Martin Rümmele: "Kranke Geschäfte mit unserer Gesundheit"

Symptome, Diagnosen und Nebenwirkungen der Gesundheitsreformen


Detaillierte und sachkundige Aufbereitung eines komplexen Themas

Vor einigen Monaten traf ich auf einen Patienten, der von der Familie aus der Betreuung im Krankenhaus genommen wurde, da sich sein Zustand dabei beständig verschlechterte. Er litt neuerdings an Asthma, hatte eine zunehmende Schwellung der Beine, Stuhlgangsprobleme und Wutanfälle, weshalb er die meiste Zeit an sein Bett gefesselt worden war.

Ich war bereit, die häusliche Betreuung zu übernehmen, und starrte auf eine Medikamentenliste, die 14 Arzneien umfasste. Auf meine Frage, welche davon schon länger bestanden haben und warum, erhielt ich die Antwort: Gar keine. Gut, sagte ich dann, setzen wir eben alles ab und beobachten, wie es dem Opa dabei geht. Binnen weniger Tage verschwanden alle Beschwerden. Vor kurzem konnte ich feststellen, dass es dem Patienten ohne Medikamente weit besser geht als mit ihnen. Überspitzt formuliert kann man sagen, dass sie beinahe sein Tod gewesen wären.

Betrachten wir einmal die finanzielle Seite des Ganzen. Der Krankenhausaufenthalt lief über einen Monat. Die Einweisung erfolgte wegen Stuhlträgheit. In kürzester Zeit hatten sich durch die Verunsicherung des alten Menschen in der neuen Umgebung Unruhezustände herausgebildet, die mit Psychopharmaka abgedämpft wurden. Darauf entwickelte sich Luftnot, die wieder mit neuen Arzneien behandelt wurde. Deren Nebenwirkungen wurden mit neuen Arzneien behandelt, die wieder Nebenwirkungen hatten. All das wurde vom Personal dokumentiert, mit kostspieligen Untersuchungen abgeklärt und versucht, alles mit pflegerischen Maßnahmen in den Griff zu kriegen. Das Resultat war ein Aufenthalt mit Gesamtkosten um 10000 EUR. Nach der Entlassung sollten Medikamente mit Tageskosten um 100 EUR verabreicht werden. Das sind jährliche Kosten von 3600 EUR. Und all das nur deshalb wegen eines Problems, das ein ambulanter Arztbesuch und die Verordnung eines Abführmittels gelöst hätte. All das zahlt die sogenannte öffentliche Hand, tatsächlich aber der Krankenversicherte mit seinem Beitrag.

Das Arzneimittelbudget wird auch durch andere Mechanismen beeinflusst. Nehmen Sie nur die zunehmende Aggressivität der Darstellung von sogenannten Studienergebnissen zu verschiedenen Krankheiten in Hochglanzbroschüren, Lifestyle-Magazinen und Boulevardblättern. Mit reißerischer Aufmachung präsentiert wecken sie die Angst, dass man ohne eine bestimmte Pille bald sterben könnte. Diese Angst führt zum Arzt, der die Pille dann verschreibt, weil auch er sogenannte Studienergebnisse gelesen hat, dass sich die Probleme so verhalten, und von Universitätsprofessoren, die unter vorgehaltener Hand längst als "Mietmäuler" der Pharmaindustrie oder "habilitierte Pharmareferenten" bezeichnet werden, in gewichtigen Beiträgen auch so dargestellt werden. Kurz gesagt ist all das aber nur eine Kampagne der Pharmaindustrie, die sie zur Umsatzsteigerung ihrer Produkte einsetzt.

Dies sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie geringe Änderungen im Gesundheitssystem Milliardenbeträge sparen könnten. Sie erklären aber auch, warum der allgemeine Eindruck entsteht, Gesundheitsaufwendungen würden explodieren, denn es sind Missstände, die keiner abstellt. Was die übrigen Bereiche des Gesundheitswesens betrifft, besteht, so der österreichische Wissenschaftsjournalist Martin Rümmele in seinem neuen Buch "Kranke Geschäfte mit unserer Gesundheit", keine Anlass für Panik. Kosten und Ausgaben haben sich in den letzten 20 Jahren kaum geändert, wohl aber der Druck der Privatwirtschaft, sich an Krankenkassenbeiträgen gütlich halten zu wollen. Würden sich die öffentlichen Verwalter nur selbst ein bisschen mehr um ihre Aufgaben kümmern, so Rümmele, wäre es den Politikern schnell verwehrt, durch eigene Trägheit oder Voreingenommenheit Privatanbietern im Gesundheitswesen Geschäfte zuzuschanzen, die nicht im Interesse der Versicherten sind.

Worum geht es? Auf der einen Seite zahlen Versicherte dafür ein, dass sie im Krankheitsfall keine Kosten tragen müssen. Auf der anderen Seite steht eine zunehmende Zahl von Unternehmern, die durch Leistungssenkung Kosten sparen und Gewinne steigern möchten. Beides zusammen geht nicht. Wenn Unternehmen im Gesundheitswesen Gewinne machen wollen, geht das automatisch nur mit einer Reduzierung von Leistungen und Personal. Rümmele kann das detailliert aus anderen Ländern anführen, in denen dieser Weg schon vor Jahrzehnten beschritten wurde, vor allem in den U.S.A. Jede Leistung, die besonders nachgefragt wird, kann dann getreu dem Prinzip von Angebot und Nachfrage verteuert werden, indem man Selbstbehalte einführt oder die Leistung überhaupt nur mehr ungedeckt anbietet.

Die Folgen für den Patienten sind klar. Er überweist immer noch das gleiche Geld an seine Kasse, kriegt aber immer weniger Gegenwert und muss deshalb zunehmend größere Beträge zusätzlich aufwenden, um noch versorgt zu werden. Wenn man sieht, dass dann auf der anderen Seite von börsennotierten Krankenhausbetreibern erhebliche "Gewinne" ausgewiesen werden, muss man sich fragen, ob man diese überhaupt als solche bezeichnen kann. Schließlich bedient man sich aus einem Topf, der einem von Politikern einfach vor die Nase gestellt wird, und lässt nebenher noch einen Scheinbetrieb laufen, dessen einzige Bedeutung nur darin liegt, die Fassade zu wahren und billig zu sein.

Rümmele, der seit 1997 als Redakteur der Tageszeitung "WirtschaftsBlatt" den Schwerpunkt Gesundheitsökonomie betreut, ist nicht zufällig mehrmals für seine Arbeit ausgezeichnet worden, u.a. von der Österreichischen Ärztekammer. Er verbindet Sachkompetenz mit einer nüchternen, objektiven Betrachtungsweise. Was er in seinem Buch beschreibt, stellt schnell klar, dass der Titel in jeder Hinsicht zutrifft. Sich an Krankheit und Schwäche oft mittelloser Menschen eine goldene Nase zu verdienen gehört zu den verabscheuungswürdigsten Handlungen, und die in dem Buch genannten privaten Anbieter wären gut beraten, einen Sittlichkeitskodex zu erarbeiten, der die größten Missstände abschafft. Vor allem die Verwaltungen der Krankenkassen und die Beamtenschaft im Gesundheitswesen sollten sich auf die Hinterbeine stellen und eigene Lösungsmöglichkeiten suchen, anstatt ausländischen Investoren Möglichkeiten zur Kapitalsteigerung bieten, deren einziger Triebmotor das sauer verdiente Geld von Arbeitern und Angestellten ist, die im Privatleben jede Münze umdrehen müssen.

(Dr. Berndt Rieger; 03/2005)


Martin Rümmele: "Kranke Geschäfte mit unserer Gesundheit"
NP, 2005. 222 Seiten.
ISBN 3-85326-370-4.
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