Gerhard Schulz: "Kleist"

Eine Biografie


"Nichts bei Kleist ist einfach."

Der Autor Gerhard Schulz ist emeritierter Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Melbourne und ausgewiesener Kenner der deutschen Literatur zwischen 1770 und 1830.

Kleist. Auch wenn man sich immer wieder einmal mit Kleist auseinandersetzt, so kann es passieren, dass man am Ende dennoch nicht in der Lage ist, diesen mit wenigen Worten zu beschreiben. Versucht man es trotzdem, könnte so etwas dabei herauskommen:

Es stellt sich nun die Frage, ob und wie es dem Autor gelang, diesen Heinrich von Kleist zwischen zwei Buchdeckel zu packen?

Gerhard Schulz stellt dem Werk die beiden sich widersprechenden Kennzeichen biografischen Schreibens voran, dass nämlich vergangenes Leben immer nur bruchstückhaft zugänglich sei, gleichzeitig aber menschliche Gefühle, das Denken und Handeln über Zeiten hinweg ähnlich bleiben. Dennoch, so schreibt der Autor, entsteht hierdurch der reizvolle Gegensatz historischer Ferne und zeitloser Nähe oder Ähnlichkeit menschlichen Empfindens. Erschwert wird dieses zu zeichnende Bild natürlich durch die Persönlichkeiten von Biografen und Lesern, doch das gilt ja für nahezu alle Arten von Literatur mit historischem Anspruch.

Der Autor spricht von den Schwierigkeiten bei der Erforschung von Kleists Lebens, da Tagebücher fehlen und viele Beteiligte dessen Spuren eher verwischten als konservierten, so handelte etwa die Familie Kleists allein schon wegen des Selbstmords. Und somit gibt es auch einige undokumentierte Strecken seines Lebens. Es erschweren auch die oft zur Fiktion übergleitenden Briefe Kleists das Leben des Biografen.

In einem einleitenden Kapitel werden Zeit und Person umrissen, was den Leser einstimmt und das Verständnis für den nachfolgenden Text erleichtert. Bei der Bewertung der einen oder anderen historischen Person kann man geringfügig anderer Meinung sein, so etwa, ob Friedrich II. ein aufgeklärter Herrscher war oder nicht, und ob Voltaire ihn wirklich verehrte. Dieser literarische Virtuose der Aufklärung und Großkaspar Arouet verehrte letztlich nur die, die auch ihn verehrten, vermutet der Rezensent.

Der Autor ordnet Kleist als unpolitischen Menschen ein nach der Definition der Politik als Kunst, des Möglichen, des Abwägens, der Bereitschaft zum entschiedenen aggressiven Handeln ebenso wie zum geschickten Kompromiss. Doch da vermag der Rezensent dem Autor nicht ganz zu folgen, denn die Politik hat auch den Auftrag, den Menschen ein freies, emanzipiertes, wirtschaftlich und rechtlich gesichertes Leben zu ermöglichen. Und damit hat der "Michael Kohlhaas" ebenso zu tun wie "Die Hermannschlacht" oder der "Prinz von Homburg". Und in einem Preußen Friedrich Wilhelm III. wusste Kleist genau, was er da einklagte. Goethe hingegen wäre zwar der Definition des Autors zufolge ein politischer Mensch gewesen, aber dieser war es nach Ansicht des Rezensenten eben nicht, da ihm beispielsweise Menschenrechte nichts sagten und er auch Pressefreiheit für überflüssig, gar gefährlich hielt. Doch mit diesen Details, die die Biografie im Kern gar nicht berühren, hat sich die Kritik des Rezensenten auch schon erschöpft, der Rest ist anerkennendes Staunen über eine herausragende Biografie eines herausragenden und schwierigen deutschen Literaten.

Apropos Goethe. 1807 missglückte die von diesem in Weimar inszenierte Aufführung des Lustspiels "Der zerbrochene Krug". Die Gründe für das Scheitern der Aufführung waren dem Rezensenten bislang nicht bekannt, denn selbst die beiden renommierten Goethe-Biografen Friedenthal und Conrady decken diese in ihren Werken nicht auf. Es war, so die vorliegende Biografie, somit nicht nur das Zergliedern eines Einakters in drei Akte, sondern der Umstand, dass unmittelbar vorher bereits eine Oper aufgeführt wurde und zudem der Darsteller des Dorfrichters Adam einen schleppenden Vortrag hatte. Aber vielleicht war Goethe auch schon zu sehr Goethe, um sich noch einmal mit einem innovativen Schauspiel auseinanderzusetzen und dem eine Bühne zu bereiten. In seinen nachfolgenden Urteilen über die Werke Kleists hat sich der Geheime Rat auch nicht mit Ruhm bekleckert.

Obwohl sich Teile der Vita des Heinrich von Kleist der sicheren Erkenntnis entziehen, kann man überwiegend nachzeichnen, was er trieb. Doch was ihn hierbei antrieb, bleibt wohl weitgehend im geschichtlichen Dunkel. Das bietet natürlich reichlich Gelegenheit für Spekulation. Diese enthält uns der Autor nicht vor, aber er unterlässt zumeist eine Wertung. Gelegentlich deutet er an, was er für wahrscheinlicher hält - erinnert sei beispielsweise an die geheimnisvolle Reise nach Würzburg im Jahre 1800. Auf den letzten 200 Seiten kommt eine Spannung auf, der man sich kaum entziehen kann.

Da werden es zukünftige Kleist-Biografen aber schwer haben, denn diese Biografie ist fachlich und stilistisch ein Meisterwerk. Dabei lernt man Kleist kennen, folgt ihm, beobachtet ihn, aber dennoch wird stets ein Abstand gewahrt, den viele Biografen leider vermissen lassen. Folgender Satz mag diesen Anspruch des Autor unterstreichen: "Der Grad der Intimität dieser Liebe zwischen Marie und Heinrich von Kleist gehört jedenfalls in den Bereich des Privaten, von dem wir nichts wissen, aber auch nichts zu wissen brauchen."

(Klaus Prinz; 09/2007)


Gerhard Schulz: "Kleist. Eine Biografie"
C.H. Beck, 2007. 608 Seiten.
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