Armand Mattelart: "Kultur und Globalisierung"

Marktmacht gegen Vielfalt


Globus Kultur

Zwei Begriffe, die sich mit etwas Skepsis und sensitiver Polemik betrachtet doch nur zu widersprechen scheinen, werden hier im Titel zusammengebracht, um die 'Marktmacht gegen Vielfalt' (Untertitel) als Untersuchungsprojekt zu offerieren. Es geht tatsächlich um die letzte Frage der Menschheit: wieviel Kultur können wir uns noch bewahren in diesem Taumel der globalen Rentabilität?! Sind wir Menschen nur noch Produktanhängsel - oder könnte sich Kultur doch noch dermaleinst gegenüber Konsum und Kapital behaupten?! Im vorliegenden (aus dem Französischen von Bodo Schulze übersetzten) Buch beschäftigt sich der zu den international bekanntesten Kommunikationswissenschaftlern zählende Prof. Mattelart mit einem doppelten Problem: der Gefährdung von Kultur durch die Globalisierung allgemein und mit der Schwierigkeit der Definition eines weltweiten Kulturbegriffs jenseits bildungsbürgerlich-kolonialen Denkens.

Niveau kämpft gegen Nivellierung, Zivilisation kämpft gegen Vereinheitlichung, Institutionalisierung gegen Universalisierung, Vielfalt gegen Kulturrelativismus. Das Thema ist dermaßen komplex und heikel, dass man sich neben der ökonomischen, militärischen und religiösen Problematik nichts Sensibleres oder Peinlicheres vorstellen kann. Eine weltumfassende Kultur bzw. Kultiviertheit wäre eigentlich der zuverlässigste und vielversprechendste Friedensgarant. Mattelart geht es um die "Anerkennung kultureller Vielfalt als Grundlage von Demokratie." Seit Goethe, den Romantikern und Marx glaubt man an die Idee einer "Weltliteratur" - welche bis heute seltsam kontrastiert zum Begriff der Massenkultur. Es geht dabei historisch um die Kolonialisierung der Welt durch europäische bzw. us-amerikanische "Zivilisation" und die Frage kultureller Identität betroffener Nationen. Der Film spielte eine wesentliche Rolle bei der "Amerikanisierung" der Welt, es entstand die "Kulturindustrie" - unterschiedliche Kulturbegriffe versuchten sich zu behaupten zwischen Traditionalismus und Kommunikationsschematismus.

Adorno und Horkheimer sahen in der Standardisierung, Serienfertigung und Arbeitsteilung die Auflösung dessen, was einst Kultur war. Kunst hatte sich plötzlich zu behaupten in einem Umfeld von Information, Propaganda und Kommunikation. Im Rahmen einer funktionalistischen Weltsicht praktizierten die westlichen Nationen faktisch einen Kulturimperialismus nach innen und nach außen. Andererseits kommt es nun zusehends zu einer Verflechtung der Kulturen - was ebenso die Identität einzelner Kulturen gefährdet - es entwickelt sich ein internationaler Lebensstil im Klima einer weltweiten Mediengesellschaft. Und so erwächst heute die Gefahr eines "Kulturrelativismus" - wobei Kultur auch nur noch als Begleiterscheinung bei der Schaffung eines "großen Einheitsmarkts" fungiert.

Im Oktober 2001 verabschiedete die UNESCO eine 'Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt', die laut Artikel 1 "für die Menschheit ebenso wichtig ist wie die biologische Vielfalt für die Natur." Die Kultur muss sich immer wieder neu behaupten bzw. positionieren gegenüber Ökonomie, Wissenschaft und Informationsideologie. Alles wird zu einer Dienstleistung nivelliert, die Intellektuellen sollen Positivdenker werden, schließlich wird die Kultur von allen entwicklungsbestimmenden Bereichen der Weltexistenz isoliert. Kunst verkommt zur Dekoration und zum Spekulationsobjekt. Das vorliegende Buch bietet durchaus eine bedenkenswerte historische Analyse, lässt allerdings den engagierten Biss vermissen und die Forderung, dass der Kunst das Primat individueller und gesellschaftlicher Relevanz gebührt.

(KS; 09/2006)


Armand Mattelart: "Kultur und Globalisierung"
Rotpunktverlag, 2006. 161 Seiten.
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Armand Mattelart, 1936 in Belgien geboren, ist Professor für Kommunikations- und Informationswissenschaften an der Universität Paris VIII. Er lehrte an zahlreichen Universitäten, insbesondere in Lateinamerika, und arbeitete u.a. für die sozialistischen Regierungen in Chile und Mosambik und für die UNESCO. Er zählt seit den 1970er-Jahren zu den international bekanntesten Kommunikationswissenschaftlern Frankreichs.