Ferenc Karinthy: "Das goldene Zeitalter"


Ferenc Karinthy war der 1921 geborene Sohn des berühmten ungarischen Schriftstellers Frigyes Karinthy und der jüdischen Psychiaterin Aranka Böhm. 1943 musste er die Verschleppung und Ermordung seiner Mutter in Auschwitz erleben.

Er fängt trotz des berühmten Vaters an, selbst zu schreiben; Novellen, Romane, Reportagen, Theaterstücke. Wegen seiner jüdischen Herkunft hat er persönlich unter den antijüdischen Gesetzen des Horthy-Regimes zu leiden und schwört jeglicher politisch aktiver Haltung ab. Als seine Freunde 1956 das Land verlassen, bleibt er. Er schreibt weiter, und in den Jahren der "gemäßigten Diktatur", als die Zensur nachlässiger geworden ist, wird sein kritisches Werk "Epepe" mehrere zehntausend Mal verkauft.

Karinthy hat als Kriegsdeserteur 1944 selbst die Atmosphäre in den Luftschutzkellern kennen gelernt, die er in der Novelle "Das goldene Zeitalter" beschreibt. Er macht sich einen Spaß daraus, etwas Unrealistisches zu erfinden, das aber eine solche Menge an Hoffnung und Optimismus ausstrahlt, dass es ansteckend wirkt. Der Autor erfindet das Leben des jungen ungarischen Juden Joseph Beregi.

Wir schreiben das Jahr 1944, Weihnachten wird gefeiert, seit dem März des vorangegangenen Jahres ist Ungarn von den Deutschen besetzt, die faschistische Bewegung der Pfeilkreuzler ist an die Macht gelangt.
Die Juden werden verfolgt bis in die letzten Winkel und in Vernichtungslager gebracht. Nur durch ein Wunder ist Beregi noch am Leben, doch Karinthy lüftet dieses Geheimnis nicht.

Auf jeden Fall ist Beregi noch da, versteckt sich als kleiner Don Juan inmitten der Frauen eines Wohnhauses. Da Budapest von der Roten Armee umzingelt ist, können die verbliebenen 200.000 in der Stadt überlebenden Juden nicht deportiert werden, müssen aber während ihres Wartens auf die Befreiung den heftigen Bombardierungen entkommen, dem Hunger und den Pfeilkreuzlern, die sie zu Hunderten an der Donau erschießen und ins Wasser werfen.

Karinthy gelingt es, die Diskrepanz zwischen dem Grauen dieser historischen Wirklichkeit und der fast frivolen Sorglosigkeit seines Helden zum eigentlichen Thema des Buches zu machen.
Herausgekommen ist eine Novelle, die auf köstliche Weise unterhält. Man schmunzelt über diesen Beregi, der sich von der Offizierswitwe Ferenczy nicht nur mit Lebensmitteln verwöhnen lässt, dann auch ihre siebzehnjährige Tochter verführt und selbst die Pfeilkreuzlerin Mikucz am Donauufer "herumkriegt", nachdem sie ihn verhaftet hat und töten will.

"Es ist ein lächerliches und tragisches 'goldenes Zeitalter', in dem der verrückte Held, letzter Überlebender seiner Art, beschließt, der Barbarei der Geschichte seinen Willen zum Glück entgegenzusetzen", schreibt Marion von Renterghem in ihrem lesenswerten Nachwort.

Dass sich Beregi am Ende der Geschichte zweier jüdischer Waisenkinder annimmt, scheint wie ein Zeichen für den Neubeginn seines geschundenen und ausgelöschten Volkes und ist die bewegendste Stelle des ganzen Buches.

(Winfried Stanzick; 10/2006)


Ferenc Karinthy: "Das goldene Zeitalter"
(Originaltitel "L'age d'or")
Aus dem Ungarischen von György Buda.
Mit einem Nachwort von Marion van Renterghem.
SchirmerGraf, 2006. 128 Seiten.
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Ferenc Karinthy (1921-1992) verlebte viele Jahre im Exil in Paris und Rom. Übersetzer von Cocteau, Molière und Goldoni. Er gehört zu den großen ungarischen Literaten, die jetzt auch auf Deutsch entdeckt werden.