Einar Kárason: "Sturmerprobt"


Stormur ("der Sturm"), die Hauptfigur in Einar Kárasons auf beste Weise unterhaltsamem Roman, hat es nicht leicht, aber das nimmt der Protagonist nicht schwer. Er ist in sogenannten schwierigen Verhältnissen aufgewachsen und erhält deshalb, als er die Schule nach der siebten Klasse verlässt, vom Schulleiter eine besondere Belobigung - nämlich dafür, dass er es überhaupt geschafft hat.

Eyvindur Jonsson, so heißt Stormur mit bürgerlichem Namen, setzt seine schulische "Erfolgsgeschichte" fort. Mit seinem fest in den Genen verankerten Hang zu Bequemlichkeit und Faulheit versteht er es bestens, andere, vorzugsweise Frauen, für sich arbeiten zu lassen. War es zunächst seine Mutter, wird diese bald abgelöst von Stefania, die er, zwanzigjährig, heiratet und mit der er zwei Kinder hat.

Arbeiten ist seine Sache nicht, und da in seiner Heimat Island für solche Schmarotzer doch recht wenig getan wird, wandert er mit seiner Frau und den Kindern nach Odense in Dänemark aus, wo er über viele Jahre die Segnungen des dänischen Sozialstaats in vollen Zügen genießt. Susanne vom Sozialamt in Odense oder er selbst haben immer genug Fantasie, um die Zeit der sozialen Hängematte zu verlängern.

Stormur verträgt eine ganze Menge Alkohol, und solange er damit genügend bevorratet ist, sieht er optimistisch in die Zukunft. Er hat einen Freund, Sigurbjörn Einarsson, der über Jahre, besonders an den Wochenenden, zum fünften Familienmitglied wird. Mit vielen anderen Freunden trifft sich Stormur regelmäßig, und seine außerordentliche Fähigkeit und Gabe, auf eine ganz eigene, die Leute begeisternde Art Geschichten, Witze und Anekdoten zu erzählen, bringt ihn durch viele tiefe Gewässer und über steile Lebensklippen.

Eine vorübergehende Episode bleibt sein Aufenthalt in Amerika, wo er dachte, sein großes Glück machen zu können. Umso begeisterter nimmt Stormur nach seiner Rückkehr nach Island ein Angebot an, das ihm, wie er meint, den Schritt zum gemachten Mann ermöglichen wird.

Ein Verlag möchte ein politisch hundertprozentig korrektes Buch publizieren, das im Obdachlosen- bzw. Alkoholikermilieu spielt, und glaubt, in Stormur den passenden Autor für dieses Werk gefunden zu haben. Er soll das Buch jedoch nicht selbst schreiben, das soll ein Team von Studenten erledigen. Stormur soll mit seinem frechen Mundwerk und seinen zweifellos vorhandenen Milieukenntnissen und -erfahrungen für die Öffentlichkeit, das Fernsehen, die Gesprächsrunden und die Kulturszene den ebenso begnadeten wie exaltierten Autor mimen.

Er tut das auch sehr geschickt, wird berühmt, das Buch wird sogar über Wochen ausverkauft als Theaterstück am Staatstheater gespielt, doch Stormur sieht kein Honorar, weil der Verlag, abermals politisch absolut korrekt, in seinem Vertrag festhielt, die Tantiemen sollten Obdachlosenprojekten gespendet werden, was niemand sonst weiß.
Stormur beginnt sich zu wehren, doch seine Kräfte sind bald am Ende, und er sehnt sich in die Hängematte nach Odense in Dänemark zurück.

Das Buch wurde vom zweisprachigen isländischen Autor Kristof Magnusson hervorragend übersetzt. Fast gewinnt man beim Lesen diesen begnadeten Sozialschmarotzer lieb, wie er sich durchs Leben schlängelt und immer wieder auf die Füße fällt. Solange so einfältig geschilderte Frauen wie Stefania ein derartiges Leben decken und unterstützen, werden solche Männer auch erfolgreich sein.

Doch darum ging es dem Autor nicht hauptsächlich. Er wollte ein lustiges, unterhaltsames Buch verfassen, ein Unikum beschreiben sowie die Verlagsszene ebenso wie die Kulturschickeria seines Landes kräftig auf die Schaufel nehmen.
Und das ist ihm hervorragend gelungen.

(Winfried Stanzick; 02/2007)


Einar Kárason: "Sturmerprobt"
(Originaltitel "Stormur")
Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson.
btb, 2007. 333 Seiten.
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Einar Kárason, geboren 1955, ist einer der wichtigsten isländischen Autoren. "Sturmerprobt" war sowohl für den Nordischen Literaturpreis als auch für den Isländischen Literaturpreis nominiert.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Feindesland"

Island im Jahre 1328. Zwei rivalisierende Clans kämpfen um die Vorherrschaft im Land. Blutige Gemetzel und politische Intrigen sind an der Tagesordnung, die Bevölkerung ist in Schrecken erstarrt. Der junge Thordur ist der letzte seiner Sippe. Bislang hat er sich nicht gerade durch Wagemut hervorgetan, ist vor allem durch sein ausschweifendes Leben am norwegischen Königshof aufgefallen, wo er sein ganzes Geld mit Saufgelagen und Hurerei durchbrachte. Doch als ihn die Schreckensnachricht vom Tod seines Vaters und seiner Brüder erreicht, ändert sich alles für ihn. Er beschließt, nach Island zu segeln, um sein Erbe einzufordern. Wird es ihm gelingen, seine Familie zu rächen und seine Feinde zu besiegen?
"Feindesland" erzählt von einer der unruhigsten und blutigsten Zeiten der isländischen Geschichte. Die Streitigkeiten zwischen den Sturlungen und ihren Feinden haben die Historiker seit jeher beschäftigt. Kárason bezieht sich auf diesen authentischen Hintergrund, ohne sich von ihm gefangen nehmen zu lassen. Ein atmosphärisch dichter, hoch spannender historischer Roman von einem der wichtigsten isländischen Autoren der Gegenwart. (btb)
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