Jutta Rosenkranz: "Mascha Kaléko"

Biografie


Freude durch naive Skepsis

"Nie ist sie süßlich, verlogen, nein eher herb und sehr gescheit" - so urteilt Kollegin Anna Rheinsberg über die gebürtige Polin Mascha Kaléko (1907-1975), die nach Jutta Rosenkranz "eine der bekanntesten deutschsprachigen Lyrikerinnen" ist, deren "heiter-melancholische Gedichte um den Alltag und die Gefühlswelt der ganz gewöhnlichen Menschen bis heute große Anerkennung finden." (Klappentext). Marcel Reich-Ranicki, der selbst von der "überaus materialreichen Kaléko-Biografie von Jutta Rosenkranz" schwärmt, tut zerknirscht Buße: "Die Mitglieder der Jurys, die zu Lebzeiten Mascha Kalékos über die Preise entschieden, sollten sich schämen. Auch ich gehörte in jenen Jahren mehreren Literazurjurys in der Bundesrepublik an." Mascha Kaléko bekam keinen einzigen deutschen Literaturpreis - den einzigen, der ihr angetragen wurde - nämlich 1959 der Fontane-Preis - den lehnte sie selbst ab, weil Hans Egon Holthusen, Direktor der Sektion für Dichtung der Berliner Akademie (welche diesen Preis verlieh) und zugleich Mitglied der Jury, mehrere Jahre in der SS gewesen war.

In ihrem Gedicht 'Sozusagen grundlos vergnügt' formuliert Kaléko: "Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn! / Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn. / Ich freue mich vor allem. Daß ich bin. / (...) / Ich freue mich, daß ich . . . Daß ich mich freu." Mascha Kaléko empfand quasi Freude durch Skepsis und Skepsis durch Freude. Sie wollte naiv sein - und bekämpfte ihre Naivität - unter der sie litt - welche sie aber auch brauchte, um auf das zu kommen, was ihr wesentlich war. Man könnte meinen, sie hatte Freude durch naive Skepsis - was wie ein Widerspruch klingt, aber konzeptionell möglich ist. Skepsis ist die Freude der Intellektuellen. Keine Weisheit wird zur Wahrheit. Keine Erfahrung wird zur Erkenntnis. Immerhin haben Albert Einstein, Thomas Mann und Hermann Hesse ihre Bewunderung für Mascha Kaléko zum Ausdruck gebracht.

Es mag verwundern, warum Mascha den Nachnamen ihres ersten Mannes behält, obwohl sie 40 Jahre mit Chemjo Vinaver verheiratet ist - wäre sie denn als Mascha Vinaver weniger berühmt/vergessen gewesen?! Die Literaturwissenschaft arbeitet sich jedenfalls allmählich an sie heran. Rosenkranz betont die "Mischung aus satirischer Schärfe und leiser Wehmut", die ihr besonders gefällt. Also gibt sie uns mit auf den Weg: "Mein Buch, das neue Daten und Fakten, unveröffentlichte Gedichte und Briefe sowie unbekannte Fotos der Dichterin enthält, mag dazu beitragen, das Interesse an Mascha Kalékos Werk neu zu wecken oder zu vertiefen. Es ist an der Zeit, dass die Dichterin den Platz in der deutschen Literaturgeschichte bekommt, den sie verdient."

Mit 22 veröffentlicht Kaléko ihre ersten Gedichte in der Zeitschrift 'Der Querschnitt', Mitte 1930 beginnt das 'Berliner Tageblatt' regelmäßig Gedichte von ihr zu drucken. Ihre Miniaturen aus dem Alltagsleben der Großstadt finden auch über Berlin hinaus wachsendes Interesse, so dass sie mit dem Schreiben kaum nachkommt! Auch ihr erster Gedichtband 'Lyrisches Stenogrammheft' verkauft sich gut. Ende 1934 erscheint bei Rowohlt das 'Kleine Lesebuch für Große' - Kalékos Bücher verkaufen sich bis 1936 weiterhin gut. Im September 1938 verlässt Kaléko dann aber sicherheitshalber doch Berlin und bleibt bis 1959 in New York. Hier kann sie in der jüdischen Emigranten-Zeitschrift 'Aufbau' ein paar Gedichte veröffentlichen. 1944 werden sie und ihre Familie amerikanische Staatsbürger, 1945 erscheint in Amerika ihr drittes Buch 'Verse für Zeitgenossen' auf Deutsch in einer kleinen Auflage. In Deutschland will sie nichts mehr veröffentlichen - schließlich reist sie 1956 doch für mehrere Monate hinüber, um wieder auf dem deutschen Literaturmarkt Fuß zu fassen. In Berlin findet sie mit Rowohlt wieder Anerkennung - nun wird auch ihre Exillyrik in Deutschland veröffentlicht. 1959 wird Kaléko ins PEN-Zentrum berufen. Schließlich übersiedelt die Familie im gleichen Jahr nach Israel, was für Kaléko eine zweite Emigration bedeutet.

Mit der neuen deutschen Lyrik kann sie nichts anfangen - ein Symposium über 'Lyrik heute', wo immerhin u.a. Autoren wie Grass, Rühmkorf, Mon und Heissenbüttel saßen, verlässt sie mit lautstarkem Protest. Da sie bewusst "altmodisch" bleibt, hat sie es immer schwerer, ihre Gedichte zu veröffentlichen. Seit dem Tod von Ernst Rowohlt 1960 fühlt sie sich vom Verlag regelrecht boykottiert. Die Schweizer Literaturagentin Ruth Liepmann vermittelt die Veröffentlichung einer Gedichtauswahl ihrer vergriffenen Bände. Schließlich erscheint 'Das himmelgraue Poesie-Album', eine Mischung aus alten und neuen Texten. Als sie sich mit ihrer Agentin überwirft, lässt der Erfolg nach, sie wird auch öfters krank, schließlich stirbt auch noch ihr Mann. Immerhin war das 'Stenogrammheft' inzwischen hunderttausendmal gedruckt worden - ein sensationeller Erfolg für einen Lyrikband.

Gero von Wilpert nennt Kalékos Poesie "Gebrauchs- und Zeitgedichte im Stil Heines", Walter Killy sieht sie gar als "legitime Erbin Heines". Allerdings muss Rosenkranz beklagen, dass Kalékos Name in vielen Literaturlexika überhaupt nicht auftaucht. Auch im 'Kindlers Literatur Lexikon' wird sie erst 1998 auf Intervention Marcel Reich-Ranickis aufgenommen! Jedenfalls erscheint das 'Lyrische Stenogrammheft' 2005 in der 30. Auflage mit mehr als zweihunderttausend Exemplaren. Janosch hat zu Kalékos Gedichten einmal schlicht bemerkt: "Gebrauchspoesie kann man brauchen." In diesem Sinne sei die vorliegende Biografie empfohlen als Anreiz zur Neuentdeckung Mascha Kalékos.

(KS; 07/2007)


Jutta Rosenkranz: "Mascha Kaléko"
dtv, 2007. 300 Seiten.
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