Norberto Fuentes: "Die Autobiographie des Fidel Castro"


Die Castro- und Leser-Vera ...

Wie kann man den Leser davon überzeugen, dass Fidel Castro den Che Guevara in den Tod schickte - oder wie kann man beweisen, dass Fidel Castro bis zum letzten Moment daran zweifelte, die Macht mit Hilfe der Rebellenarmee zu ergreifen?! Norberto Fuentes - einst enger Freund Castros, später unter Polizeiüberwachung gestellt, heute in den USA lebend und vom kubanischen Geheimdienst beäugt - möchte mit diesem Buch, "das keine Fiktion ist, aber dennoch mit den Mitteln der Fiktion arbeitet", diese und weitere Ungereimtheiten über den Mythos Castro aufklären. Fuentes sagt dazu: "Meine Absicht war, eine Biografie Fidel Castros zu schreiben, die - im Gegensatz zu allem, was bis dahin über ihn veröffentlicht worden war - aus seiner eigenen, weniger persönlichen, als vielmehr vertraulichen Sicht erzählt werden sollte." Er möchte "die Motive seines Handelns, und nach den Motiven die Ziele" offenlegen. Der Autor legt Wert darauf zu betonen, er habe "Informationen, die ich in eigener Erfahrung erworben oder im engsten Umkreis meines Protagonisten gesammelt hatte."

Schon zahlreiche Biografie-Versuche über Castro sind zu registrieren - teilweise vom Máximo Líder selbst initiiert oder boykottiert (u.a. soll eine von ihm begonnene 40-bändige Sammlung geben). Castro hat viele Politiker und Systeme (und auch Attentate auf ihn) überlebt, Fuentes alias Castro erzählt "sein" Leben, die Vorder- und die Hintergründe, von seinem Sex-Appeal ebenso wie von seinem politischen Instinkt. Und in raffinierter Chuzpe führt sich dieser Rollenspiel-Ich-Erzähler ein: "Ich will also mit diesem Buch weder etwas widerlegen noch mich verteidigen, sondern ... aus eigenem Munde meine Fassung der Geschehnisse darlegen, in deren Mittelpunkt ich stehe und die bislang nur aus fremder, vor allem aber heuchlerischer Sicht bekannt waren."

Das Buch beginnt mit Geburt, Kindheit, Schulzeit und lässt Fidel von Anfang den als starken Max markieren, der nichts für Schwächlinge übrig hat und unbeirrt feststellt: "Zudem glaube ich keineswegs, dass die Kubanische Revolution jemals ohne mich stattgefunden hätte. (...) und dieses Buch soll dafür zahlreiche Beispiele liefern." Unter anderem philosophhiert Fuentes-Castro über das Erschießen von Gegnern: "Wirklich schwierig ist nur der Erste (...) aber er hat den Vorteil, dass er den Weg für die Folgenden ebnet. Er zwingt dich, viele innere Widerstände zu überwinden und die Angst, es nicht ertragen zu können." Das lässt schon tief blicken in den (angeblichen) Skrupelhaushalt dieses Mannes - geradezu unverschämt wird er (Fuentes? Castro?) aber, als er sich nach seinem ersten Mord (?) direkt an den Leser wendet: "Welch seltsame Komplizenschaft habe ich zwischen mir, dem Memoirenschreiber, und dir, seinem Leser, entdeckt: In erster Linie schreibe ich dir eine ähnliche Intelligenz zu und die Fähigkeit, alle meine Handlungen zu verstehen, dann eine gewisse Sympathie für mich bis hin zu einem Einverständnis jenseits aller moralischen Schranken." Vorsichtig bedenkend, dass hier ein fiktiver Castro spricht, erhebt sich schon die Frage, ob Fuentes mit der angemaßten Ich-Perspektive hier den realexistierenden Castro bloßstellen möchte - zumal im Anhangteil des Buches auch eine Auflistung von Personennamen auftaucht, deren Tod Castro zu verantworten habe sowie eine Liste über 'Bewusst begangene Verbrechen Fidels'. Eigentlich eine fiese Methode, den Líder sich hier in aller Naivität selbst anklagen zu lassen. Das ist wahrhaft-dubios "witzig, hintergründig, voller Ironie" (Klappentext)! Ha!

Der Ich-Erzähler-Castro spricht von einer "Offenbarung", als ihm Mando Castro del Campo die Hand drückt und seine "Ausbildung zum Revolutionär" beginnt. Mit zunehmender Lektüre gewinnt man allerdings das Gefühl, dass hier eine hinterfotzige Satire vorliegt, eine zynische Polemik, eine rachelüsterner Fälschung, eine sarkastische Persiflage auf eine Autobiografie. Und dabei erhebt sich natürlich für den beflissenen Leser die Frage, warum er 750 Seiten fingierte Veräppelungsprosa lesen soll - da muss der Groll auf Castro aber schon sehr tief sitzen! Das Problem besteht nicht darin, ob hier eventuelle Gräueltaten und Verfehlungen Castros benannt werden - sondern eben in dem Kunstgriff, Castro quasi eine Beichte ablegen zu lassen, von der man vermuten darf und muss, dass sie bewusst überdreht ist. Und so fragt man sich nach dem Erkenntnisgewinn dieser Lektüre (die ja mit erheblichem Zeitaufwand verbunden ist)!

Fuentes war einstmals Castros Vertrauter, wendet sich ehrenwerterweise von ihm ab und fällt in Ungnade. Und nun lässt er den Rollenclown Castro eigentlich Selbstrufmord auf offener Bühne begehen. Mag auch der echte Castro eher ein Macho in politischer und menschlicher Hinsicht sein als ein aufopferungswilliger Revolutionär - übertreibt hier der offensichtlich abrechnungswütige Fuentes dermaßen, dass man ihm seine Glaubwürdigkeit nicht mehr abnehmen mag. Leider merkt man erst mit zunehmender Lektüre, dass dieses Buch in einem zigarrenrauchgeschwängerten kumpelhaften Plauderton verfasst ist, wobei Hybris als hervorstechende Eigenschaft Castros aufscheint und die quasi seriösen politischen Entscheidungen und Entwicklungen zu kurz kommen.

Das spanische Originalmanuskript umfasste knapp 2000 Seiten - zu unserem Glück hat der deutsche Übersetzer Thomas Schultz diesen Wust auf ein Drittel gekürzt. Denn hier wird nicht nur der Mythos Fidel Castro hämisch demontiert - hier wird auch der Leser im Ungewissen gelassen, wie zuverlässig diese Zwitterfiktion sein kann. Es stellt sich nämlich heraus, dass Fuentes von seinem Idol enttäuscht wurde und mit diesem Buch eine persönliche Rache befriedigt. Man mag über Castro denken wie man mag - dieses Buch überfordert den geneigten Leser und es trägt nichts zur Aufklärung bei, weil es schamlos zwischen Authentizität und Satire laviert. Nach Kurt Tucholsky darf die Satire alles - hier findet allerdings die große Castro- und Leser-Verarschung statt! Uns entgleitet die Maßstäblichkeit, um die Dimension der Übertreibung der Satire registrieren zu können. Ganz ehrlich: der Verdacht, dass hier Fuentes seinen persönlichen Groll ausspeien wollte, verleidet einem die Lektüre - deren Basiszweck übrigens auch mit 200 Seiten erfüllt wäre.

(KS; 06/2006)


Norberto Fuentes: "Die Autobiographie des Fidel Castro"
Aus dem Spanischen übertragen von Thomas Schultz.
C.H. Beck, 2006. 757 Seiten.
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Buchtipps:

Volker Skierka: "Fidel Castro. Eine Biographie"

Der kubanische Staatschef Fidel Castro ist eine der umstrittensten und interessantesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Seit über vierzig Jahren regiert er. Diese Biografie von Volker Skierka ist weder ein Heldenepos noch ein Totalverriss - sondern eine genau recherchierte und spannend geschriebene Darstellung des erstaunlich widerspruchsvollen Lebens und Wirkens von Castro. (rororo Rowohlt) Buch bei amazon.de bestellen

Fidel Castro, Felipe Pérez Roque, Heinz Dieterich: "Kuba - nach Fidel. Kann die Revolution überleben?"
„Glaubt Ihr, dass der revolutionäre, sozialistische Prozess Kubas umkehrbar ist?”,
fragte der Comandante en Jefe, Fidel Castro, auf seiner Rede am 17. November 2005 in der Universität von Havanna. Mit dem Ausruf „Diese Revolution kann nicht von anderen zerstört werden, sondern nur durch unsere Schwächen und Ungleichheiten“ wurde erstmals durch Fidel selbst der Erfolg der Revolution in Frage gestellt – ein Schock, wenn auch ein dialektischer, sollte er doch gleichzeitig eine internationale Debatte um Fehler und mögliche Verbesserungen auslösen! Die internationale Solidaritätsbewegung reagierte mit Bestürzung und Unglauben, ob der Tatsache, dass der Comandante zuvor fast ein halbes Jahrhundert lang immer von der Unbesiegbarkeit der Revolution sprach.
Als der kubanische Außenminister Felipe Pérez Roque am 23. Dezember, fünf Wochen nach dieser Rede darauf aufmerksam machte, „dass es notwendig sein wird, unsere siegreiche Revolution zu verteidigen, wenn eines Tages die Lücke da ist, die niemand ausfüllen kann.“, er also erstmals öffentlich von der Zeit nach Fidel sprach, holte er die November-Rede wieder in den öffentlichen Diskurs zurück.
Heinz Dieterich, mit Fidel und Felipe verbunden durch eine jahrelange Freundschaft, geht noch weiter: „Keine dieser Maßnahmen, so argumentiere ich in meiner Diskussion der Vorschläge des Außenministers und einiger Ausführungen Fidels, wird die Zukunft der Revolution nach dem Tode Fidels garantieren. Ebensowenig wie einige ökonomische Verbesserungen in der Lebensqualität der kubanischen Mehrheiten. Denn die Krise des Modells des historischen Sozialismus in Kuba ist strukturell, so wie sie es auch in der DDR und der Sowjetunion war.“
Nach Fidels Tod wird weltweit Trauer herrschen, ein Großer der Weltpolitik tritt ab. In der November-Rede formuliert Fidel Castro sein politisches Vermächtnis. Sorgen wir mit dafür, dass die kubanische Revolution überleben kann, nehmen wir Fidels Aufruf wahr, „eine Debatte zu führen, die unter dem Gesichtspunkt meiner politischen Ethik lediglich eine Zielsetzung haben kann: die Theorie und Praxis des Übergangs zu einer nichtkapitalistischen Welt voranzutreiben, in der die Zukunft Kubas von entscheidender Bedeutung ist.“ , so Heinz Dieterich in der Einleitung. (Homilius Verlag)
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Leycester Coltman: "Der wahre Fidel Castro. Biographie"
Fidel Castro - Teufel oder Lichtgestalt? Die Biografie Castros aus der Sicht eines neutralen Kenners und Eingeweihten.
Es gibt nur wenige Personen des 20. Jahrhunderts, die ähnlich umstritten sind. Für die Einen ein menschenverachtender Diktator, erkannten Andere in ihm eine Hoffnung verheißende Lichtgestalt. Jahrzehnte lang regiert Castro inzwischen Kuba, er hat die Herrscher in Washington und Moskau kommen und gehen sehen und sich aller weltpolitischen Veränderungen zum Trotz behauptet. Leycester Coltman ist Castro so nahe gekommen wie nur wenige Ausländer, in einer Zeit, als Kuba - nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums - sich neu orientieren musste.
Kindheit, Studentenjahre, Exil, Guerillakampf an der Seite von Che Guevara, Invasion an der Schweinebucht, Raketenkrise: Mit diplomatischem Fingerspitzengefühl schildert Coltman den Wandel Fidel Castros vom Rebellen zum Staatsmann.
Leycester Coltman war Ende der 1980er Jahre Leiter der Lateinamerika-Abteilung des britischen Außenministeriums, von 1991 bis 1994 Botschafter  in Havanna. (Artemis & Winkler)
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Jeanette Erazo Heufelder: "Fidel. Ein privater Blick auf den Máximo Líder"
Die Filmemacherin und Autorin Jeanette Erazo Heufelder kennt Cuba und sie kennt Castro. In "Fidel. Ein privater Blick auf den Máximo Líder" zeigt sie private Seite des dienstältesten Revolutionärs und erzählt erstaunliche Geschichten rund um diese umstrittene Kultfigur.
Lange schon scheinen seine Tage gezählt, doch er verblüfft immer wieder mit neuem Kampfgeist: Fidel Castro ist bereits zu Lebzeiten zur Legende geworden. Seit 1959 im Amt, ist er der am längsten amtierende Staatschef der Gegenwart. Kein anderer Führer hat so viele politische Gegner überlebt und dabei so konsequent sein Privatleben hinter der öffentlichen Maske versteckt.
Jeanette Erazo Heufelder hat den Máximo Líder kennen gelernt und in seinem engsten Umfeld zahlreiche Aspekte seiner widersprüchlichen Persönlichkeit recherchiert. Neben seiner politischen Karriere kommt beispielsweise auch sein außergewöhnliches Baseball-Talent oder seine Kochleidenschaft zur Sprache. Gegliedert in einzelne Kapitel (zu Themen wie u.a. Persönliches, Aufstieg, Macht, Überzeugungen, Widersprüche, Unterdrückung, Niederlagen, Erfolge, Rede, Mythos, Machismo, Kult) beleuchtet die Autorin schlaglichtartig und in kurzen Artikeln die unterschiedlichsten Details dieser kontroversen Figur. Das Resultat ist eine Sammlung von Geschichten, Fakten, Legenden und Zitaten, die Castro in seiner Widersprüchlichkeit zeigen.
Angereichert mit vielen bisher unveröffentlichten Fotos ist dieses Buch ein wichtiger Schlüssel, den Mythos des "größten Showman des Marxismus" ein Stückchen begreifbarer zu machen. Gleichzeitig liefert es einen unkomplizierten und unterhaltsamen Überblick über die Politik Kubas. (Eichborn)
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Albrecht Hagemann: "Fidel Castro"
Fidel Castro, geboren 1926, "máximo líder" und nach wie vor Staatschef der Zuckerinsel Kuba, eines sozialistischen Landes direkt vor der Haustüre der USA, zählt zu den großen Revolutionären des 20. Jahrhunderts. Er ist "commandante en jefe", Oberkommandierender seit über 40 Jahren. Schwerpunkte der Darstellung sind sein abenteuerliches Studentenleben in Havanna, seine Zeit als Guerrillero in der Sierra Maestra, die Raketenkrise im 
Kalten Krieg, sein Verhältis zu Che Guevara und seine plötzliche Isolation als einer der letzten marxistischen Staatschefs nach dem Ende der Sowjetunion. Ein Ausblick auf die Zukunft Kubas in der Zeit nach "Fidel" rundet den Band ab. (dtv)
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