Alain Demurger: "Der letzte Templer"

Leben und Sterben des Großmeisters Jacques de Molay


Jacques de Molay, 23. und letzter Großmeister der Templer, ist ohne Zweifel eine der umstrittensten Figuren des Rittertums. Vom Mittelalter bis in die Gegenwart ranken sich Gerüchte und Spekulationen um seine Person. Für die Parteigänger des Königs von Frankreich stellte de Molay den Inbegriff des Ketzers dar, in den Augen vieler Anderer avancierte er hingegen zum Märtyrer. Alain Demurger, einer der führenden Mediävisten Europas, rollt im vorliegenden Buch die Vita des Kriegermönchs auf - soweit wie eben möglich, denn, so der Autor: "von über Zweidrittel seines Lebens ist so gut wie nichts bekannt." Und weiter: "Man weiß also wenig über Jacques de Molay. Dennoch verfügen wir über Dokumente, die ihn erwähnen, wenngleich diese Hinweise häufig unspektakulär, beiläufig, ungenau und indirekt sind, ermöglichen sie es uns doch, in kleinen Pinselstrichen seine Biografie zu zeichnen."

Besagte zeitgenössische Quellen aus dem 13./14. Jh. entspringen vor allem an drei Stellen: In den Chroniken des so genannten Templers von Tyrus, in Briefen de Molays sowie in den Verhörprotokollen aus dem Prozess gegen die Tempelritter. Letztere Quelle ist zwar am umfassendsten, birgt aber einen großen Nachteil: "Stellen Sie sich vor, man würde die Geschichte nur anhand von Polizeiberichten, gerichtlichen Untersuchungen oder Gedächtnisprotokollen schreiben. Genau das ist die Aktenlage im Prozess gegen die Templer. Eine politisch-polzeiliche Maschinerie ist am Werk", fasst Demurger zusammen. Die Aufzeichnungen der französischen Krone sind demnach etwa genauso "objektiv" wie jene von Senator McCarthy, dem berüchtigten "Kommunistenjäger" der US-Nachkriegszeit.

Damit wird Fakt: Großmeister de Molay entzieht sich einer detaillierten Betrachtung im Dunkel der Vergangenheit. Geboren ist er zwischen 1244 und 1249 in Burgund, wo genau, steht schon wieder zur Debatte. Zudem war damals Burgund nicht gleich Burgund. Jacques de Molay stammte nicht aus dem zu Frankreich zählenden Herzogtum, sondern aus der Freigrafschaft, kurz Comté, die Teil des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation war. Damit scheint der Konflikt mit dem französischen Thron schon in die Wiege gelegt. De Molays Jugendjahre, so nimmt man an, sind ganz vom Kreuzzugsgedanken, der Befreiung Palästinas von den Moslems, geprägt. 1265 tritt Jacques den Tempelrittern bei. Welche Aufgabe ihm vorerst ordensintern zufällt bzw. ob er primär im Okzident oder Orient diente, ist unbekannt. Ungewöhnlich für einen Ritter, der 1292 - als unbekannte Größe - zum Großmeister gewählt wird. Eine Erklärung mag man darin finden, dass die Templer zu diesem Zeitpunkt in einer schweren ideologischen wie strukturellen Krise stecken.

Unter den Großmeistern Thomas Bérard und Guillaume de Beaujeu war eine wechselvolle Politik betrieben worden. Einerseits galt es, die Spannungen zum zweiten großen Ritterorden, den Johannitern, abzubauen (im Krieg von Saint-Sabas kämpften beide sogar gegeneinander), andererseits sollte ein Bündnis mit den Mongolen gegen die Mamelucken geschmiedet werden. Beide Vorhaben glückten nur zum Teil. Im Mai 1291 kommt es zur militärischen Katastrophe. Moslemische Truppen überrennen die Kreuzfahrerfeste Akkon. Die Templer verlieren damit ihre Basis im Heiligen Land, der Orden weicht nach Zypern aus. Zudem stirbt mit Großmeister Beaujeu ein Gutteil der Führungsspitze der Templer.

Im Abendland wird diese Schmach gegen die "Ungläubigen" der Uneinigkeit der Ritterorden angelastet. Der frisch gekürte Großmeister de Molay geht auf "Werbereise", das Image der Templer muss wieder zurechtgerückt werden, neue Zuwendungen wie Aufgaben sollten her. Jacques de Molays Tour durch Aragon, England und Frankreich verläuft erfolgreich. Er "behielt immer die Interessen seines Ordens im Auge. Die Maßnahmen, die er bei den Fürsten im Okzident erwirkte, zielten vor allem darauf ab, die Templer auf Zypern zu stärken und ihre Lebensgrundlage zu sichern", schreibt Demurger. Heinrich II., König von Zypern, zeigt sich ob der Templerpräsenz auf seiner Insel aber immer unvergnügter. Limassol ist ja inzwischen zum Hauptquartier des Ordens ausgebaut worden. Großmeister de Molay versucht sein Möglichstes, um die gekrönten Häupter des Okzidents für einen Feldzug nach Palästina zu mobilisieren. Mit wenig Erfolg, das alte Machtzentrum des Ordens in Jerusalem bleibt fortan Feindesland.

Zudem setzt der Papst, der die Templer mit den Johannitern gerne vereinigt sehen würde, de Molay zu. Mit aller zu Gebote stehender diplomatischer Finesse können beide Orden dies vorerst verhindern. 1306 wird der Templergroßmeister diesbezüglich beim Pontifex maximus vorstellig. Im Hintergrund zieht freilich schon Philipp IV., genannt der Schöne, von Frankreich die Fäden. Sein Einfluss auf die Johanniter ist stark und eine Fusion mit den Templern brächte dem Monarchen noch mehr politisches Gewicht. Jacques de Molay macht sich Philipp durch seinen zähen Wunsch nach Unabhängigkeit der Tempelritter endgültig zum Feind. Die wirtschaftliche Stärke der Templer - gerade auf französischem Boden - war dem Kapetingerkönig ohnehin schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Hinzu kommt noch, dass der Orden den französischen Kronschatz verwahrt, eine Tradition, die Philipp überhaupt nicht gefällt.

Als Jacques de Molay in Frankreich an Land geht, um Papst Clemens V. in Poitiers zu treffen, sieht er sich mit üblen Gerüchten konfrontiert. König Philipp lässt über seinen Kanzler Nogaret verbreiten, die Templer hätten blasphemische Aufnahmeriten, würden auf das Kreuz Christi spucken, den Baphomet (einen sprechenden Kopf) anbeten und zudem homosexuelle Praktiken pflegen. De Molay ergreift die Flucht nach vorne und bittet den Papst, eine Untersuchung gegen seinen Orden einzuleiten - mit der Zuversicht, rehabilitiert zu werden. Doch es kommt anders, Clemens V. ist politisch ein Leichtgewicht, viele französische Bischöfe inklusive des Großinquisitors Guillaume de Paris schlagen sich auf die Seite König Philipps. Am 14. September 1307 weist dieser in geheimen Depeschen seine Soldaten in ganz Frankreich an, alle Templer zu gegebenem Zeitpunkt gefangen zu setzen. Am 13. Oktober ist es dann soweit. Drei Tage später rät Philipp den anderen christlichen Herrschern Europas, seinem Beispiel zu folgen. Nach anfänglicher Verschonung sind bis Mitte 1308 fast alle Tempelritter des Kontinents im Kerker. In Frankreich geht unterdessen die Zerreißprobe zwischen Papst und König weiter. Beide führen eigene Prozessuntersuchungen gegen die Templer durch. 72 der Ritter gestehen unter der Folter, am 12. Mai 1310 werden 45 von ihnen in Paris in der Öffentlichkeit verbrannt. Als im Oktober 1311 in Vienne ein Kirchenkonzil zusammentritt, ist das Schicksal der Tempelritter endgültig besiegelt. Papst Clemens V. "musste den Templerorden opfern, um die Kirche und das Papsttum zu retten", resümiert Demurger. Mit der Bulle Vox in excelso wird der Orden am 22. März 1312 offiziell aufgelöst, jedoch nicht verurteilt - das ist alles, was der Papst gegen den König von Frankreich durchsetzen kann. Die Güter der Templer werden kurze Zeit später den Johannitern übereignet.

Die Urteilssprechung über die fünf höchsten Würdenträger der Tempelritter hat sich der Papst selbst vorbehalten. Am 22. Dezember 1313 überträgt er seinen Kardinälen die Aufgabe, Jacques de Molay, Geoffroy de Charney, Hugues de Pairaud sowie Geoffroy de Gonneville die lebenslange Haft zu verkünden (Raimbaud de Caron war bereits verstorben). Daraufhin widerrufen de Molay und de Charney wütend alle Geständnisse. Am 18. März 1314 endet der letzte Großmeister der Templer auf dem Scheiterhaufen - ein Ritter als Bauernopfer im Schachspiel zwischen weltlicher Gewalt in Paris und kirchlicher Macht in Rom.

Was bleibt, ist Legende. Ihr zufolge soll der sterbende Jacques de Molay Papst und König verflucht haben. Tatsächlich klopfte Clemens V. nur einen Monat nach dem Feuertod des Großmeisters selbst an der Himmelstüre an, während Philipp IV. in all seiner Schönheit wenige Monate später bei einem Jagdunfall verschied. Für Alain Demurger sind solch metaphysische Drohungen kein Thema, er beschränkt sich stichhaltig und faktentreu auf die Geschichtswissenschaft - und die ist im Fall des Tempelritterordens spannend genug.

(lostlobo; 08/2005)


Alain Demurger: "Der letzte Templer"
Aus dem Französischen von Sabine Müller und Holger Fock.
C. H. Beck, 2004. 390 Seiten.
ISBN 3-406-52202-5.
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Alain Demurger, geboren 1939, lehrte bis zu seiner Emeritierung Mittelalterliche Geschichte an der Universität von Paris.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Die Ritter des Herrn. Geschichte der geistlichen Ritterorden"
Die geheimnisvolle Welt der Ritterorden
"Das Predigen mit eiserner Zunge" wurde im 12. Jahrhundert zur Aufgabe der eigens gegründeten geistlichen Ritterorden. Die Ritter im Dienste des Herrn zogen für ihren Glauben ins Feld und prägten über lange Zeit die europäische Geschichte entscheidend mit. Alain Demurger beschreibt diese abgeschlossene Welt der Orden, die die Extreme von weltlichem Kampf und gläubiger Kontemplation in sich versöhnen wollten.
Aus dem Geist der Kreuzzüge entstand im 12. Jahrhundert die Idee des Gottesrittertums, eine Idee, die Europa ein halbes Jahrtausend tiefgreifend prägen sollte. In ihr verbindet sich mönchische, zisterziensisch geprägte Weltentsagung mit diesseitigem Schutz der Kirche und des Glaubens sowie dem Kampf gegen die Ungläubigen. Alle Ritterorden wurden maßgeblich beeinflusst vom ersten Zusammenschluss der Ritter des Herrn, den Templern 1119 in Jerusalem. Ihnen folgten bald die Johanniter und - nach Zusammenschlüssen in Spanien - schließlich der Deutsche Orden, die dritte bedeutsame Ordensgründung, die 1190/98 im Heiligen Land ihren Ursprung hatte und in die Tradition der Missionierung des Ostens im 13. Jahrhundert eintrat.
Das vorliegende Buch zeichnet Idee und Wirklichkeit der Gesamtheit dieser Orden nach; welche Persönlichkeiten standen hinter den Orden? Welche Rituale begleiteten die Aufnahme in einen Orden, welche Regeln waren zu befolgen? Wie wurden Kämpfe und Kriege organisiert? In welcher Konkurrenz standen die Orden untereinander, wie wurden Rivalitäten ausgetragen, wie oft gab es Übertritte oder Ausstoßung aus dem Orden? Wodurch wurde der Unterhalt der Ordensritter gesichert, wie kam es zu eigenen Herrschafts- und Staatsgründungen? Schließlich wird die Zeit des Niedergangs im 15. und 16. Jahrhundert beleuchtet und gezeigt, dass einige Vereinigungen den Auflösungstendenzen entgegenwirkten und bis auf die heutige Zeit fortbestehen. (C. H. Beck)
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Noch ein Buchtipp:

Piers Paul Read: "Die Templer. Die Geschichte der Tempelritter, des geheimnisvollen Ordens der Kreuzritter"
Von den mysteriösen Wächtern des Heiligen Grals in Wagners Oper "Parzifal" über den dämonischen Anti-Helden Brian von Bois-Guilbert in Walter Scotts Roman "Ivanhoe" bis hin zu den Gralsbewahrern von der Bruderschaft von Sion in Dan Browns "Sakrileg" sind die Ritter des Tempels Salomons eine unversiegbare Quelle der Faszination für die Vorstellung der zeitgenössischen Menschen gewesen. Was aber sind Templer? Und wer waren die Templer wirklich? Wer oder was verbarg sich hinter ihrer Macht und ihrem Erfolg? Und was verursachte ihren plötzlichen Niedergang? In der vorliegenden Abhandlung trennt Piers Paul Read die Wahrheit vom Mythos. Basierend auf dem neuesten Stand der Geschichtswissenschaft, beschreibt er detailliert die multinationale Streitmacht der Kriegermönche, die sich aus Mitgliedern unterschiedlicher Nationen zusammensetzte, denen ein effizientes Management ungeheurer Besitztümer gelang und die das internationale Bankwesen begründeten. Nachdem sie vom französischen König Philipp IV. im Jahre 1307 enteignet worden waren und unter Folter Blasphemie, Häresie und Sodomie gestanden hatten, wurde der Orden schließlich von Papst Clemens V. im Jahre 1312 völlig ausgelöscht. Waren sie dessen schuldig, was man ihnen vorgeworfen hatte? Und was für eine Bedeutung hat ihre Geschichte für unsere heutige Zeit? Piers Paul Read beschäftigt sich mit dem legendären Ruf des Templerordens und zeigt überraschende und eindrückliche Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf. (Atmosphären)
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