogisches - oder eigentlich gar ein politischkorrektes sein: Der Protagonist und Autor (weil Ich-Erzähler?!) säuft mit hemmungsloser Penetranz. Soll man das als Leser tolerieren bzw. überhaupt quasi dadurch sanktionieren, indem man es ausgiebig liest?! Wir erinnern uns alle noch gerne: bei Kinderbüchern und Jugendromanen haben wir uns leidenschaftlich mit der Hauptfigur identifiziert - aber hier nun?! Dieser laut Waschzettel "autobiografisch gefärbte Roman" des Dortmunder Autors (Jahrgang 1959) vermittelt da einen zwiespältigen Eindruck: "Literarisch-sprachlich ganz ordentlich - existentiell-inhaltlich mit dubioser Botschaft: Harald Malowsky trinkt sich durch das Ruhrgebiet der 70er und 80er Jahre, trinkt sich durch zahllose Jobs, an zahllosen Frauen vorbei, betrachtet das Leben und die Welt durch den Boden eines Glases und findet nur zwei Dinge von Dauer: den Alkohol und Johnny Cash" (Waschzettel).

Dieser Harald, der als Harry firmiert, nimmt sich seine midlife crisis schon sehr viel früher als Hesses Steppenwolf-Harry - und dies ist genau das literarische Niveau-Problem: Malornys Harry hat das Leben noch lange nicht ausgiebig genug ausprobiert - er flüchtet von Anfang an in die Betäubung: als Arbeitnehmer chronisch unterqualifiziert muss er lauter Scheißjobs annehmen, die er immer wieder relativ kurzfristig kündigt, weil seine Frustschwelle weit unterhalb der einer Mimose ist. Eskapismus und Alkoholismus sind eine miese Attitüde - es gibt freilich täglich 1000 Gründe gefrustet zu sein - aber Schnauze voll und Ex ist kein Lebensprogramm. Die Frage ist doch erlaubt: Was hat uns der Autor zu sagen: "Diesen Sommer trank ich Bier, Wein und Whiskey, hauptsächlich aber Bier. Ich trank es draußen und drinnen und kam zur Erkenntnis, dass einen nichts mehr deprimiert als ein leeres Glas."
Dem Rezensenten - der zugegebenermaßen manchem Schluck nicht abgeneigt ist - stellt sich doch die literaturwissenschaftliche Frage: Ist das hier nun ein Schlüsselroman oder ein Entwicklungsroman oder ein Gesellschaftsroman?! Die Moderne ist so niveaulos kompliziert - der Ich-Erzähler resümiert: "Die einzige Kontinuität in meinem Leben war der Alkohol, doch es gab keinen Grund zu jammern." Na also: ohne Grund zu jammern bräuchte man doch auch nicht zu saufen, oder?! Die penetrante Frage bei jeder Rezension: Wem empfehlen wir dieses Buch?! Hier säuft ein netter Kerl um sein Leben - aber mehr passiert auch nicht. Und die hartnäckigen Verweise auf Bukowski werden weder Malorny noch Bukowski für unser Jahrhundert unverzichtbar machen.

Ach schade, lieber Malorny - hier errichtet sich einer ein Denkmal aus Styropor - und weiß das eigentlich auch in selbstreferenzieller Attitüde: "Der begnadete Schriftsteller als Alkoholiker wird zur Kultfigur (...) Von einem Schriftsteller erwartet man geradezu, dass er trinkt (...) Ich bin ein dem Alkohol verfallener Flüchtling - auf der Flucht vor mir selbst." Peng! Genau das sollte ein Autor nicht sein - auch kein Leser - kein Mensch eben! Flucht rechtfertigt sich nur durch existenzielle Bedrohung. Und wer bedroht Malorny? Das Leben? Oder gar der Leser durch Liebesentzug?!

(KS; 09/2005)


Hartmuth Malorny: "Noch ein Bier, Harry?"
Neon, 2004. 240 Seiten.
ISBN 3-937821-02-3.
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Lien zur Netzseite des Autors: http://www.h-malorny.de/.