Lutz Kinkel: "Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das 'Dritte Reich'"

100 JAHRE UND KEIN BISSCHEN WEISE

Eine neue Biografie von Lutz Kinkel untersucht die Rolle Leni Riefenstahls im "Dritten Reich"


Kaum eine prominente Künstlerin wird so oft mit dem zweifelhaften Attribut "umstritten" versehen wie Leni Riefenstahl. Doch die Fakten ihrer einzigartigen Karriere im "Dritten Reich" verschwinden oftmals hinter den vielfältigen Interpretationen ihrer Person und ihres filmischen Werks.

Eine "Führerbraut ohne Geschlechtsverkehr" nennt sie Rudolf Augstein, als "Genie des Films" wird sie von Jean Cocteau gepriesen, für manche Feministinnen ist sie eine zu Unrecht verfolgte Kunstdienerin des Mannes. Stars der Populärkultur wie David Bowie, George Lucas oder Helmut Newton kopieren ihre Bildsprache und machen sie damit zu einer der ihren, Margarete Mitscherlich sieht in ihr die "Superverleugnerin", eine Symbolfigur für das kollektive Verdrängen, und Leni Riefenstahl selbst präsentiert sich stets in der Rolle des einsamen, verfolgten Genies, der unabhängigen Künstlerin, die nie etwas mit Politik am Hut gehabt und doch nur Dokumentarfilme gedreht habe.

Bei den Feierlichkeiten zum Geburtstag der Regisseurin, Schauspielerin und Fotografin, der sich im Jahr 2002 zum 100. Mal jährt, wird Lutz Kinkels treffend betitelte Biografie "Die Scheinwerferin" auf dem Gabentisch der bis heute verbissen um ihren Ruf kämpfenden alten Dame sicherlich keinen Ehrenplatz einnehmen. In seinem wissenschaftlich fundierten und akribisch recherchierten Buch trennt der Historiker und Journalist Tatsachen von Mythen, demontiert basierend auf jahrelangem Quellenstudium die von Riefenstahl verbreiteten Legenden und dokumentiert detailliert ihre weitreichende Verstrickung in das NS-Regime.

"Mit unbeschreiblicher Freude, tiefbewegt und erfüllt mit heißem Dank erleben wir mit Ihnen mein Führer, Ihren und Deutschlands größten Sieg, den Einzug deutscher Truppen in Paris. Mehr als jede Vorstellungskraft menschlicher Fantasie vollbringen Sie Taten die ohnegleichen in der Geschichte der Menschheit sind, wie sollen wir Ihnen nur danken? Glückwünsche auszusprechen das ist viel zu wenig um Ihnen meine Gefühle zu zeigen die mich bewegen.  Die tiefe Verbundenheit mit Hitler, die Riefenstahl 1940 so überschwänglich in einem Telegramm zum Ausdruck brachte und später so vehement verharmloste, war der Grundstein für ihre steile Karriere unter dem Hakenkreuz. Minutiös belegt Kinkel die zahlreichen Treffen zwischen der Künstlerin und dem von ihr als "guter Mensch" idealisierten Hitler, dessen direkte Unterstützung ihrer Filmarbeit sowie Riefenstahls politische und diplomatische Gefälligkeiten und bedient sich psychobiografischer Ansätze, um die wechselseitige Faszination und Bewunderung zu erklären.

Auch die von Riefenstahl - und so manch anderer deutscher Künstlerin, die unter der NS-Herrschaft aktiv war - gesponnene Mär von der Feindschaft des Propagandaministers Joseph Goebbels, der ihr aufgrund seiner - natürlich abgewiesenen - Annäherungsversuche beruflich nichts als Steine in den Weg gelegt hätte, tritt der Autor entgegen. Goebbels war zwar über ihre ständigen Extravaganzen und notorisch überzogenen Filmbudgets verärgert, förderte aber, wie zahlreiche Akten und Schriftstücke beweisen, ihre Arbeit aus politischen und künstlerischen Gründen. Für den "kultivierten Agitator" (Reinhard Merker), der im Gegensatz zu Hitler einen modernen Kunstgeschmack hatte, verkörperte Riefenstahls Werk sein Ideal der nationalsozialistischen Kunst, und er wusste um den unschätzbaren propagandistischen Wert ihrer Filme, die der Welt einen "schönen Faschismus" präsentierten.

Nach einer kurzen Karriere als Ausdruckstänzerin versuchte sich die mit einem eisernen Willen gesegnete junge Riefenstahl in der 1920er Jahren unter großem Einsatz von Charme und Sportlichkeit als Schauspielerin im damals beliebten Genre der Bergfilme. "Unwiderstehlich zog es mich nach oben", notierte die am 22. August 1902 geborene Berlinerin in ihren Memoiren. Ihr Ehrgeiz beschränkte sich nicht auf die Eroberung von Berggipfeln, Kollegen und dem Publikum - 1932 hatte "Das blaue Licht" Premiere, ihr erster eigener Film als Regisseurin. Wie schon ihre Versuche als Schauspielerin fand auch ihr Regiedebüt nur bestenfalls geteilte Aufnahme bei den Kritikern und an den Kinokassen, doch im selben Jahr kam es, nachdem Riefenstahl begeistert "Mein Kampf" gelesen hatte, zum ersten Treffen zwischen dem zukünftigen Diktator und seiner zukünftigen Lieblingsregisseurin.

Nach diesem "Auftakt zu einer tiefen Freundschaft" stieg Riefenstahl schnell in den engen Kreis um Hitler auf und wurde für ihre offene Sympathie für den Nationalsozialismus bald mit Filmaufträgen und idealen Produktionsbedingungen belohnt. Ihre mit aufsehenerregenden künstlerischen und technischen Mitteln gedrehten und mit riesigem Propagandaaufwand vermarkteten Filme über die Parteitage der NSDAP machten sie zum "Superstar des Nationalsozialismus, einer Frau, die im Ruf stand, ein Genie zu sein".

Bei ihren beiden über die Berliner Olympischen Spiele von 1936 gedrehten Filme "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit", deren Entstehungsgeschichte Kinkel ausführlich rekonstruiert, hatte die Regisseurin finanziell und künstlerisch völlig freie Hand und brachte durch ihren Perfektionismus und ihre Hyperaktivität sich und ihre Mitarbeiter an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Das Ergebnis der jahrelangen Arbeit waren künstlerische Maßstäbe setzende Filme, die der Welt in heroischen Bildern den Nazi-Staat als kraftvolles, friedliebendes und weltoffenes Land und Hitler als dessen sympathischen Führer zeigten.

Auf dem Gipfelpunkt ihres Ruhmes angelangt, wurde Riefenstahl mit Ehrungen und Geld überhäuft, bekam hymnische Pressekritiken und konnte auch auf einer höchst erfolgreichen internationalen Promotiontour ihr geschöntes Bild von Deutschland verbreiten. In den USA allerdings wurde die erfolgsverwöhnte Regisseurin erstmals mit breitem Widerstand konfrontiert. "Es gibt keinen Platz in Hollywood für Leni Riefenstahl", inserierte die von den beiden "Warner Bros." Harry und Jack Warner angeführte "Anti-Nazi-League" in großformatigen Anzeigen in den Branchenblättern "Hollywood Reporter" und "Daily Variety". Das willfährige Instrument der NS-Propaganda fand keinen Verleiher für ihre Olympia-Filme und wurde für die Politik Hitlers haftbar gemacht.

Riefenstahl reagierte auf die zum Teil unwahren Anschuldigungen mit Behauptungen und Rechtfertigungen, die sie von nun an ihr Leben lang begleiten sollten: Sie sei eine freie, unabhängige Regisseurin, die allein aufgrund ihrer künstlerischen Fähigkeiten den Auftrag erhalten habe, Ereignisse im nationalsozialistischen Staat zu dokumentieren. Kinkel räumt gründlich mit diesen Täuschungsmanövern auf, er weist Riefenstahl unzählige geschäftliche, künstlerische, persönliche und ideologische Verbindungen zum NS-Staat und seinen Spitzen nach und schildert die im Namen des künstlerischen - und letztendlich politischen - Wollens eingesetzten Manipulationen und Inszenierungen der "dokumentierten" Ereignisse.

Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen stand Deutschlands Starregisseurin vor neuen Aufgaben: "Ich überlegte, wie ich mich in einem Krieg nützlich machen könnte." Doch nachdem Riefenstahl an der Front bald mit traumatischen Erlebnissen konfrontiert worden war, überließ sie die Kriegsberichterstattung nur allzu gerne ihren Kollegen und widmete sich lieber ihrem neuen Regieprojekt "Tiefland". Das Berghirtendrama, das mit ihr selbst in der Hauptrolle (fehl)besetzt war, entwickelte sich zu einem finanziellen Fass ohne Boden und trieb Riefenstahl, deren Selbstbewusstsein nicht weit vom Größenwahn entfernt gewesen zu sein scheint, in Depressionen und die völlige Erschöpfung. Trotz der selbst in Kriegszeiten großzügigen staatlichen Unterstützung scheiterte sie diesmal an sich selbst und ihren überhöhten Ansprüchen. Der Film, "eine der bizarrsten Produktionen der deutschen Filmgeschichte", wurde erst 1954 uraufgeführt, in einer Zeit, in der seine Schöpferin schon mehrere - sie entlastende - Entnazifizierungsverfahren hinter sich hatte.

Als sie nach Kriegsende von den Alliierten mit Bildern aus Konzentrationslagern konfrontiert wurde, erklärte Riefenstahl den verhörenden Offizieren: "Ich hätte Selbstmord begangen, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, ich wäre für diese Verbrechen mitverantwortlich." Verdrängt war der skrupellose Einsatz von Sinti- und Roma-Zwangsarbeitern als Komparsen bei den Dreharbeiten von "Tiefland", verleugnet ihr später heftig bestrittenes herzliches Verhältnis zu Julius Streicher, dem Herausgeber des rassistischen Hetzblattes "Der Stürmer", vergessen die Tatsache, dass sie ihr Leben einer Kunst widmete, die mit blendenden Bildern ein menschenverachtendes Regime zu verherrlichen half. Weder der Freispruch durch die Entnazifizierungsprozesse und ihr ehrliches Entsetzen über die Massaker in Polen, die sie als Kriegsberichterstatterin miterlebt hatte, noch ihre Hilfe, die sie verfolgten jüdischen Bekannten und Kollegen zukommen ließ, können über ihr moralisches Versagen hinwegtäuschen.

Im Gegensatz zu Hitlers Sekretärin Traudl Junge, die sich in jüngster Zeit öffentlich mit ihrer Stellung im NS-Regime auseinander setzte, unterzog sich die "hemmungslose Opportunistin" Riefenstahl nie dem schmerzhaften Prozess der Selbstanalyse. In ihren 1987 erschienenen Memoiren präsentiert sie sich immer noch als unpolitische Frau, die ihr Leben nur der Kunst geweiht hat. Kinkel bemerkt zu ihrem leichtfertigen und verfälschenden Umgang mit ihrem umfangreichen Material und zu Manipulationen von Presseartikeln, Literatur und sogar amtlichen Dokumenten: "Was nicht gefiel, verschwand im Archiv oder wurde nachinszeniert. So formte die Regisseurin ihre Filme, und so formte die Autorin ihre Memoiren. Wie üblich wollte sie das Publikum mitreißen und begeistern."

Diese Intention erfüllte sich rasch, die Lebenserinnerungen der "Umstrittenen", die sich vor den stetigen Debatten um ihre Person verbittert nach Afrika geflüchtet hatte, wurden zu einem in über ein Dutzend Sprachen übersetzten Bestseller. Das Interesse an Riefenstahl und ihren Werken hat nicht nachgelassen, bis heute profitiert die noch immer als Filmemacherin und Fotografin Tätige von ihrem zweifelhaften Ruf. Hollywood-Größen wie Jodie Foster ebenso wie deutsche Produzenten planen die Verfilmung ihres Lebens, Fotobände feiern die Ästhetik ihrer Bilder, und besonders anlässlich ihres 100. Geburtstags ist sie wieder einmal der begehrte Mittelpunkt von Dokumentationen und Porträts, bieten ihr Interviews aufs Neue eine Plattform, ihre Sicht der Geschichte zu verbreiten.

Unbarmherzig blickt Lutz Kinkel hinter die über Jahrzehnte sorgfältig gepflegte Fassade des "schönen Scheins", mit dem die Regisseurin so gerne auch ihre Biografie inszenieren würde, und findet eine deutliche, aber durchaus differenzierte Antwort auf die Frage nach Riefenstahls tatsächlicher Rolle im "Dritten Reich": "Ihre Begeisterung für Hitler, (...) die staatlich geförderte Karriere - Millionen anderer Deutscher fühlten und verhielten sich genauso. Riefenstahl verfasste keine Hetzschriften, sie tötete niemanden. Wäre sie irgendjemand gewesen, ihr Leben unter dem Hakenkreuz würde nicht einen Funken Aufmerksamkeit erregen. Riefenstahl war jedoch jemand. Sie nahm verschiedene politische Funktionen wahr, für die es keine offiziellen Bezeichnungen und Dienstgrade gab: Sie war ein Glamourgirl der braunen Prominenz, Repräsentantin des deutschen Films, Hitlers Privatbotschafterin und Alibifrau. Ihr Image als Sportsfrau schmiegte sich an die NS-Rassenpolitik, mit ihren gleißenden dokumentarischen Propagandafilmen verewigte sich die Regisseurin in der Kino- und Politikgeschichte. Riefenstahl munitionierte eine zentrale politische Strategie der Nationalsozialisten: die Menschen mit ästhetischen Mitteln für das Regime zu begeistern. Und es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie nicht wusste, was sie tat."

(sb; 08/2002)


Lutz Kinkel: "Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das 'Dritte Reich'"
Europa, 2002. 384 Seiten.
ISBN 3-203-84109-6.
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Leni Riefenstahl: "Memoiren"
Taschen-Verlag, 2002. 928 Seiten.
ISBN 3-8228-0834-2.
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Karin Wieland: "Dietrich & Riefenstahl. Der Traum von der neuen Frau"
Berlin, 1918: Zwei Frauen träumen den gleichen Traum vom Erfolg.

Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl spüren, dass ihre Stunde gekommen ist - sie wollen zum Film und Theater, und der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten.
Sie haben ein sicheres Gespür dafür, wie man sich als moderne Frau inszeniert. Befeuert vom Triumphzug der Massenmedien, steigt Dietrich in Hollywood zur internationalen Berühmtheit auf, während Riefenstahl Adolf Hitler jene Bilder liefert, die er für seine Propaganda braucht.
Karin Wieland gelingt mit diesem Buch ein überraschender, neuer Blick auf die Kultur und Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Was jungen Frauen heute als Ideal vorschwebt, wurde im Berlin der Zwischenkriegszeit von zwei Filmschauspielerinnen erfunden. (Hanser)

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