Kardinal Franz König: "Unterwegs mit den Menschen"

Vom Wissen zum Glauben


Vorträge, Zeitkommentare und Ansprachen

"Es ist ein Segen, eine Gnade, wenn man zu der Feststellung gelangen kann: Jetzt ist die Zeit, um in Gelassenheit und Ruhe mein Leben zu ordnen, zu überdenken; zu wissen, dass für mich die Zeit kommt, um mein Leben in die Hand dessen zurückzugeben, der es mir als einen getreuen Verwalter übergeben hat." Diesen Gedanken schrieb der Alterzbischof von Wien und emeritierte Kardinal, Dr. Franz König, in seinem fünfundneunzigsten Lebensjahr nieder. Inzwischen ist der Gottesmann in seinem neunundneunzigsten Lebensjahr verstorben. Seine sterblichen Überreste ruhen nun in der Bischofsgruft von St. Stephan. In seinem langen Leben beschäftigte und hinterfragte König immer wieder, was Sinn und Ziel unseres Lebens ist, wohin es führt und was nach diesem Leben sein wird. Fundamentale Fragestellungen, die über eine unermüdliche Vortragstätigkeit und durch sein Schrifttum (Aufsätze und Zeitkommentare) in eindrücklicher Form Gestalt erlangten, wie sie im gegenständlichen Buch dokumentiert sind.

Mit dem vorliegenden Buch listen die Herausgeber Annemarie Fenzl und Reginald Földy eine Auswahl von Kardinal Königs Referaten auf, mit welchen er Bereiche des religiösen und öffentlichen Lebens, sowie Kernthemen des Menschseins schlechthin aus christlich-humanistischer Perspektive thematisierte.

Die von Dr. König referierten Thematiken sind in vier großen Abschnitten zusammengefasst, die sich des Weiteren auszugsweise wie folgt untergliedern:

1. Die Welt des Menschen: Europa und sein Sonderweg, Demokratie und Menschenrechte, Kunst und Kultur, Medizin und der Mensch als Kosten-Nutzen-Rechnung, Ethik und Wirtschaft.
2. Unterwegs mit den Menschen: Das Zweite Vatikanische Konzil, die Jahrtausendwende, der Jahreskreis, Dank und Bitte, Mariazell.
3. Die Würde des Menschen: Reue und Umkehr, Leib und Seele, Leben und Sterben, die Macht des Bösen, Rassenhass ist Christushass.
4. Religion gehört zum Wesen des Menschen: Jenseits und Diesseits. Abschied von Gott? Die Kirche von morgen. Wer ist Jesus Christus?

In den Ausführungen brilliert der Kardinal nicht nur in theologischer Hinsicht durch ein profundes Wissen, sondern auch in Fragen von Kunst und Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft wird eine ausgereifte Fachkenntnis manifest, wie sie nur ein Mann von umfassender Bildung und lebendigem Interesse an der Schöpfung haben kann. Seine besondere Sorge gilt der Zukunft der abendländischen Christenheit, womit der Kirchenmann in den ausgehenden 1990erjahren (die meisten Texte datieren zwischen den Jahren 1994 und 2000) eine Problematik andachte, welche mittlerweile in Folge aufkeimender Konflikte zwischen zusehends rivalisierenden Kulturen so richtig an Brisanz gewonnen hat. Sohin gibt der Kardinal zu bedenken, dass ein zukünftiges Europa mit einer laizistischen Staatsräson nach dem Beispiel Frankreichs, welches strikt an den Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution festhält (Ideen, denen nach der Auffassung Königs das zutiefst christlich geprägte Europa immerhin die Umwandlung der christlichen Theologie in eine humanistische Anthropologie verdankt), vor großen Schwierigkeiten steht: Der Islam mit seiner Ablehnung einer Trennung von Kirche und Staat, die vielen Sekten mit ihrer Forderung nach Einfluss, das neue Interesse der jungen Generation an den religiösen Fragen gibt sich nicht zufrieden mit einer Religion, die Privatsache ist. - Die Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche in der Geschichte des christlichen Abendlandes haben Europa geprägt, sind aber außerhalb Europas schwer verständlich.

Kirche bedeutet Wille zur Weiterentwicklung und darf nicht in einem auf ewige Gültigkeiten fixierten Zweckkonservativismus erstarren. In diesem Sinne verweist König auf die überragende Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils, ein Leitmotiv des Kardinals, welches unter anderem das Verhältnis der Kirche zur Demokratie (ohne das Wort "Demokratie" zu gebrauchen) zusammenfasste, wobei jedoch die jeweilige Unabhängigkeit und Autonomie von Gemeinschaft und Kirche herausgestrichen wurde. In einem demokratischen Gemeinwesen bestünden die besseren Voraussetzungen für den Schutz menschlicher Grundrechte, antidemokratische Tendenzen seien deswegen auf staatsbürgerlicher Ebene abzulehnen, doch bedürfte die Mitverantwortung des Einzelnen gesicherter Werte und Grundsätze, die nicht erst durch Mehrheitsbeschlüsse gefunden werden können. Und wortwörtlich zitiert König in diesem Zusammenhang aus "Centesimus annus": "Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen öffentlichen oder hinterhältigen Totalitarismus." In diesem Sinne meint König zwar, dass es nicht Aufgabe des Klerus sein könne, in die Tagespolitik einzugreifen, doch gelte es mahnend die Stimme zu erheben, wenn Demokratie einseitig nur noch als maßlose Freiheit verstanden wird. Freiheit schließt immer Verantwortung für das Gemeinwohl mit ein, wie denn auch Freiheit und Gleichheit immerzu im Lichte des abendländischen Humanismus und der christlichen Wert- und Weltordnung zu erkennen sind. Das ist kein Widerspruch, denn das christliche Menschenbild ergänzt und erhöht das humanistische. Eine Demokratisierung der Kirche nach dem Modell partiell demokratisierter staatlich-politischer Strukturen wird von König folglich als sachlich unbegründet zurückgewiesen, doch bekundet er sich als Fürsprecher eines ausgeprägten Laienapostolates, womit er Tendenzen in Richtung einer einseitigen (den Gläubigen entmündigenden) Klerikerkirche eine deutliche Absage erteilt.

Im Zusammenhang mit Religion - und da jetzt insbesondere mit den zur weltfernen Orthodoxie tendierenden Buchreligionen - stellt sich allemal die Frage, inwieweit die vor vielen Jahren unter völlig anderen Zeitumständen geschriebenen Gottesworte für unsere Tage von Bedeutung sein können. König gelingt es diesbezüglich die Bekenntnisse des Ewigen in sinnigen Bezug zu den ethischen Prinzipien der Jetztzeit zu setzen, wobei er wiederholt auf die von ihm hoch geschätzten Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils zurückgreift. König reflektiert die Unveräußerlichkeit und Unantastbarkeit der Menschenrechte im Lichte der Bergpredigt des neuen Testaments, wo Jesus eine "Goldene Regel" aufstellt, die das archaische Prinzip von Vergeltung und Rache ein für allemal verwirft: "Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!" (Mt 7,12) Von dieser "Goldenen Regel" leitet sich ein umfassender Friedensethos ab, der nicht nur die generell gewaltlose Lösung von Konflikten, im Großen wie im Kleinen, postuliert, sondern, in Hinblick auf die Gespaltenheit der christlichen Glaubenswelt, eine Politik der Ökumene einfordert. Wobei das Letztere dem Kardinal in Gestalt des von ihm forcierten interreligiösen Dialogs immer ein besonderes Anliegen war.

Summa summarum spricht aus den versammelten Texten des Kardinal Dr. Franz König ein leidenschaftliches Bekenntnis zum dialogischen Miteinander der Menschen im Kleinen (etwa innerhalb der Familie), in der Gesellschaft, der Staatengemeinschaft und nicht zuletzt im Umgang konkurrierender Konfessionen. Seine Worte sind Verlautbarungen eines Friedensdienstes im Namen Jesu Christi, welcher, und so ist eben die Überzeugung des Christenmenschen, die Verkörperung der Botschaft des himmlischen Vaters ist. In diesem Sinne ist und bleibt die Christusfrage eine Frage der Weltgeschichte. Somit eine Frage, die uns alle berührt.

(Dr. Hans Schulz; 05/2004)


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Ergänzender Buchtipp:

Hubert Feichtlbauer: "Franz König. Der Jahrhundert-Kardinal"
Ein Kumpeltyp ist Franz König nie gewesen. Ein Freund der Menschen immer. Viele Ehrentitel hat man ihm zugedacht: Brückenbauer, Kirchendiplomat, Integrationsfigur in Kirche und Welt; Österreichs Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg hat ihn sogar als "Kirchenkönig" geadelt. Aber aller Glanz der großen Welt konnte seiner Hingabe an die Erstaufgabe als Priester nichts anhaben: Er ist immer ein Seelsorger gewesen, und immer mehr eine Art Kardinal-Seelsorger einer ganzen Nation. Nach zwei Weltkriegen, Bürgerkrieg und Gewaltherrschaft hat er die Kirche in Österreich wie kein zweiter Wiener Erzbischof im 20. Jahrhundert geprägt und auf neuen Kurs gebracht: ein Jahrhundert-Kardinal! (A. Holzhausen)
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