Joseph Ratzinger
Benedikt XVI.: "Jesus von Nazareth"


Jesus für Gläubige, Zweifelnde und Suchende

Dieses Buch enthält den ersten Teil eines von Papst Benedikt XVI. geplanten umfassenden Werks über Jesus.
Jesus ist die zentrale Figur im christlichen Glauben und doch, gerade in einer Zeit, in der diese Religion von der "öffentlichen Meinung" recht abfällig betrachtet wird, den Menschen fremd geworden. Wie der Papst und Autor richtig anmerkt, gibt es immer wieder Versuche, weitere außerbiblische Beweise für Jesus als historische Figur anzuführen, die aber den Glauben an und das Verständnis für Jesus nicht einfacher machen - zumal sich Jesus als "Figur" am besten und intensivsten durch die Bibel erschließt.

Diesem Jesus geht der Heilige Vater nach: im vorliegenden ersten Teil des vorgesehenen Werks von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung.
Die einzelnen Themen werden in zehn Kapiteln erläutert, die ihrerseits zum Teil in Abschnitte von didaktisch sinnvoller Länge gegliedert sind.

Vorwort und Einführung vermitteln einen ersten Eindruck von der Intention des Autors, der dem Leser und Gläubigen kein Lehrbuch, sondern ein im Grunde sehr persönliches Glaubensbuch vorstellen möchte. Der Papst weiß um die Schwierigkeiten, die Gläubige mit manchen Schriftstellen haben, und legt deshalb Wert darauf, diese gründlich und nachvollziehbar zu interpretieren.

Bereits die Taufe Jesu durch Johannes ist bekanntlich nicht leicht zu verstehen, und auf die nachfolgend betrachteten Versuchungen Jesu trifft dies wohl noch mehr zu. Benedikt XVI. setzt die Versuchungen in den Zusammenhang mit der gesamten Heilsgeschichte, teils auch mit alttestamentarischen Schriftstellen, und zeigt ihre Aktualität für die heutigen Christen auf.

Im Kapitel über das Evangelium vom Reich Gottes untersucht der Papst die wirkliche Bedeutung dieses Begriffs und betrachtet kritisch dessen Auslegung durch verschiedene bekannte Wissenschaftler, wobei er wie gewohnt eine möglichst schriftnahe Deutung bevorzugt. Aber natürlich verweist er auch hier auf den Bezug zu unserer Zeit.

Ein umfangreiches Kapitel ist der Bergpredigt gewidmet, zum einen den Seligpreisungen, zum anderen dem Umstand, dass Jesus sich durch seine Aussage zum Sabbatgebot scheinbar von der Tora absetzt. Der Autor befasst sich dabei intensiv mit einem Buch des jüdischen Gelehrten Jacob Neusner, der den christlichen Glauben kennt und respektiert, jedoch unverbrüchlich zum Judentum steht, und der sich mit der Bergpredigt auseinandergesetzt hat. Benedikt XVI. zeigt auf, welche Aspekte der Bergpredigt für den gläubigen Juden Neusner inakzeptabel sind, und warum, sodass die Verweigerung der meisten Zeitgenossen Jesu (und natürlich der heutigen Juden), diesen als Messias anzuerkennen, verständlich wird. Überhaupt begegnet der Papst dem Judentum und dem Alten Testament in diesem Buch mit tiefem Respekt. Er weist auf Gemeinsamkeiten hin, ohne sich anzubiedern.

Satz für Satz betrachtet der Autor im folgenden Kapitel das "Vaterunser"-Gebet, das Gebet des Herrn, und macht den Leser sensibel für dessen Bedeutung sowohl in ganz konkreter, auf das durchaus auch materiell gemeinte Hier und Jetzt (tägliches Brot!) ausgerichteter Hinsicht als auch auf seinen Bezug hin zum Ewigen Leben.

Die Jünger sind Gegenstand des sechsten Kapitels, das längere und wiederum spürbar mit Herzblut verfasste siebte Kapitel geht auf drei wichtige Gleichnis-Erzählungen ein und bietet fundierte und nachvollziehbare Interpretationen: Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, Das Gleichnis von den zwei Brüdern und dem gütigen Vater (umgangssprachlich das "Gleichnis vom verlorenen Sohn") und Das Gleichnis vom reichen Prasser und vom armen Lazarus.

Im folgenden Kapitel werden die großen Bilder im Johannes-Evangelium betrachtet, wobei der Autor auch der nach wie vor nicht eindeutig belegten Identität des Evangelisten nachspürt.

Dem Wesen Jesu gehen die letzten beiden Kapitel auf den Grund, zum einen anhand des so genannten Petrusbekenntnisses und der Verklärung, zum anderen anhand der wenigen Selbstaussagen, die von Jesus in den Evangelien überliefert sind, und die dem Gott des Alten Testaments, dem "Ich bin, der ich bin", gegenüber- beziehungsweise an die Seite gestellt werden.

Das Buch lädt dazu ein, sich auf Jesus als zentrale Figur der Evangelien einzulassen. Der Leser sieht sich, was ihn, wenn er bereits Texte des Autors gelesen hat, nicht wundern dürfte, einem herausragenden Exegeten gegenüber, dessen enormes Wissen weit über sein eigentliches Fachgebiet hinausreicht. Erstaunlicherweise gelingt es dem Papst - und das nicht zum ersten Mal -, dieses Wissen ohne belehrenden Tonfall in eine unkomplizierte, dabei aus stilistischer Sicht sehr schöne und anschauliche Sprache zu fassen. Begegnet dem theologisch weniger bewanderten Leser hier und da ein ihm nicht bekannter Fachausdruck, so kann er diesen im Glossar des Buchs nachschlagen.

Benedikt XVI. hat jedoch nicht nur ein Sachbuch geschrieben. Fortwährend scheint die tiefe und trotz aller Fachkompetenz im Grunde schlichte Gläubigkeit des Papstes durch, die den Leser anrührt und den Leser mehr zum Nachdenken und Meditieren anregt, als eine reine gelehrte Abhandlung es könnte. Dem Leser kommt darüber hinaus zugute, dass der Papst eine breite Synopse von Wissenschaftlermeinungen anbietet und diese gründlich untersucht, wobei er, sofern eindeutige Belege nicht möglich sind, seine eigene Meinung lediglich als solche einreiht in die Gruppe der Interpretationen.

Ein wichtiges und faszinierendes, nicht einen Augenblick langweiliges Buch für Gläubige, Zweifelnde und Suchende - es wäre schön, wenn dem Papst die Zeit bliebe, sein Werk mit einem zweiten Band zu vollenden.

(Regina Károlyi; 05/2007)


Joseph Ratzinger
Benedikt XVI.: "Jesus von Nazareth"

Verlag Herder, 2007. 448 Seiten.
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