Rotraud A. Perner: "Die Hausapotheke für die Seele"

Erste Hilfe von Angst bis Zorn


Ein Psychotherapieberater mit humoristischem Potenzial

Ich bin ein bekennender Fan des deutschen Komikers Helge Schneider. Genie und Schwachsinn liegen bei ihm immer nahe zusammen, letztendlich aber siegt das Genie über alle Widerstände und macht sein Gesamtwerk zu einem wertvollen Erlebnis, einem Klassiker. So ist das auch bei "Die Hausapotheke für die Seele" und seiner Autorin, Rotraud A. Perner. Es ist ein Beraterbuch und zugleich die Rohfassung eines Drehbuchs für eine lustige Komödie, letzteres wahrscheinlich unfreiwillig. Letztendlich wirkt beides und macht es seine Lektüre zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Professor Dr. Rotraud A. Perner, multidisziplinär ausgebildete Psychoanalytikerin, strategischer Coach, bekannte Politikerin und Autorin zahlreicher Bücher, ist sicherlich eine der qualifiziertesten Personen, um dieses Buch zu schreiben. Es ist eine Art Lexikon psychischer Symptome mit Empfehlungen, wie damit in Akutsituationen umzugehen sei und trifft die Stimmung und den Zeitgeist. Es ist ein Buch, auf das der Markt gewartet hat, und auf die Idee zu kommen, es zu schreiben, spricht schon für eine gewisse Genialität.

Das Buch ist an sich eine gute Idee, und es ist auch durchaus kurzweilig. Frau Perner hat eine umfassende Bildung, überraschende Einsichten und jede Menge Erfahrung. Ihr therapeutischer Ansatz ist weniger Psychoanalyse als Verhaltenstherapie. Sie schlägt unter den einzelnen Stichworten meist zwei Strategien vor, eine körperliche, die Körperhaltung oder Verhaltensweisen korrigieren soll und eine mentale, die Elemente von Autosuggestion einsetzt.

Die Autorin liest seit Jahrzehnten Psychotherapeutenliteratur und kennt alle "Coping-Strategien" am Markt. Das Buch ist also, wie ich noch einmal betonen möchte, wertvoll und lehrreich. Ich bin mir sicher, dass ihre Empfehlungen vieltausendfach praxiserprobt sind und denke, dass es sich durchaus lohnt, bei seelischen Problemen nachzuschlagen und diese Hausapotheke an Tipps durchzuprobieren. Einiges davon hat mir gefallen, wobei ich generell skeptisch bin, dass sich Probleme so leicht lösen lassen, wie hier beschrieben. Es ist gut, wenn man sich, wenn einen einer einschüchtert, vorstellt, man habe einen gefährlichen Hund neben sich stehen. Aber ob man dadurch wirklich stärker wird oder eher schizophren, das kann ich nicht entscheiden.

Der größte Wert des Buches liegt für mich allerdings in seiner unfreiwilligen Komik. Ich habe es mir auf den Nachttisch gelegt, und dort wird es lange liegen bleiben. Das ist eine Ehre, die wenigen Büchern zukommt. Ich habe die feste Absicht, wenn mir fad ist oder ich traurig bin, darin zu blättern, denn es ist das witzigste Buch, das ich seit langem gelesen habe. Das liegt nicht an der Fachkompetenz der Autorin, die ich nicht bezweifle, sondern an ihrer unbeholfenen, wusseligen Sprache und dem zwischendurch aufblitzenden unglaublich Krausen ihrer Gedanken.

Ich meine damit nicht das in dergleichen Beratern nicht selten anzutreffende flachschürfende Psycho-Gebabbel wie "Dann ist man zwar allein, aber nicht All-ein." Das gibt es hier - was Wunder - natürlich auch. Wer sowas versteht, ist ja ohnehin verloren. Was ich aber meine, hat eher den unbeholfenen Charme, den man so noch nicht kennt.

Da ist zuerst das Theatralische. Wer die einzelnen Ratschläge des Buches in Gegenwart eines Partners aktiv durchführen würde, hat den mit hoher Wahrscheinlichkeit bald in hilflosem Lachen verkrümmt auf dem Boden liegen. Denn diese Regieangaben sind klare Realsatire.

Nehmen Sie Frau Perners Vorschläge zum Coping unter dem Stichwort "Chancen". Körperlich machen Sie, um Chancen wahrzunehmen, hier am Besten einen "Mutsprung". Man will befördert werden in eine höhere "Dienstklasse" (ich hielt das zuerst für einen Begriff aus der Motorbranche, mag aber Wiener Amtsdeutsch sein). Für den Mutsprung fertigt man sich zu aller erst einen Gegenstand an, der das symbolisiert, was erreicht werden soll - zum Beispiel einen Schreibtisch? - Dann stellt man sich davor und begrüßt den Schreibtisch mit den Worten: "Ich begrüße dich, meine hochersehnte Dienstklasse XY, und zeige dir mit meinem Sprung, wie sehr ich dich ersehne." Originalton Perner: "Und jetzt dürfen Sie springen: Versuchen Sie es elegant, als würden Sie einem/r Geliebten über eine (kleine) Hürde entgegenspringen. Bitte kein plumper Platsch! Versuchen Sie leise anzukommen."

Wenn Sie das gelesen haben und Sie dabei nicht automatisch ein Lächeln unterdrücken mussten, sollten Sie jetzt vielleicht nicht mehr weiterlesen, das Buch einfach kaufen und damit glücklich werden. Ich gehöre nämlich zur anderen Fraktion, die solche Ratschläge einfach nur blöd findet, und darüber muss ich mich an dieser Stelle noch ein bisschen auslassen. Denn ich sehe eine konkrete Chance. Ich kann mir vorstellen, dass im neuen Film von Hader - oder sagen wir gleich Hollywood, den Machern von "Meine Braut, meine Schwiegereltern und ich" - aus diesen und anderen Szenen aus Perners Buch ein Kassenschlager verfertigt werden könnte, der an Woody Allens "Was Sie schon immer über Sex wissen wollten ..." heranreichte. Auch das war ursprünglich ein Beraterbuch, ich bezweifle aber, dass es so komisch war wie "Die Hausapotheke für die Seele." (Hallo, Deuticke, Filmrechte!!!)

Meine Vermutung: Wenn das Buch am Markt ein Erfolg sein wird, dann durch humoristische Menschen, die es erstehen, um sich gegenseitig immer wieder einmal an tristen Tagen aus ihm vorzulesen und dabei schlapp zu lachen.

Schon der unbeholfene, umständliche Schreibstil hat Potenzial. Sehr gefallen hat mir zum Beispiel die aufgeregte Einleitung zum Stichwort "Chakrenreinigung". Sie haben vielleicht schon einmal von Chakren gehört. Der Begriff stammt aus dem indischen Ayurveda und bezeichnet Energiewirbel, deren Kanälchen, die Nadirs, blockiert sein und dadurch Krankheiten hervorrufen können. Frau Perner beginnt ihre Erklärung so: "Ob Sie nun der so genannten Esoterik freundlich zugeneigt sind oder eher mit TCM (Traditioneller Chinesischer Medizin) vertraut, das Erfahrungswissen zeigt, dass es eher die fremden Denkgebäude sind, mit denen 'aufgeklärte' Menschen der westlichen Kultur ihre Schwierigkeiten haben, als mit den zugrunde liegenden Phänomenen."

Meine erste Reaktion darauf: Häh? Kein Wunder, denn der Satz geht nicht auf. Trotzdem versuchte ich ihn dann folgend zu analysieren: "Ob Sie nun der so genannten Esoterik (im Unterschied zur nicht so genannten Esoterik?) freundlich zugeneigt sind (also Esoterik bejahen?) oder eher mit TCM (Traditioneller Chinesischer Medizin) vertraut (warum denn? Dort heißt das doch Meridiane und hat mit Chakren nichts zu tun), das Erfahrungswissen (ist das was Anderes als einfaches Wissen?) zeigt, dass es eher die fremden Denkgebäude (Gibt es den Begriff Denkgebäude?) sind, mit denen "aufgeklärte" Menschen (was hat Aufklärung mit scheinbarer Aufklärung in diesem Zusammenhang zu tun?) der westlichen Kultur ihre Schwierigkeiten haben (im Gegensatz zu?), als mit den zugrunde liegenden Phänomenen. (Ah ja. Sie meint wahrscheinlich Folgendes: Manche Menschen, die sich für aufgeklärt haben, lehnen fremde Konzepte ab, obwohl sie deren Inhalte bejahen könnten. Als Satz ziemlich banal. Warum aber sollten gerade Menschen, die Esoterik bejahen, sie ablehnen? Warum sollten TCM-Vertreter nur scheinbar aufgeklärt sein und dann die TCM ablehnen, vor allem, weil die ja dann kein fremdes Konzept mehr darstellt? Und warum TCM, wenn doch von Ayurveda die Rede sein sollte? So kommen wir bei Frau Perner nicht weiter. Witzig sind solche Sätze allemal.

Frau Perner vertritt in der Einleitung zu dem Buch den Gedanken, dass bei Frauen die Gehirnhälften besser integriert sind. Der Balken zwischen den Gehirnhälften sei stärker vernetzt als bei Männern. Mich erinnern diese "Erkenntnisse" ein bisschen an Forscher, die im 19. Jahrhundert Gehirne gewogen und sich diebisch gefreut haben, nachzuweisen, dass Frauenhirne weniger wiegen als Männerhirne. Dass Ameisen klüger sind als Elefanten, hat sie da nicht weiter gestört, obwohl deren Gehirne ja nur Bruchteile von Elefantengehirnen wiegen. Ähnlich konsequent versucht Frau Perner nun aus ihrer Lebenserfahrung in einem langen Absatz die Richtigkeit der Gehirnhälftenthese zu belegen. Ihre argumentativen Schritte verlaufen dann im gedanklichen Kassatschok:

1. Vor 1918 führten Männer in sozial höher gestellten Schichten Tagebuch.
2. Im Dritten Reich waren Männer gnadenlose Kämpfer und Frauen Heldenmütter.
3. In den Siebziger Jahren banden sich ältere Männer ihr schütteres Haar zu Zöpfen.
4. Frauen wurden zum gleichen Zeitpunkt mehrfach belastet in Beruf und Privatleben und zogen es deshalb vor, partnerlos zu bleiben.
5. Die Computertechnik hat auch festgestellt, dass Frauen andere Gehirnpartien benutzen als Männer.
6. Frauen sind für Führungsaufgaben qualifiziert, was sich noch nicht herumgesprochen hat.

Ich schwöre, keine Information ausgelassen zu haben. Meinen Sie, damit sei die bessere Vernetzung von Frauenhirnen bewiesen? Wenn ja, dann kaufen Sie dieses Buch und machen Sie alles so, wie es darin empfohlen wird. Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach beweist diese Argumentationskette nichts, und hat eher den Charme des Dada.

Höhepunkte in dem Buch sind - wie zu erwarten - die Ratschläge zur Sexualität. Ich finde ja prinzipiell auch, dass Selbstbefriedigung besser ist als kein Sex mit einem Partner. Aber wahrscheinlich hätte ich aus Peinlichkeitsgründen nicht Friedrich von Schlegels Gedicht zur Lage zitiert:

"Du meine Hand bist mehr als alle Weiber
Du bist stets da, wie keine Frau erprobt,
Du hast noch nie in Eifersucht getobt,
Und bist auch nie zu weit, du enger Reiber."

Wer seine fünf Sinne beisammen hat, sollte einfach merken, dass sich das Gedicht eher zur Belustigung als Belehrung eignet, vor allem wegen seiner unendlich peinlichen vierten Zeile. Da muss man kein Schuljunge sein. Aber gut. Überraschend an der Episode ist nur, dass Frau Perner, die sich eben noch aufgeklärt gab, nun plötzlich mit ihrem Rat ins 19. Jahrhundert zurückkehrt und Tipps gibt, wie man Selbstbefriedigung vermeiden kann (!). Wer nämlich Lust auf Masturbation verspürt, solle tief atmen oder sich vorstellen, durch einen Feldstecher zu schauen und das Glas dann umdrehen, damit man alles von Ferne sieht. Ich hielt diesen Abschnitt für realitätsfern, altjüngferlich und eher wenig erfolgsträchtig, aber gut: Schlegel kann nicht überall Recht haben.

Ebenso bedrohlich empfindet die Autorin offenbar körperliches Begehren. Die Empfindung, dass sich der Körper "paarungsbereit" macht, scheint in ihren Augen etwas Unerwünschtes zu sein, das dringend mit einem Remedium aus der psychologischen Notfallapotheke kuriert werden muss. Wo Andere sich vielleicht freuen würden, mal wieder verliebt zu sein, konstatiert Frau Perner mit Beunruhigung Blutdruckanstieg, rasche Atmung, Gummiknie und das Anschwellen und Vibrieren bestimmter Körperteile als Warnzeichen. Dagegen hilft folgende Strategie: Das begehrte Objekt als "Forschungsgegenstand" wahrzunehmen versuchen, Bauch anspannen, Beckenboden zusammenziehen, die "Paarungsenergie mit jedem Atemzug in Richtung Herz" hinaufziehen und Rückgrat aufrichten. Der Charme dieser Anleitungen liegt im Detail: "After- bzw. auch Vaginalöffnung fest zusammenziehen, halten und möglichst bis sechs zählen, dann erst wieder entspannen." Stellen Sie sich eine Szene vor, in der sich eine Frau sich so mental auf die Keuschheitsgürtelisierung ihrer selbst einstimmt, lassen Sie das von Michael "Bully" Herbig verfilmen, und Sie haben einen größeren Erfolg als "(T)Raumschiff Surprise".

Wer "Die Hausapotheke für die Seele" liest und dabei nicht die freudige Ungebundenheit kindlichen Humors in sich hochwallen spürt, ist meiner Ansicht nach kein Mensch mehr. Ich halte das Buch für Kult, und meine: Wenn das kein Bestseller wird, dann schläft Österreich. Oder es liegt daran, dass seine Gehirnhälften nicht so gut miteinander verbunden sind wie bei Frau Perner.

(Dr. Berndt Rieger; 03/2005)


Rotraud A. Perner: "Die Hausapotheke für die Seele"
Deuticke im Zsolnay Verlag, 2005. 320 Seiten.
ISBN 3-552-06004-9.
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