Paul Rusesabagina, Tom Zoellner: "Ein gewöhnlicher Mensch"

Die wahre Geschichte hinter "Hotel Ruanda"
(Hörbuchrezension)


Vor die Frage gestellt: "Wegschauen oder getötet werden" - wie würden Sie sich entscheiden?
Viele Menschen werden zu Helden, wenn andere einem Massenwahn erliegen und es zu ethnisch, religiös oder politisch motivierten Massenmorden an der Bevölkerung kommt. Dies zeigen viele Beispiele nicht zuletzt aus unserer eigenen Vergangenheit - doch die Helden bleiben meist ungenannt. Zu unspektakulär der Einzelfall, eine Würdigung kaum machbar, medientechnisch nicht ausschlachtbar. Anders sieht es da schon aus, wenn die Zahlen der Geretteten in die Hunderte oder gar Tausende gehen. Vielen Lesern wird hierzu vermutlich Oskar Schindler einfallen - ein Mann, dem von Steven Spielberg mit "Schindlers Liste" ein filmisches Denkmal gesetzt wurde.

Paul Rusesabagina gehört auch zu den Menschen, die in einer lebensbedrohenden Ausnahmesituation über sich selbst hinauswuchsen. Er rettete 1994 während des 100 Tage währenden Bürgerkrieges in Ruanda, dem mindestens 800.000 Menschen zum Opfer fielen, 1268 Menschen das Leben. Zwölf Jahre nach dem unvorstellbaren Massaker und ein Jahr nach dem erfolgreichen Hollywoodfilm erschien "Die wahre Geschichte hinter 'Hotel Ruanda'" und damit auch die Geschichte des "Afrikanischen Schindlers" Paul Rusesabagina im Berlin Verlag als Buch und bei Steinbach Sprechende Bücher als Hörbuch. Als besondere Zugabe liegt dem Hörbuch noch eine DVD mit umfangreichen Interviews etc. bei.

An einem Tag wie jedem anderen stellte sich sein Leben "von Jetzt auf Gleich" völlig auf den Kopf - in der einen Sekunde noch angesehener Hotelmanager - in der nächsten Freiwild für seine zu mordenden Berserkern mutierten Nachbarn und Freunde, "die jedes Wochenende zum Grillen rüber kamen." Doch woher rührte diese Mordlust? Paul Rusesabaginas Analyse ist niederschmetternd, doch treffend: "Je besser organisiert das Kommunikationsnetz, desto besser funktioniert Demagogie und Volksverhetzung bis hin zum Völkermord. So ist es problemlos möglich, schnell und flächendeckend negative Eigenschaften mit bestimmten Bevölkerungsgruppen zu verknüpfen; Vorurteile und Neid zu schüren; diffuse Ängste vor 'den Anderen' zu wecken." So sagte er denn auch in einem Interview: "Hätten die Architekten des Völkermordes über Handys verfügt, wäre die Zahl der Opfer wesentlich höher gewesen."

Afrika ist um die Ecke
"Afrika ist weit weg", mag so mancher jetzt denken. Doch nur wenige Jahre liegen die Massaker an der Zivilbevölkerung im zerfallenden Jugoslawien und in der damaligen Tschechoslowakei zurück, die sich in (fast) nichts von denen in Ruanda unterscheiden; weder in den unvorstellbaren Ausmaßen, noch in den Ursachen dafür, dass diese nicht verhindert wurden. Paul Rusesabagina versucht, auf den ersten hundert Seiten des ca. 260 Seiten umfassenden Buches, ein Bild von den politischen und gesellschaftlichen Strömungen in seinem Heimatland zu zeichnen, muss aber zwangsläufig dabei scheitern, die Geschehnisse erklären zu können. Diese Fassungslosigkeit spricht aus jeder Seite, aus jedem Interview und auch aus dem Film, an dessen Realisierung und Drehbuchentwurf er maßgeblich beteiligt war. Dem Leser, Hörer oder Kinobesucher erspart er drastische Bilder, aber nicht das Grauen. Denn man muss nicht in Details kleiden, was in Bildern um die Welt ging. Auch wenn man sich nicht dezidiert an Bilder dieses Genozids erinnert, sind doch ähnliche Aufnahmen fest im Gedächtnis jedes Menschen verankert, der auch nur ein wenig Interesse an den Geschehnissen auf dieser Welt hat. Paul Rusesabaginas Buch ist ein politisches Buch über Machtmechanismen; ein Appell an die Weltbevölkerung, solche Taten nie mehr zuzulassen; eine Petition an die Vereinten Nationen. Und ein menschliches, sehr persönliches Buch, dessen Quintessenz ist: "Ich tat das, was meiner Meinung nach ein normaler Mensch normalerweise tut. Ich sagte - Nein - ... und es ist mir immer noch ein Rätsel, warum so viele - Ja - sagen konnten."

Mit Steffen Seibert wurde der Part des Sprechers von Steinbach Sprechende Bücher prominent besetzt. Seibert, der neben seiner Tätigkeit als Moderator des "heute-journals" auch als Unicef-Botschafter tätig ist, trägt gewohnt sonor und souverän den Text vor. Natürlich hat jeder Hörer seine subjektiven Vorlieben für eine bestimmte Art des Vortrages. Und jeder professionelle Sprecher verfügt über eine individuelle Note, welche bis zu einem gewissen Grad auch von seiner Tätigkeit beeinflusst ist. Von Fernsehnachrichtenmoderatoren erwartet man, selbst in Extremsituationen, einen gemäßigten, sachlichen und distanzierten Ton, da die gezeigten Bilder genug Eigenwirkung haben. Diesen Distanz aufbauenden Ton verwendet Steffen Seibert konstant. Dies kann dazu führen, dass der Inhalt des immens wichtigen Buches weniger beim Hörer haften bleibt als es der Kinofilm und das Buch vermochten. Hier wäre ein Sprecher vom Kaliber eines Christian Brückner die weitaus bessere Wahl gewesen. Die Suggestionsmacht seiner Stimme hat Christian Brückner schon bei zahlreichen Dokumentationen unter Beweis gestellt. Dieses Manko kann auch die dem Hörbuch beiliegende DVD nicht vollständig ausgleichen, so dass hinsichtlich des Buchs und des Kinofilms eine absolute Empfehlung ausgesprochen werden kann, hinsichtlich des Hörbuchs nur mit den vorgenannten Einschränkungen.

(Wolfgang Haan; 06/2006)


Paul Rusesabagina, Tom Zoellner: "Ein gewöhnlicher Mensch"
Steinbach Sprechende Bücher, 2006. 4 CDs, Laufzeit ca. 315 Minuten.
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Buchausgabe:
Berlin Verlag, 2006. 256 Seiten.
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