Claudius Seidl: "Schöne junge Welt"

Warum wir nicht mehr älter werden


Wer, der heute zur Generation der Vierzigjährigen gehört, kennt es nicht? Auf den alten Fotos sehen die Eltern, die damals gleich alt waren, deutlich älter aus als die heute Vierzigjährigen. Ein Phänomen, das auffällt. Natürlich hat sich die ältere Generation anders angezogen, altmodischer einfach. Und das macht viel aus. Aber eben nicht alles. Dem Bisschen, was den Unterschied ausmacht, hat sich Claudius Seidl versucht zu nähern.
Der Autor, mit 46 ein Mittvierziger, ist heute Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Und das Feuilleton ist der Stil, den er beherrscht. So ist auch weniger ein Sachbuch entstanden, obwohl Seidl fundiert recherchiert und viele kleine Informationen in das Buch gepackt hat.

Spannend ist die These des Autors, die alten, weisen, erwachsenen Menschen stürben aus, und was nachwächst, seien junge, ewig Junggebliebene. Eine Frage, die an Jugendliche zu stellen nicht uninteressant wäre, denn auch wenn Seidl in seinem Buch einige Biografien Gleichaltriger, also Mittvierziger, erzählt, so wäre es doch interessant zu hören, wie spießig und altmodisch diese Generation auf die heutige Jugend wirkt. Denn vermutlich hält sich jeder für jung. Selbst mein 88-jähriger Großonkel beklagte sich im Pflegeheim über die alten Leute, die übrigens meist jünger waren als er selbst.

Interessanter scheint mir auch die Tatsache, dass die Menschen immer älter werden, die Gesellschaft als solche zu vergreisen droht. In diesem Sinne müssen die Menschen einfach länger jung zu bleiben, um den Elan für die Kultur zu bewahren. Und Seidl ist mit seinen Gedanken und mit seinem Mittvierziger-Dasein nicht ganz alleine. Das zeigt unter Anderem auch die österreichische Tageszeitung "Der Standard", die kürzlich einen Schwerpunkt zu dieser Thematik und mit ihr auch eine Rezension zu Seidls "Schöne junge Welt" veröffentlicht hat. Dass heute keiner älter werden will, das lässt sich leicht glauben. Und da macht es auch keine Ausnahme, dass die Fernsehprominenten ebenso auf ewigliche Jugendlichkeit bedacht sind. Nur vergisst man den Vergleich von heute und von vor zehn Jahren. Auch wenn die Prominenten heute sehr jung erscheinen, so erschienen sie vor zehn Jahren noch jünger, um zehn Jahre jünger, würde ich sagen. Eine Verwechslung, die Seidl in seinem Buch begeht, ist die Verwechslung von jugendlichen Erwachsenen und erwachsenen Jugendlichen. Er spricht von den Vierzigjährigen als erwachsenen Jugendlichen. Da scheint er wohl unbewusst den Wunsch zu hegen, noch 16 Jahre alt zu sein. In Wahrheit ist er höchstens ein jugendlich gebliebener Erwachsener. Aber auf die heutige Jugendkultur blickend, kann ich mir Seidl nicht vorstellen, dass er mit Hosen, die lediglich das halbe Hinterteil bedecken, und mit einem Skateboard unter dem Arm durch die Straßen zieht. Oder dass er mit seinen Kollegen Spielefeste feiert, bei denen jeder vor seinem Rechner sitzt und still mit den Anderen, die auch vor ihren Computern sitzen, spielt. Also ist wohl der Begriff der erwachsenen Jugendlichen etwas daneben.

Trotz allen, da und dort auch durchaus interessanten Gedankengängen wird am Ende des Buches einfach nicht klar, ob es so etwas wie eine Conclusio gibt, oder ob Seidl einfach nur 185 Seiten lang laut vor sich hin gedacht hat. Leider diskutiert er die verschiedenen Thesen nur an. Er diskutiert sie nicht zu Ende, bringt sie in keinen Einklang zueinander. Als Anregung in einem Feuilleton durchaus erlaubt, gibt eine derartige Vorgehensweise einem ganzen Buch doch keinen rechten Gehalt.
Und gleich zu Beginn des Buches fährt Seidl mit einem unglaublich schnellen Tempo an. Man wird das Gefühl nicht los, der Autor habe es sich zum Ziel gemacht, alle Dreißiger zu überholen.

(Emil Ratzenburger)


Claudius Seidl: "Schöne junge Welt. Warum wir nicht mehr älter werden"
Goldmann. 185 Seiten.
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Claudius Seidl wurde 1959 in Würzburg geboren. Er studierte in München Theater, Kommunikation und Politik sowie, als Gegengift, Volkswirtschaftslehre. Seit 1983 verfasste er Filmkritiken für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. In den 1990er-Jahren war Seidl Kulturredakteur beim "Spiegel", später stellvertretender Feuilletonchef der "Süddeutschen Zeitung".

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