Frank Göhre: "Zappas letzter Hit"


Nicht der von mir erwartete Hit

"Erfolge korrespondieren mit massenhaften Bedürfnissen. Erfolge haben ihre eigene irrationale Dynamik." So erklärte und begründete Jürgen Peters in einer lesenswerten Studie den Erfolg von Trivialliteratur. Dann beklagt er, dass sich diejenige Literatur immer mehr durchsetzt, die bewusst und ohne alles ästhetische Vertun, kalkuliert und effektiv, als reine Ware produziert wird. Diese etwa Mitte der siebziger Jahre formulierte Einschätzung ist heute gültiger denn je.

Ein Erfolg, ein Hit also, war die Geschichte des St. Pauli Killers, um dessen Vermächtnis es in "Zappas letztem Hit" geht, schon einmal für die Massenmedien. Nun liegt hier eine literarische Aufbereitung vor, der ich leider nicht viel abgewinnen kann. Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich mit meiner Meinung vermutlich ziemlich allein dastehe. Doch trotz aller überschwänglicher Kritik im Spiegel und anderen meinungsbildenden Medien war es bei mir von Anfang an das Beckmesserlein, das sein Recht auf freies Schalten und Walten geltend zu machen suchte. Zugegeben, die Geschichte ist schon spannend erzählt, die Handlung besitzt Dynamik, zweifellos versteht der Autor sein Handwerk, und seinen Figuren wird man die Lebensechtheit gewiss nicht absprechen können. Was will man also mehr, möchte man fragen. Nun, es hängt ganz davon ab, welche Ansprüche man an einen Kriminalroman stellen mag oder überhaupt stellen darf. Vielleicht bin ich mit zu hoch geschraubten Erwartungen an die Lektüre des Textes herangegangen.

Mein erster Eindruck war jedenfalls: Schon wieder einer dieser 08/15 Krimi-Autoren, einer aus Bukowskis Nachahmerkohorte, was seinen Schreibstil anbelangt, ohne eigenes Profil. Einer von denen, die Begriffe wie Arsch, Schwanz, Titten, Ficken, Kacke, Scheiße, Pisse und so weiter in einem inflationären Übermaß strapazieren. Neben diesem Schwelgen im Ordinären finden wir die bewährte Melange von Sex, Crime und Rock & Roll, nahezu das gesamte Rock-Pantheon der 1960er/70er Jahre gibt sich im Buch ein Stelldichein, von Fleetwood Mac bis Southside Johnny. Frank Göhres Sprache kommt in einem hemdsärmeligen Gossenslang daher, und auch wenn das die Umgangssprache in dem Milieu, das er uns schildern möchte, sein mag, für meinen Geschmack ist es einfach zu penetrant, zu dick aufgetragen. Im Grunde ist es eine Lektüre, die die Genitalien beschäftigt hält, während sich der Geist getrost dem Tiefschlaf hingeben kann. Dies gilt wohlgemerkt nur für diesen einen, hier besprochenen Roman des Autors, die anderen kenne ich nicht.

Frank Göhre liefert uns in seinem Krimi ein bemerkenswertes Porträt von Hamburgs Halbwelt, von den hohlen Gesellschaftsmarionetten aus Politik, Boheme und organisiertem Verbrechen, einer Gesellschaft die allerdings stellvertretend stehen kann für die Gesellschaft jeder beliebigen Großstadt. Klar, dass man da als Autor versucht ist, "die Sau rauszulassen", um den ganzen Filz, die Korruption, den Schmutz, das Hohle hinter der schillernden Fassade bloßzulegen. Ich meine jedoch, es ist ihm etwas zu plakativ und zu platt geraten. Ein Hamburger Senator, der bei jeder Gelegenheit ungeniert seine Fürze streichen lässt, sich darüber hinaus ständig der Fäkalsprache bedient, wirkt mir etwas zu übertrieben dargestellt. Möglich, dass der Autor uns erklären will, woher der Wind weht in der Politik, doch die unanständigste Körperöffnung eines Politikers ist nun einmal immer noch sein Mund.

Überhaupt sind die Menschen bei Göhre reduziert zu Schablonen, sie sind einer Typisierung unterworfen, ihre bereits angesprochene Lebensechtheit ist rein oberflächlich. Nicht einmal ansatzweise gibt es eine psychologische Deutung menschlichen Handelns. Disparate Handlungsschienen sowie rasch wechselnde Szenarien verraten den Film- und Fernsehautor, ebenso scheinen die Dialoge irgendwie den Erfordernissen des Filmgenres angepasst. Ein Staccato zerhackter Sätze mit banalen Aussagen, charakteristisch für Film- und Fernsehkrimis, für den ganzen "Tatort"-Stuss und ähnliche, ein Massenpublikum befriedigende Dutzendware.

Für viele Krimi-Fans wie auch für die meisten Kritiker mag dies ein Top-Krimi sein, ich persönlich kann mir die Sicht der Kritiker vom Spiegel und anderer Medien leider nicht zu eigen machen. Versöhnlich schließen möchte ich mit einem Bonmot des spanischen Dichters Nicolás Gómez Dávila: "Wer nicht versteht, dass zwei vollkommen konträre Haltungen vollkommen gerechtfertigt sein können, sollte sich nicht mit Kritik befassen."

(Werner Fletcher; 11/2006)


Frank Göhre: "Zappas letzter Hit"
Pendragon, 2006. 234 Seiten.
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Frank Göhre, 1943 geboren, hat als Buchhändler, Bibliothekar und als Lektor gearbeitet. Seit 1981 lebt er als Autor für Film und Fernsehen in Hamburg. Sein Roman "St.-Pauli-Nacht" wurde von Sönke Wortmann verfilmt. Für das Drehbuch wurde Frank Göhre mit dem "Deutschen Drehbuchpreis" ausgezeichnet:

"St.-Pauli-Nacht"
Johnny tobt kurz auf der Meile herum, ein letztes Mal. Schüsse fallen. Ein nackt herumlaufender Amokschütze wird von einer Killerbestie gestoppt. Ein wortkarger Friese hat von nichts eine Ahnung und bekommt doch großen Ärger. Ein Dachboden brennt aus. Eine Liebesaffäre endet abrupt. Aber auch eine neue Liebe beginnt. St. Pauli zwischen Mitternacht und Morgengrauen. Der Taxifahrer Rasta Robby hört viel. Zwei Jugendliche wissen wenig voneinander. Ein Geschäftsmann von auswärts schiebt Frust. Eine Kiez-Größe will sich nichts anhängen lassen. Und ein Transvestit glaubt, keine Probleme mehr zu haben. Doch es kommt alles anders. Eine Nacht auf St. Pauli. Zufälle und Schicksale. Leben und Lust. Gewalt und Tod. Eine Nacht wie jede andere. Ineinandergreifende Geschichten einiger Menschen, deren Wege sich auf dem Kiez kreuzen. (Rowohlt)
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