Udo Jürgens, Michaela Moritz: "Der Mann mit dem Fagott"


Schlagersänger differenzieren nicht

Udo Jürgens hat mit Hilfe von Michaela Moritz seine zweite, äußerst lesbare Autobiografie geschrieben. Das Buch mit dem Titel "Der Mann mit dem Fagott" ist in großen Teilen die Geschichte seiner Familie, den Bockelmanns, die Bankiers in Moskau stellte und einen Oberbürgermeister von Frankfurt am Main in ihren Reihen zählt. Der bedeutungsvollste Spross bleibt jedoch der Schlagersänger und Komponist Udo Jürgen Bockelmann, dessen jahrzehntelanger anhaltender Erfolg im deutschen Sprachraum eindrucksvolles Ergebnis seiner Originalität und seines Fleißes ist. Mit der hochprofessionellen Vermarktung dieses Romans in Feuilleton, Fernsehen und Zeitschriften kommt nun allerdings zunehmend ein deutschnationaler Missklang auf, der einige Udo-Anhänger irritieren wird.

Was soll man von einem in der Nähe von Klagenfurt geborenen großen Österreicher halten, der in einem Interview ("DIE WELT" vom 25. August 2004) behauptet, dass in seinen Adern vor allem "deutsches Blut" fließe, der Deutschland "über alles" liebe und eigentlich nur "Deutscher mit österreichischem Pass" sei? Handelt es sich hier um einen der leidlich bekannten Ewiggestrigen oder gar einen verblendeten Neonazi? Weit gefehlt. Wer hier spricht ist Udo Jürgens, 70 Jahre alt, Nestor der Schlagerwelt und Komponist einiger eindrucksvoller Lieder zwischen "17 Jahr, blondes Haar" und "Mit 66 Jahren". Dieser Mann merkt gar nicht, welche Worte er spricht. Im selben Interview erzählt er nämlich, dass ihn der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland angerufen habe, um ihm "im Namen der Juden" für die "Nazi-Bewältigung" zu danken, die er in seinem Buch "Der Mann mit dem Fagott" leiste. Das ist allerdings ein starkes Stück, denn von gründlicher Recherche ist hier keine Spur.

Was auch immer mit dem Begriff "Nazi-Bewältigung" gemeint ist: Wer das Buch liest, merkt, dass es Jürgens um etwas geht, das manche an Martin Walsers Friedenspreisrede erinnern wird, eine Bewältigung des Makels der Nazi-Verbrechen auf der deutschen Seele. Das kommt allerdings aus einer Ecke, die sich aufklärerisch gibt und klassischerweise linken Ideen zuzuschreiben wäre, für die ja auch manche Schlagertexte von Jürgens sprachen. Das Buch soll so etwas wie eine Abrechnung mit seiner "verhaiderisierten" Heimat werden, deren Deutschnationalismus Jürgens wiederholt kritisiert hat. So etwa in einem Interview im April 1999, das der Schlagersänger der österreichischen Zeitschrift "News" gab: "Womit ich als Österreicher hadere, ist etwas anderes: Die Deutschen haben in einer schmerzlichen Selbstgeißelung das Thema Nationalsozialismus aufgearbeitet, die Österreicher nicht. Bei uns ist es verdrängt worden." Tatsächlich aber ist es der Versuch, die eigene Familie von Nazi-Kontakten frei zu waschen, die es zweifellos in den großbürgerlichen Kreisen der 1930er-Jahre geben musste. Man spürt diese Absicht und ist verstimmt. Denn ebenso wenig wie man die Familie Bockelmann der ganzen "Nazi-Scheiße" (Originalton Jürgens) zuordnen kann, eignet sie sich für eine Widerstandssaga.

Neben interessanten Anekdoten aus der Moskauer Familie Bockelmann des frühen 20. Jahrhunderts, etwa dass sie zu den Geldgebern des kommunistischen Umsturzes gehörte und Lenin nach Russland holte, konzentriert sich das Buch auf die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs in Kärnten und Jugenderinnerungen von Jürgens als Hitlerjunge. Bevor ich dazu hier Stellung nehme, muss ich erwähnen, dass ich im Jahr 2001 mehrmals Gelegenheit hatte, mit Udo Jürgens zu sprechen. Ich arbeitete an einem Buch (meine Erkenntnisse sind unter dem Titel "Visitation der Vernichtung" als "Book on Demand" auf "amazon.de" bestellbar) über die letzten Kriegstage in Kärnten und unterhielt mich mit dem Schlagersänger, der gerade am gleichen Thema arbeitete, darüber. Als ich andeutete, sein Vater habe engen Kontakt mit Holocaust-Verbrechern gehabt, wurde er unwirsch, hinterließ mehrere unflätige Drohbotschaften auf meinem Anrufbeantworter und brach den Kontakt ab.

Die Reaktion war verständlich, und allem Anschein nach ist sein Vater Rudolf Bockelmann, dessen Geschichte im "Fagott"-Roman nacherzählt wird, wirklich ein anständiger und vorbildlicher Mensch gewesen. Wer aber ehrlich und aufklärend "Nazi-Bewältigung" betreiben will, muss weiter gehen, als das Jürgens in seinem vielgelobten Werk (unter anderem veröffentlichte die "WELT" eine jubelnde Besprechung des in Nazi-Angelegenheiten beschlagenen Erfolgsautors Bernhard Schlink) tut, und sei es nur, um eigene Fehler gutzumachen, die er in seinem Erstlingswerk "... unterm Smoking Gänsehaut", der Autobiografie des Jahres 1994, getan hat. Dort hieß es im Anhang noch, sein Vater sei "von den Nazi verhaftet, ins KZ gesperrt und zum Tode verurteilt" ("Udo Jürgens ... unterm Smoking Gänsehaut", München: Goldmann 1994, Seite 322) worden. Davon stimmt nur ein Drittel, nämlich das erste. Rudolf Bockelmann saß kurz vor Kriegsende einige Wochen in Klagenfurt in Gestapo-Haft. Er kam nie ins KZ und wurde nie zum Tode verurteilt.

Dieser Fehler soll nun im gegenständlich besprochenen Buch korrigiert werden, das die Familie Bockelmann als untadelig in nationalen Dingen porträtieren will. Die Geschichte des Rudi Bockelmann, der zwar NS-Parteimitglied ist und nach dem "Anschluss" dazu "gedrängt" wird, Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Ottmanach bei Klagenfurt zu werden, ist die Geschichte eines kultivierten Mannes, der mehrere Sprachen spricht, Weltliteratur liest, ein Bild mit dem Titel "Der Jude" zuhause aufbewahrt und mit der Nichte des Dadaisten Hans Arp das Leben der Boheme im heimischen Schloss führt. All das mag stimmen. Es gibt aber auch genug dokumentierte Hinweise darauf, dass die Familie Bockelmann engen Kontakt mit Schlüsselfiguren des Nationalsozialismus in Kärnten hatte. Diese Geschichte aufzuarbeiten wäre reizvoller und glaubwürdiger gewesen als die Aufzeichnung romanhafter Szenen, in denen die Familie Bockelmann und der geliebte Vater hilflose Opfer der Umstände und der ideologischen Verblendung ihrer Zeit werden. Denn zu vieles spricht gegen diese Darstellung. Und hier kommen meine Recherchen ins Spiel, die naturgemäß in Bezug auf die Familie Bockelmann nur punktuell sein können, aber doch einige interessante Einblicke bieten.

Zuerst eine prinzipielle Frage: Kann man von einem Schlagersänger erwarten, dass er in einer Autobiografie die Geschichte seiner Kärntner Heimat aufarbeitet? Natürlich nicht. Besteht aber der Anspruch, sie aufarbeiten zu wollen und wird diese Aufarbeitung auch allgemein anerkannt, dann muss man schon fragen, ob das Resultat befriedigt. Zum Beispiel wäre es durchaus reizvoll gewesen, bekanntzugeben, wie Jürgens zu seinem Vornamen kam. Er verdankt diesen nämlich einem gewissen Udo von Mohrenschildt, einem Mann, der um 1930 in der Frühzeit der Nazibewegung in der SA in Berlin tätig war und damals auch engen Kontakt mit Heydrich hatte. (Schriftliche Mitteilungen und Telefongespräche mit Udo von Mohrenschildt, dem Sohn des Namensgebers, im Jahr 2001.) Davon später. Zu einer Aufarbeitung hätte auch die Information gehört, dass die Bockelmanns mit Holocaust-Tätern engsten Umgang hatten. Udo Jürgens Bockelmann verbrachte seine Jugend in unmittelbarer Nähe des Kärntner Zweigs der Familie Mohrenschildt, die eine Art Ersatzfamilie um den Herrn der Vernichtungslager Belzec, Treblinka, Sobibor und Majdanek, Odilo Globocnik, bildeten. Rudi Bockelmanns bester Freund Reinhold von Mohrenschildt war ein Geheimdienstmann, der vor Kriegsende als Duzfreund von Gauleiter Friedrich Rainer und als SS-Sturmbannführer im Büro des Reichskommissariats zur Festigung deutschen Volkstums ebenso wie als Leiter des Postwesens im Alpen-Adria-Gebiet (Lebenslauf Reinhold von Mohrenschildt. Kärntner Landesarchiv 27cVR 952/62) zur Führungselite gehörte. Und wenn man als Drittes bedenkt, dass der erste Auftritt des Udo Jürgens 1952 in einem Tanzlokal stattfand, dessen Besitzer Ernst Lerch als wichtigster Weggenosse Globocniks damals gerade noch ein gesuchter Kriegsverbrecher gewesen war, würde das schon zu einer "Nazi-Bewältigung" gehören, besonders wenn man bedenkt, dass diese Aufarbeitung in seiner Heimat nie wirklich passiert ist. Mohrenschildts Name existiert nur in Archiven, und Ernst Lerch wurde zwar 1972 als Kriegsverbrecher angeklagt, der Prozess aber nach zwei Tagen von der Kärntner Justiz niedergeschlagen. Angesichts der Schwere ihrer Verbrechen sprechen manche von einem Schandfleck auf der Geschichte Kärntens. Zu diesen Kritikern schien bislang auch Udo Jürgens zu gehören, der nicht müde wird, die nationalistische Tendenz seiner Heimat anzuprangern.

Trotzdem kann man aus seinem Buch keine Geschichte lernen. Zum Beispiel fehlt ganz der Hinweis auf Rudolf Bockelmanns besten Freund, Reinhold von Mohrenschildt (Udo Jürgens in einem Telefongespräch mit dem Autor am 20.4.2001). Die Familien hatten viel gemeinsam. Beide lebte auf benachbarten Schlössern und stammten aus osteuropäisch-deutschen Familien, die sich im Zuge der sozialen Wirren im späten 19. Jahrhundert in Kärnten als Gutsbesitzer angesiedelt hatten und Landwirtschaft trieben. Dass sich Rudolf Bockelmann eine deutsche Ehefrau aussuchte, hatte in der Familie Tradition. Man identifizierte sich nicht mit der Kärntner Heimat, sondern gehörte einer Führungsschicht an, die sich deutsch definierte und in Adelskreisen verkehrte. Gerade in diesen Familien blühte nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg der Nazismus. Rudolf Bockelmann und Reinhold von Mohrenschildt wurden deshalb naturgemäß enge Jugendfreunde und standen auch als Erwachsene in regem Kontakt. Während die Familie Mohrenschildt, deren Stammsitz nach dem Ersten Weltkrieg in Grenzstreitigkeiten mit den Slowenen verlorenging, ressentimentgeladen die Nazis von Anfang an unterstützte und zu den wesentlichen Geldgebern des Umsturzes von 1938 gehörte, pflegte die Familie Bockelmann zumindest nach Angaben von Udo Jürgens eine eher liberale Ausrichtung.

Die Kinder der Familie Mohrenschildt hingegen spionierten in der illegalen Zeit für die Nazis (Friedrich Rainer: Zusammenfassender Bericht über meine sämtlichen Kontakte mit Nachrichtendienst in Österreich bis 1938. SLO-Archiv 004230 974 - 983), Reinhold baute als Student in Wien den "Sicherheitsdienst SD" auf, beherbergte den damals steckbrieflich gesuchten Odilo Globocnik in seiner Wohnung (Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Personalakte "Reinhold von Mohrenschildt") und legte damit die Wurzel für seine spätere Geheimdienstkarriere. Er gehörte von da an bis Kriegsende zum Stab Odilo Globocniks, des späteren SS-Gruppenführers, dem ersten Betreiber von Vernichtungslagern, dem ein Drittel der Tode der Juden in Europa während des Zweiten Weltkriegs anzulasten ist. Darüber hinausgehend vollführte Mohrenschildt aber auch Geheimdienstmissionen (Lebensläufe von Mohrenschildt im Kärntner Volksgerichtsakt von 1948). Als sich die Krise um den Danziger Korridor zuspitzte, wurde Mohrenschildt entsandt. Als die Niederlande im Handstreich genommen wurden, war Mohrenschildt einer der ersten "Zivilisten" in Holland. Zwischendurch war er als Adjutant Globocniks in Lublin mit "Umsiedlungsaktionen" beschäftigt und befehligte ein jüdisches Arbeitslager. Während seine Schwester Margarethe den Haushalt Globocniks führte, gehörte Reinhold von Mohrenschildt dem Organisationsstab in der Frühphase des Baus der Vernichtungslager an und war Globocniks direkter Stellvertreter bei der "Umsiedlungsaktion" von Zamosc im November 1942, bei der Zehntausende Polen in Konzentrationslager kamen (Czestaw Madajczyk: Zamojszczyzna: SS Sonderlaboratorium Zbior dokumentow polskich iniemieckich zokrosu okupacji hitlerowskiej. Wydawnicza 1979. Vol 1. 60. S. 182) Somit gehört er zur Kerntruppe der Schlächter von Lublin. Zeugenaussagen nach dem Krieg haben wiederholt die Brutalität Mohrenschildts bei verschiedenen Aktionen, zuletzt bei einer Raubaktion der SS in Oberitalien (Kärntner Landesarchiv in Klagenfurt, "Mohrenschild" 27cVR 952/62) 1944 angeprangert.

Sollte seinem besten Freund Bockelmann all das entgangen sein? Es ist möglich, dass selbst im engsten Familienkreis über die "Aktionen" im Osten nicht gesprochen wurde, wahrscheinlich aber ist es nicht. Selbst der 1944 zehnjährige Udo Jürgens erinnert sich heute noch an die Gartenfeste bei der Familie Mohrenschildt im vierzig Gehminuten entfernten Schloss Freudenberg und die dort regelmäßig am Sonntag besuchten Kaffeekränzchen (Gespräch mit Udo Jürgens von 2001). Er nannte Mohrenschildt "Onkel Reinhold", wusste, dass jener als "hoher SS-Offizier" große Bedeutung hatte. Selbst wenn er aus heutiger Erinnerung diesen als "aalglatt, mit einer hohen Stimme" darstellt, und dessen Frau als "klatschsüchtig" empfindet, steht doch als Tatsache die sehr enge Beziehung zwischen den Familien. Die Beschreibung von Rudolf Bockelmann im Buch als einen Außenseiter, der in das Getriebe der Gestapo gerät und dort niemanden kennt, wird vor diesem Hintergrund unglaubwürdig.

Es ist aktenkundig, dass Rudolf Bockelmann seinem Freund Mohrenschildt in der Umbruchszeit von 1945 behilflich war. Nach dem Kriegsende kam Mohrenschildt neben anderen SS-Größen in das Lager der Alliierten in Wolfsberg und verblieb dort bis 1947, um als vermeintlicher ehemaliger Widerstandskämpfer freigelassen zu werden. Für diese Einstufung war neben der damaligen Politprominenz wie dem damaligen Landesamtsdirektor von Kärnten, Newole, auch Rudolf Bockelmann direkt verantwortlich. Durch seine Fahrt nach Schleswig-Holstein war Bockelmann im überreizten politischen Klima im Frühjahr 1945 zwar als "Deserteur" einige Wochen in Gestapo-Haft genommen, bald aber wieder freigelassen worden. Dass Mohrenschildt dabei seine Hand im Spiel hatte, ist sehr wahrscheinlich. Und dass sich Bockelmann dafür revanchierte, ebenso.

Über Mohrenschildts Macht über die Gestapo spricht eine Geschichte, die im Roman "Der Mann mit dem Fagott" ansatzweise vorkommt. Es gibt da die Figur eines us-amerikanischen Soldaten mit dem Namen Prester, der mit Bockelmann im Gestapo-Gefängnis sitzt, ein Fallschirmspringer, der in Kärnten Aufklärungsarbeit leisten sollte. Interessanter als Prester, der im April 1945 überfallsartig von Mohrenschildt aus dem Gefängnis geholt wurde, um ihm bei Verhandlungen mit den US-Amerikanern zu helfen, ist übrigens dessen Begleiter, ein gewisser Peter Hartley, der aber gar kein US-Amerikaner war und im Buch nicht vorkommt. Hinter dem Namen verbarg sich ein Münchner jüdischer Abstammung mit Namen Bernd Steinitz, der vor den Nazis geflohen war und nun verzweifelt einen us-amerikanischen Akzent bemühen musste, um nicht im letzten Moment deportiert und ermordet zu werden. Dass gerade er Mohrenschildt im Jeep nach Salzburg begleitet und gegen SS-Posten des letzten Aufgebots verteidigt werden sollte, ist eine der filmreifen Geschichten des Mai 1945, die sich im Roman des Udo Jürgens gut gemacht hätten.

Diesen Prester und Hartley hat Mohrenschildt im April 1945 kurzerhand befreit. Dafür brauchte er keinen Befehl noch irgendwelchen Papierkrieg zu führen. Er tauchte einfach eines Morgens dort auf und holte die us-amerikanischen Kriegsgefangenen aus dem Gefängnis. Das ist Macht, und wer diese Macht hat, der kann sicher auch seinen Jugendfreund, den er bis vor wenigen Wochen noch regelmäßig auf seinem Landsitz verwöhnt hatte, befreien. Die Verhörmethoden der unmenschlichen Gestapo, die Jürgens in seinem Roman ausbreitet, erscheinen vor diesem Hintergrund unglaubwürdig.

Aktenkundig ist die Aussage eines Dr. Hermann Schneider aus Ottmanach (Zeugenvernehmung Dr. Hermann Schneider vom 4.8.1947. Kärntner Landesarchiv 22 Vr 2691/47), der 1947 bekundete, dass Bockelmann im April 1945, also zu dem Zeitpunkt, als er angeblich krank und schwach im Gefängnis dahindämmert, einen Kontakt zwischen Mohrenschildt und dem Widerstand hergestellt hat. Dadurch konnte sich Mohrenschildt im letzten Moment ebenfalls als Widerstandskämpfer maskieren, der Funksprüche an die Amis abgefasst hat. Diese Zeugenaussage führte 1947 zur Entlassung Mohrenschildts aus dem Lager Wolfsberg und verhinderte alle nachfolgenden Strafverfolgungen.

Im Roman hätte sich auch noch gut die Geschichte gemacht, wie Udo Jürgens zu seinem Vornamen kam. Auch hier findet sich ein klarer Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Geschichte seiner Heimat. Betrachten wir einmal die Chronologie. Udo Jürgens wurde am 30. September 1934 geboren. Die Schwangerschaft seiner Mutter fand in einer Zeit nationalsozialistischer Begeisterung statt. Die NSDAP war 1931 nach einem Putschversuch verboten worden. Im Sommer 1934 stand Kärnten im Zeichen einer "nationalen Bewegung", die erneut in einen Putschversuch der Nazis münden sollte, der in Kärnten durchaus erfolgreich war und erst gegen Ende des Monats durch Wiener Einsatzgruppen beendet werden konnte, die das Bundesland besetzten. In diesem Sommer befand sich ein deutscher Staatsbürger, der die Partei seit der Frühphase begleitet hatte, auf dem Hof der Bockelmanns. Er hießt Udo von Mohrenschildt, war ein Berliner Journalist, der Reinhard Heydrich gut kannte und von ihm aufgefordert worden war, dessen Stab beizutreten. Da sich Udo aber eher der SA zugehörig fühlte, hatte er 1931 dieses Ansinnen abgelehnt. Sein Bruder Walter gehörte als Adjutant von Gruppenführer Ernst zum engsten Kreis um Röhm und war am 1. Juli 1934 im Gefolge der Säuberungsaktion nach dem "Röhm-Putsch" von Heydrich als Verschwörer verhört und standrechtlich erschossen worden (Heinrich Bennecke: Die Reichswehr und der "Röhm-Putsch". Günter Olzog Verlag München, Wien. 1964). Udo von Mohrenschildt flüchtete im Gefolge dieser nationalen Unruhen nach Kärnten und fand bei den Bockelmanns Aufnahme. Käthe Bockelmann war gerade schwanger. Als es nun um die Namenswahl ging, mochte der schlichte Name oder die Persönlichkeit Udos fasziniert haben, bestimmt aber auch seine Nähe zum Machtapparat und seine Herkunft aus dem deutschen nationalen Zentrum Berlin. Dazu kamen das Umsturzbetreiben der Familie Mohrenschildt in Kärnten und der enge Kontakt der Bockelmanns mit dieser Familie. In dieser nationalistisch aufgeheizten Situation fiel der Entschluss, ihr erstes Kind nach dem deutschen Besucher Udo zu nennen. All das suggeriert eine gewisse Nähe zur Nazibewegung und lässt die Aussage des Schlagersängers aus dem Jahr 2004, er liebe Deutschland "über alles" und es fließe "deutsches Blut" in seinen Adern, als konsequente Fortführung einer deutschnationalen Familientradition erscheinen, die mit seiner Namensgebung begonnen wurde.

Das Kind Udo Jürgens war nach eigenen Angaben von seinem Namensgeber fasziniert (Gespräch von 2001). Er saß mit ihm stundenlang in der Sauna und bewunderte die Fähigkeit des Weitgereisten, bis 110 Grad Celsius noch zu rauchen. Udo von Mohrenschildt sprach Französisch, war gebildet und kultiviert. Udo lebte zur Nazizeit am Schloss der Bockelmanns und ließ sich nach dem Krieg in Kärnten nieder. Er hatte den größten denkbaren Einfluss auf den jungen Udo Jürgens und erklärt dessen spätere Entscheidung, Künstler zu werden. Sein Name aber fehlt im Roman komplett.

Ebenso fehlt der Einfluss der Kärntner Familie Mohrenschildt in dem Buch. Sie war Zentrum einer Gruppe von frühen Nazis, die später zur Kerngruppe des Personals der Vernichtungslager gehören sollte. Gern gesehener Gast auf Freudenberg war nicht nur Odilo Globocnik, unter dessen Verantwortung zwei Millionen Tote gehören. Nach der Auflösung der Vernichtungslager von Lublin 1943 und seiner Versetzung nach Triest konzentrierte sich der Kern seiner Tätigkeit auf Kärnten und das Adriagebiet und reichte von Judenverfolgung bis zur Partisanenbekämpfung. Globocniks Wohnsitz im Jahr 1944: Schloss Freudenberg, vierzig Gehminuten von Schloss Ottmanach. Wenn jemand dem SS-Gruppenführer Post aus Lublin schicken wollte, sandte er sie an Mohrenschildts Adresse. Es ist dem Kind Udo Jürgens nicht vorzuwerfen, nicht den Namen jedes SS-Bonzen zu kennen, der auf Freudenberg verkehrte. Das extreme Naheverhältnis seines "Onkel Reinhold" mit dem SS-Gruppenführer aber hätte ihm schon auffallen können. Und wer sich in reifen Jahren um eine Bewältigung der Nazi-Vergangenheit bemüht, kommt um die Beschäftigung mit dem Schlächter von Lublin nicht herum. Denn wenn es in Kärnten etwas aufzuarbeiten gibt, dann die Frage, wie man mit den dortigen Holocaust-Tätern umgegangen ist.

Zu den gern gesehenen Gästen auf Freudenberg gehörte noch ein anderer Mann, ein Klagenfurter Cafetier mit Namen Ernst Lerch. Auch er gehörte neben Christian Wirth, Hermann Höfle und anderen bekannteren Namen zur Kerngruppe um Globocnik, die die Vernichtungslager betrieb. Lerch und Mohrenschildt hatten seit den frühen Dreißiger Jahren eng zusammengearbeitet. Nach dem Tode Globocniks im Mai 1945 war Lerch in Oberitalien untergetaucht, kehrte 1948 zurück und führte das Stammlokal seiner Eltern in Klagenfurt, das "Café Lerch" weiter. Es ist schon merkwürdig, wenn man bedenkt, dass 1952 dort der achtzehnjährige Sänger Udo Jürgen Bockelmann auftrat. Man hatte, erzählt er heute, einen Vertrag geschlossen, für 100 Schilling am Abend. Lerch sei ein "großer, schlanker, strenger Mann" gewesen, der "viel gelacht, aber keinen Charme gehabt" habe. Er habe den Mann nicht weiter gekannt. Ist es glaubwürdig, dass ein Achtzehnjähriger einen Mann nicht kennt, den er als Zehnjähriger schon deshalb kennen muss, weil seine Familie in diesem Bekanntenkreis verkehrt? Ist es nicht vielmehr wahrscheinlich, dass die ersten Auftritte des jungen Talents gerade in Gaststätten stattfinden, deren Besitzer man seit Jahren kennt? Und wer seine ersten künstlerischen Gehversuche in einem Lokal gemacht hat, das seit den 1920er-Jahren Haupttreff der nationalsozialistischen Szene war, sollte dazu in einem Roman, von dem Paul Spiegel - laut Udo Jürgens - behauptet, er hätte "Nazi-Bewältigung noch nie so glaubhaft" gelesen, doch einige Anmerkungen machen.

Vor einiger Zeit hatte Jürgens im Westdeutschen Rundfunk in der Sendung "Zimmer Frei" einen Auftritt, bei dem vor allem seine steifen Manieren und das Bemühte seiner kosmopolitischen Aussagen auffielen. Der Schlagersänger ist kein Mitglied der Spaßgeneration, die Entspannungsmusik hört, netzschwatzt, SMS verschickt und sich insgesamt recht kuschelig im globalen Dorf fühlt. Jürgens gehört einer Generation an, wo Anstand und Treue noch wichtige Werte waren. Wenn so jemand sagt, er liebe Deutschland "über alles", schwingt dabei automatisch das "Horst-Wessel-Lied" mit nebst allen anderen deutschnationalen Assoziationen. Es wäre vielleicht besser gewesen, sich nicht im Brustton der Selbstgerechtigkeit zu dergleichen Fragen zu äußern. Vor allem das Buch mit seinen interessanten Einblicken in ein aufregendes Leben hätte davon sehr profitiert.

(Berndt Rieger)


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