Peter Becker: "Dem Täter auf der Spur"

Eine Geschichte der Kriminalistik


Anforderungen, gesetzlicher Rahmen und Methoden bezüglich der Verbrechensaufklärung seit Beginn der Neuzeit

Die Anforderungen an die Kriminalistik hingen und hängen ebenso von der Regierungsform und philosophisch-ethischen Ausrichtung einer Epoche oder eines Landes ab wie der ihr gewährte Spielraum innerhalb der jeweiligen Gesetze und die angewandten Methoden. Für einen Untersuchungsrichter im 18. Jahrhundert waren Sachbeweise kaum bedeutungsvoller als eine Aussage unter Folter für ihre modernen Kollegen. Die Folter sollte schließlich Hemmungen vor der Abgabe eines Geständnisses nehmen und nicht etwa den Inhalt beeinflussen. Daher unterlag sie festen Vorschriften. Eine Straftat galt als Auflehnung gegen die bestehende, gottgegebene Herrschaftsordnung. Durch den Prozess wurde diese wiederhergestellt.
Im 18. Jahrhundert sorgte die Aufklärung für heftige Angriffe gegen die Folter, sodass diese, ausgehend von Preußen (1740), in Europa allmählich und zunächst mit Einschränkungen verboten wurde. Nun gewann der Sachbeweis an Bedeutung; psychologische Elemente der Befragung, geschickte Verhörtechniken und genaue Protokolle wurden wichtig. Zunehmend zog man technische Errungenschaften wie die Fotografie (Mitte des 19. Jahrhunderts), Sachverständige (vor allem Chemiker und Mediziner) und, über die sich ausbreitenden Medien Zeitung, Radio, Kino und Fernsehen, die Öffentlichkeit zur Verbrechensaufklärung heran. Nationale und internationale Netze entwickelten sich, letztere ab dem späten 19. Jahrhundert und immer wieder durch politische Turbulenzen unterbrochen.
Aus technischer Sicht sorgten nacheinander die Fotografie, die Daktyloskopie (Fingerabdrücke), die Ballistik, Blutnachweise, die Rasterfahndung (und EDV ganz allgemein) sowie der genetische Fingerabdruck zunächst für Skepsis und dann für beachtliche Erfolge. Auch psychologische Ansätze wie Täterprofile bieten gute Erfolgsaussichten.

Peter Becker, von Hause aus Historiker mit einem Faible für Kriminalistik, hat ein spannendes und sehr informatives Buch verfasst. Repräsentative Fallbeispiele, darunter viele weithin bekannte, zeigen am Anfang der Abschnitte die Anforderungen an die Kriminalisten auf, die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und ihre Ausschöpfung sowie unter Umständen die Grenzen der Methoden. Zahlreiche Schwarzweißfotos ergänzen den Text.
Die Einhaltung der chronologischen Reihenfolge der Entwicklungen ermöglicht dem Leser, die Geschichte der Kriminalistik in einem klaren, übersichtlichen und logischen Rahmen nachzuvollziehen. Auch komplexe Verfahren, zum Beispiel den genetischen Fingerabdruck, erläutert der Autor allgemeinverständlich und anschaulich. Erfreulich objektiv diskutiert er den Interessenskonflikt zwischen moderner, liberaler Politik und dem Anliegen der Verbrechensprävention.
Zudem gelingt es Becker, die philosophischen und politischen Grundlagen kriminalistischer Tätigkeit in früheren Zeiten sehr gut zu veranschaulichen, sodass auch heute grotesk erscheinende Verfahren wie eben das "peinliche Verhör", also die Folter, im historischen Kontext begreiflich werden.
An den Sachtext schließt sich der Anhang mit einem gründlichen Quellen- und Literaturverzeichnis an.

Wenn ich in diesem Buch etwas vermisst habe, dann eine Beschreibung des polizeilichen Vorgehens in den großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts und mehr Details über geheimdienstliche Arbeit, aber das hätte möglicherweise den Rahmen gesprengt.

Wie im Vorwort erwähnt, wendet sich das Buch an ein breites Publikum, und auch eingefleischte Krimifans können ihm interessante Informationen entnehmen.

Die Ausstattung ist vorzüglich, und auch beim Lektorat/Korrektorat wurde sorgfältig gearbeitet. Insgesamt also ein ausgesprochen lesenswertes Buch!

(Regina Károlyi; 11/2005)


Peter Becker: "Dem Täter auf der Spur"
Primus, 2005. 288 Seiten.
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Ergänzende Literatur:

Jens-Uwe Krause: "Kriminalgeschichte der Antike"
Verbrechen und Strafe im klassischen Altertum. Zur Rezension ...

Helga Schimmer: "Mord ist ihr Alltag. Kriminalisten auf Spurensuche"
Mit diesem Buch kann man Fernsehserien auf Herz und Nieren prüfen - man wird dabei so manchen erstaunlichen Unterschied zur Realität entdecken. Die Methoden der Kriminalisten auf der Suche nach Verbrechensspuren sind von faszinierender Vielfalt: Helga Schimmer hat mit Toxikologen, Faserexperten, Ballistikern und Brandsachverständigen gesprochen, hat sich mit der Arbeit von Spezialisten für Schuh-, Fuß- und Fahrzeugspuren befasst u. v. m.
Handschriftenuntersuchung, Todeszeitbestimmung mit Insektenlarven, Skelett-, Blut- und DNS-Untersuchungen sind lediglich ein kleiner Ausschnitt aus den vielfältigen Möglichkeiten, sich auf die Jagd nach dem Indiz zu begeben.
Gewürzt mit authentischen Fallbeispielen, auch aus dem deutschen Kriminalgeschehen, ist dieses Buch ein Muss für Liebhaber des Spannungsgenres. (Kremayr & Scheriau)
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