Moshe Idel: "Der Golem"

Jüdische magische und mystische Traditionen des künstlichen Anthropoiden


Die Erzählung der Erschaffung eines menschenähnlichen Wesens nicht durch (einen) Gott, sondern durch einen Menschen, findet sich in verschiedenen Kulturen. In der jüdischen Mystik tritt dieser Mythos in der Figur des Golems auf, der - aus Staub geformt - mit Hilfe von Buchstabenkombinationen und Worten zum Leben erweckt wird. Die Bedeutung des Golems für die jüdische Lehre ist nicht zu unterschätzen, da er als Anthropoid ein subtileres Nachdenken über die Phänomene des Menschen und des Schöpfungsprozesses erlaubte. Der Glaube an den Golem, einmal als Tatsache, einmal als Sage, wurde ein fester Bestandteil des jüdischen Erbes. Ein wichtiger Grund, seine Rezeption über die Jahrhunderte zu analysieren.

Genau dieser religionsgeschichtlichen Aufgabe widmet sich Moshe Idel in seinem Buch, das nunmehr auf Deutsch erschienen ist. Beginnend bei dem Sefer Jezira, dem ältesten aller kabbalistischen Texte, folgt er den Spuren der Golem-Erzählungen durch das Mittelalter über die Renaissance in die Neuzeit.

Idels Analyse der Erzählungen über die künstliche Kreatur ist gründlich. Sein Studium zahlreicher, teilweise unveröffentlichte Handschriften ermöglicht ihm eine detaillierte Darstellung der Wahrnehmung und des Verständnisses des Golems auch außerhalb der jüdischen Mystik, wie zum Beispiel in der Halacha. Dem wissenschaftlichen Leser ermöglicht Idel durch zahlreiche Verweise und Zitate der Originaltexte eine nachvollziehbare, kritikfähige Argumentation. Die umfangreichen Quellenabgaben sollten auch den größten Wissensdurst stillen können.

Das Buch ist keine leichte Kost für Anfänger. Die Einleitung und verschiedene Kapitel, wie zum Beispiel über die modernen Nachklänge des Golems, sind zwar auch ohne besondere Vorkenntnisse in der jüdischen Mystik zu verstehen und vermitteln verblüffende neue Einsichten, der besondere Wert des Buches erschließt sich jedoch nicht auf diese Weise. Insbesondere wer eine leicht verständliche Einführung in die Sagen des Golems oder gar folkloristisches Material erwartet, wird enttäuscht. Wer aber vertiefte Erkenntnisse sucht, dem ist das Buch uneingeschränkt zu empfehlen.

Moshe Idel, Professor für Jüdische Studien an der Hebräischen Universität in Jerusalem, legte das Buch bereits 1990 in Englisch vor, aber hat es für die deutsche Fassung aktualisiert und erweitert.

(Daniel Stengel; 06/2007)


Moshe Idel: "Der Golem. Jüdische magische und mystische Traditionen des künstlichen Anthropoiden"
(Originaltitel "The Golem: An Historical Overview")
Übersetzt von Christian Wiese.
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2007. 553 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Abraham Abulafia und die mystische Erfahrung"

(Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag)
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Noch ein Buchtipp:

Andreas B. Kilcher, Otfried Fraisse (Hrsg.): "Metzler Lexikon jüdischer Philosophen. Philosophisches Denken des Judentums von der Antike bis zur Gegenwart"

Unter Mitwirkung von Yossef Schwartz.
Ab 1933 ausgegrenzt und vergessen: das philosophische Denken des Judentums. In rund 180 Porträts von Autoren und Texten stellt das Lexikon das Spektrum jüdischen Denkens von der Antike bis zur Gegenwart vor. Jeder Beitrag schafft intellektuelle Profile und Interpretationen im Spiegel der jeweiligen theologischen und philosophischen Denkrichtung. Dadurch werden die Wechselwirkungen und der produktive Austausch zwischen Judentum und den griechischen, islamischen, christlichen und modernen europäischen Kulturen und Philosophien in den Blick gerückt. Dieses Lexikon liefert erstmals in deutscher Sprache eine umfassende Darstellung jüdischer Philosophen, dazu gehören: Maimonides, Abraham Abulafia, Mendelssohn, Freud, Herzl, Rathenau, Baeck, Arendt und Scholem. (J.B. Metzler Verlag)
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