Donna Leon: "Blutige Steine"

Commissario Brunettis vierzehnter Fall


Es gibt Krimireihen, da sind die Figuren, die Handlungen und die Ideen nach einigen Bänden flach und fade geworden. Da wiederholt sich das Immergleiche, und man gibt, auch wenn man über Jahre alle Folgen verschlungen hat, irgendwann enttäuscht auf und wendet sich einem der zahlreichen neuen Sterne am Krimihimmel zu. Neben etlichen Anderen ist Donna Leons Commissario Brunetti jedoch eine Garantie für höchsten Lesegenuss auf hohem literarischen, kulturellen und politischen Niveau. In seinem nunmehr vierzehnten Fall beleuchtet Donna Leon die Problematik der "excommunitari" oder auch "vucumpra" genannten schwarzen, vorwiegend aus dem Senegal stammenden fliegenden Händler in Italiens Großstädten, vorzugsweise in Venedig.

Als einer von ihnen auf offener Straße erschossen wird, erlebt Brunetti, wie die latente Fremdenfeindlichkeit bis in seine Familie hinein schwappt. Er, der doch mit seiner Frau Paola, Tochter eines uralten venezianischen Adelsgeschlechtes und Literaturprofessorin an der Universität Venedig mit dem Schwerpunkt auf amerikanischer Literatur, vor allem Henry James, all die Jahre und 13 Bände hindurch versucht hat, seine beiden Kinder liberal, demokratisch und laizistisch zu erziehen, muss sich den Kommentar seiner Tochter Chiara zu diesem Mord anhören: "Es war doch bloß ein vucumpra".

Brunetti und Paola sind entsetzt über diese Gedankenlosigkeit, behalten aber die Nerven und setzen klug darauf, dass ihre Kinder intelligent genug sind, eigene Erfahrungen zu machen und der fremdenfeindlichen und rassistischen Propaganda eine eigene Meinung entgegensetzen zu können.

Interessant für die treuen Brunetti-Fans ist an dieser Stelle, wie Paola zum ersten Mal in all den vielen Bänden im Gespräch mit ihrem Mann eigene extremistische politische Neigungen zur Zeit der Roten Brigaden zugibt.

Brunetti findet in der Massenunterkunft der Schwarzen, in der auch das Mordopfer gewohnt hat, einen Sack mit wertvollen Rohdiamanten. Mit der bewährten Hilfe seines Kollegen Vianello und den sagenhaften Computerkenntnissen von Signorina Elettra stößt er zum Leidwesen seines Vorgesetzten Patta und noch höherer Chargen im Innenministerium auf ein politisch höchst heikles und extrem vermintes Gebiet vor.

Wie immer in Venedig bleiben die Schuldigen ohne Strafe; daran hat man sich als Leser der Bücher Donna Leons schon lange gewöhnt.
Aber mit List und Tücke kommt Brunetti zusammen mit seinen Kollegen dennoch zu einem sie alle sehr befriedigenden Abschluss des Falles.
Und auch Tochter Chiara hat etwas dazugelernt ...

(Winfried Stanzick; 05/2006)


Donna Leon: "Blutige Steine"
(Originaltitel "Blood from a Stone")
Aus dem Amerikanischen von Christa E. Seibicke.
Diogenes, 2006. 368 Seiten.
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Hörbuch (ungekürzte Lesung):
Diogenes, 2006. 8 CDs, Spieldauer ca. 614 Minuten.
Sprecher: Achim Höppner.
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