(...) wie Pfarrer Hutwelker und Bischof 
Finocci die Basilika di San Giovanni in Laterano verlassen. Sie waren weniger 
in der Basilika als mehr in einem heftigen Disput, der zwischen ihnen hin- und 
hergeworfen wurde wie ein glühendes Stück Kohle. Jedem der beiden war die eigene 
Argumentation wie eine Zange, das Heiße in den Griff zu bekommen. Der Bischof, 
dass er kleine Knaben wollte, sie in die straffe Geistlichkeit zu führen, es Hutwelkers 
Pflicht war, bei dem, was Finocci für ihn tat, ihm welche zuzuführen. Hier ging 
es um das Halten innerer und äußerer Positionen, und den linksgeneigten und den 
rechtsgeneigten Strich, das Kreuz. Wenn ein Hutwelker nicht mehr bereit war, ihm 
Ministranten zuzuführen, würde ihr ganzes Konstrukt zusammenkrachen, würde er 
sofort dafür sorgen, dass man diesen falschen Pfarrer mit seinen aufgesetzten 
Idealen augenblicklich unter Beschuss nahm und ihn aus der Kirche schloss.
     Dem specknackigen Hutwelker war sein Rindfleisch zäh. Hatte 
  sich früher für ihn die Welt in 
Gut und Böse geteilt, wo man die einen am Zölibatsgeruch 
  erkennen konnte, die anderen an ihrem Ehrgeiz, ihrem Streben, so verschwamm 
  ihm dieser Unterschied nun mehr und mehr. Denn Finocci war ein guter Mensch 
  von raumgreifender Herzlichkeit, bekennendes Mitglied im Engelwerk, Rosenkreuzer, 
  in allen möglichen Glaubensverbindungen aktiv, gläubig bis in die innersten 
  Falten seines Herzens. Andererseits hatte er den 
Wurm 
  in sich, war, was er mit kleinen Buben anstellte, der Gipfel jeder Schweinerei. 
  Jede Spanne von Pfarrer Hutwelkers Eindrucksfähigkeit war damit gefüllt. Er 
  wollte sich gar nicht vorstellen, was da in der Bolzmanngasse alles passierte. 
  Ihm reichte schon der trübe Schein, das Ungefähr, die Gesichter seiner Ministranten, 
  die dann wochenlang nur schwiegen, wie fauler, angegrünter Schinken um ihn hingen, 
  ihren Geist im Garten ihres Körpers versprühten, als wäre das Fleisch der Köder, 
  der den Schädling lockt. Lange Gesichter zogen sie nach sich, öffneten den Mund 
  nicht mehr, bewegten ihre Lippen nicht. Angeblich wurden die Ausschweifungen 
  in der Bolzmanngasse sogar gefilmt, Videos 
  davon verkauft. Jedenfalls hatte dieses Treiben Pfarrer Hutwelker in eine unglückliche 
  Situation gebracht. Denn wenn er nun seine Ministrantenlieferungen einstellte, 
  war sein ganzer Plan, als erste Frau Papst zu werden, in Gefahr. Ja! Die erste 
  Päpstin!
     Wir kommen gleich 
nochmals hier heraus, wollen aber zuvor noch ein paar Sätze weiter in den Hutwelkerschen 
Gedanken graben, die eben darauf stießen, dass ihn ein weiteres Beliefern irgendwann, 
wenn die Ministranten mündig wären, zwangsläufig seine 
Karriere kosten würde. 
Es gab also gar keinen Ausweg. Es sei denn, der liebe Gott werfe dem Bischof Finocci 
einen Grabstein an den Kopf, räumte Pfarrer Hutwelker seine Kiste restlos aus 
und fürchtete, dass, ganz egal wie er sich auch entscheiden würde, der Bischof 
so oder so bald sein Geheimnis lüften müsse, damit es nicht in ihm verfaulte.
Aus dem Roman "Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt" von Franzobel.