F. Scott Fitzgerald: "Drei Stunden zwischen zwei Flügen
und andere Meistererzählungen"

Ungekürzt gelesen von Helene Grass, Volker Hanisch, Hannelore Hoger, Dietmar Mues, Friedhelm Ptok und Ernst Schröder
(Hörbuchrezension)


Die Wiederentdeckung

Wenn nicht der Roman als solcher, so ist doch aufgrund der Verfilmung mit Robert Redford "Der große Gatsby" ein Begriff. Der Name des Autors, F. Scott Fitzgerald, dürfte schon weniger geläufig sein. Dass der Schriftsteller neben diesem berühmten Roman zahlreiche Kurzgeschichten verfasste, ist heute nahezu in Vergessenheit geraten. Der Diogenes Verlag hat nun F. Scott Fitzgeralds Romane und Meistererzählungen, in einer neuen Übersetzung und mit ausführlichen Nachworten versehen, sowohl einzeln als auch im ansprechenden Schmuckschuber veröffentlicht. Doch das absolute Glanzlicht unter diesen Neuausgaben ist das in der Sammler-Edition erschienene Hörbuch, das in einer aufwändig gestalteten großformatigen Schatulle nebst ausführlichem Begleitheft publiziert wurde und hier besprochen werden soll.

Acht von F. Scott Fitzgeralds Erzählungen, gelesen von sechs unterschiedlichen Sprechern, sind in der Edition enthalten, darunter die autobiografische Geschichte "Wiedersehen mit Babylon".
Fitzgerald, Mitglied der von Gertrude Stein so getauften "lost generation", der neben ihm so bedeutende Schriftsteller wie Hemingway und Faulkner angehörten, war selbst Vater einer kleinen Tochter, Scottie, die er und seine Frau bei ihrem obsessiven Lebensstil völlig vernachlässigten.

In "Wiedersehen mit Babylon" kehrt der Erzähler nach Paris zurück. Dort hatte er mit falschen Freunden innerhalb kürzester Zeit sein gesamtes Vermögen verprasst, war zum Alkoholiker geworden. Die Familie seiner Frau gibt ihm die Schuld an deren Tod, das Sorgerecht für seine Tochter wurde ihm entzogen. Jetzt kehrt er, innerlich geläutert, nach Paris zurück, um seine Tochter zu sich zu holen. Zunächst scheint auch alles glatt zu laufen, doch dann trifft er "alte Bekannte" wieder - und diese setzen alles daran, ihn zu seinem alten Lebenswandel zu verführen. Dietmar Mues ist der Sprecher dieser Geschichte, und seine Stimme klingt, als wäre sie durch jahrelangen Nikotin- und Alkoholmissbrauch rau geworden. Hoffnungsfroh zunächst, ja in den Passagen, in denen der Erzähler mit seiner Tochter ein Restaurant besucht, ausgelassen-kindisch, wandelt sich seine Stimmlage ins Traurig-Resignierte. Einmal begehrt der Erzähler auf, als das befreundete Ehepaar uneingeladen in der Wohnung der Schwägerin auftaucht; eine prekäre Situation, sollte doch gerade über die Aufgabe des Sorgerechts "verhandelt" werden. Obwohl der Text noch Hoffnung auf ein gutes Ende ausstrahlt, hat der Erzähler und mit ihm Dietmar Mues bereits aufgegeben. Er ahnt, dass nach diesem verheerenden Auftritt, der bei seiner Schwägerin alte Wunde aufreißen muss, sein Plan keine Zukunft mehr hat.

In gewohnt perfekter Manier hat der Diogenes Verlag jeder der Erzählungen die entsprechende Stimme zugeordnet. Dies beschränkt sich nicht nur auf das Offensichtliche, den angenehmen Klang, sondern auf die Erfassung der den einzelnen Kurzgeschichten innewohnenden Stimmungen, Tendenzen und Manieriertheiten. So schwankt Helene Grass in "Bernices Bubikopf", einer Geschichte über die Wandlung des weiblichen Selbstbildnisses in den "Roaring Twenties", zwischen belustigt-aggressiv, abfällig-sarkastisch und fassungslos-wegwerfend.
In "Die Kinderparty" fechten zwei Männer einen Streit aus, der auf einer Kindergeburtstagsfeier wegen einer Nichtigkeit zwischen ihren Ehefrauen ausbrach. Ernst Schröder beginnt seinen Vortrag in aufgeräumter Stimmung, es ist ja eine schöne Feier. Als die Stimmung umschlägt, schlägt auch seine Stimme in einen verwunderten Ton um, und als die beiden Männer handgreiflich werden, klingt Schröders Stimme, als könne er gar nicht fassen, was er da auf dem Rasen zu sehen bekommt.

F. Scott Fitzgerald starb im Jahr 1940 völlig ruiniert und alkoholabhängig an Herzversagen. Er war fast in Vergessenheit geraten. Heute zählt er zu den bedeutendsten us-amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts.

Dieses gelungene Hörbuch und die Buchausgabe werden ohne Frage dafür Sorge tragen, dass F. Scott Fitzgerald auch im deutschsprachigen Raum diejenige Aufmerksamkeit und Wertschätzung erlangt, die er durch die Aufnahme in den literarischen Kanon der us-amerikanischen Weltliteratur genießt.

(Wolfgang Haan; 10/2006)


F. Scott Fitzgerald: "Drei Stunden zwischen zwei Flügen und andere Meistererzählungen"
Buchausgabe: Diogenes, 2006. 464 Seiten.
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Hörbuch: Diogenes, 2006. 6 CDs, Laufzeit ca. 376 Minuten.
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F. Scott Fitzgerald, am 24. September 1896 in St. Paul (Minnesota) geboren, hatte nach den Studienjahren in Princeton mit 24 Jahren sein Ziel erreicht: Sein erster Roman "Diesseits vom Paradies", 1920 erschienen, machte ihn auf einen Schlag berühmt und reich, mit seiner Frau Zelda stand Fitzgerald im Mittelpunkt von Glanz und Glimmer.
Während seiner Reisen nach Frankreich lernte er in Paris Ernest Hemingway kennen und vollendete dort 1925 sein berühmtestes Werk "Der große Gatsby", das sich zu Lebzeiten allerdings nicht gut verkaufte. Alles endete im schrecklichen Kater der Wirtschaftskrise. Fitzgerald verfiel dem Alkohol und hatte Depressionen. Alkohol, Zank und Geldprobleme zerstörten die Ehe mit Zelda. Um Geld zu verdienen, ging Fitzgerald 1937 als Drehbuchautor nach Hollywood, wo er am 21. Dezember 1940 starb.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Der große Gatsby"

New York in den "Goldenen Zwanzigern": Man tanzt Charleston und Black Bottom und begeistert sich für Duke Ellington und Louis Armstrong.
Der geheimnisumwitterte Jay Gatsby hat alles, was man mit Geld kaufen kann, und führt ein Leben im Überfluss. Die rauschenden Feste auf seinem märchenhaften Anwesen auf Long Island sind berühmt und ein beliebter Treffpunkt der New Yorker Oberschicht. Dennoch ist Gatsby ein Einzelgänger, der zurückgezogen lebt. Niemand weiß etwas über seine Herkunft oder welchen dubiosen Geschäften er seinen Reichtum verdankt.
Die Geschichte von Jay Gatsby, dem einsamen Millionär, der seiner längst verlorenen Liebe nachjagt, ist einer der größten und meistgelesenen Klassiker der us-amerikanischen Literatur. F. Scott Fitzgerald, der Dichter der "Roaring Twenties", erzählt von der Glamourwelt der Reichen und von der Oberflächlichkeit und Sinnlosigkeit des mondänen Lebens. In der glanzvollen Neuübersetzung von Reinhard Kaiser ist dieser Roman neu zu entdecken - in seiner Dramatik, seiner Tragik, seiner Eleganz und nicht zuletzt auch in seiner Komik. (Suhrkamp) zur Rezension ...
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"Die letzte Schöne des Südens"
In den Jahren 1925 bis 1929 verdiente Fitzgerald mit seinen Kurzgeschichten so viel Geld wie kein Schriftsteller je zuvor - bis der Börsenzusammenbruch den goldenen Jahren ein Ende setzte. "Die letzte Schöne des Südens" ist, wie eigentlich das ganze Fitzgerald'sche Werk, die Vorwegnahme dieser Desillusionierung. Was bleibt, ist die Erinnerung an glamouröse Zeiten und bittersüße Melancholie. (Diogenes)
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"Winterträume"
Geschichten aus der ersten Hälfte der "Roaring Twenties" (1920-1924). "Winterträume" - das sind die Träume, die unter schneebedeckten Landschaften keimen und in der warmen Jahreszeit erblühen; die Illusionen, die vielversprechende junge Männer hegen und mit denen sie egozentrische junge Frauen verführen. Doch ähnlich wie der große Gatsby will Dexter Green nicht wahrhaben, dass selbst auf die rauschendste Sommernacht ein neuer Winter folgt, unter dessen weißer kühler Decke alles wieder verschwindet. Geschichten über Liebe, Geld und Erfolg - und über die Vergänglichkeit des Glücks. (Diogenes)
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"Der letzte Kuss"
In den fünf Jahren vor seinem Tod 1940 geht dem einst so erfolgsverwöhnten Schriftsteller nichts mehr leicht von der Hand. Alkohol, Geldprobleme sowie die Verantwortung für seine Tochter Scottie und für seine Frau Zelda, deren Aufenthalt in der Nervenheilanstalt finanziert werden muss, treiben Fitzgerald nach Hollywood. Dort lebt er als Außenseiter - und schafft doch noch einmal eine Reihe unvergesslicher Geschichten über die nicht mehr so glänzende Glanzzeit Hollywoods. "Der letzte Kuss" erzählt von einer großen Gelegenheit, wie sie nur das Filmgeschäft zu bieten scheint - und die Jim und Pamela verpassen. (Diogenes)
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Weitere Lektüretipps:

Zelda Fitzgerald: "Ein Walzer für mich"

In den "Roaring Twenties" war Zelda Fitzgerald der Inbegriff der modernen Frau. "Ein Walzer für mich" ist ein autobiografischer Roman: die Geschichte einer starken Persönlichkeit, die alles daransetzt, sich als Frau und als Tänzerin zu behaupten.
Ihr Name wurde zum Inbegriff einer ganzen Generation. Zelda war die Frau an der Seite des gefeierten Autors F. Scott Fitzgerald, bei jeder Feierlichkeit dabei - eine Schönheit mit Bubikopf und Charleston-Kleid, Muse und Vorbild für etliche Romanfiguren ihres Mannes. Doch die "Frau von" zu sein genügte ihr nicht. Ihre Ehe, so glamourös sie schien, war für sie eine Festung - Sicherheit und Gefängnis zugleich. Um sich daraus zu befreien, arbeitete Zelda an einer eigenen Karriere: als Tänzerin und später als Schriftstellerin. "Ein Walzer für mich" ist die Geschichte der jungen Alabama, die neben einem berühmten Künstler ihren eigenen Lebensweg sucht: mit ihm nach Europa reist, turbulente Monate in Italien und an der Côte d'Azur verbringt und sich in einen französischen Offizier verguckt. Ihre große Leidenschaft gilt jedoch dem Ballett. Denn wie keine andere Kunstform enthält der Tanz das Versprechen von Schwerelosigkeit und Freiheit. "Ein Walzer für mich" darf ganz neu gelesen werden: als Zeitdokument, als anrührende Autobiografie und als sinnlicher Roman - in frischer, poetischer Neuübersetzung.
Zelda Fitzgerald wurde 1900 in Montgomery (Alabama) geboren. 1920 heiratete sie F. Scott Fitzgerald und zog mit ihm nach New York. Zusammen mit der 1921 geborenen Tochter Scottie machte das Paar viele Reisen, u.A. nach Frankreich, nach Italien und in die Schweiz. In Paris nahm sie Ballettstunden bei einer Tänzerin des Djagilew-Balletts. 1930 erlitt sie einen ersten Nervenzusammenbruch, der zur Einweisung in eine Nervenheilanstalt führte. 1948, acht Jahre nach dem Tod ihres Mannes, starb sie bei einem Brand im "Highland Mental Hospital" in Asheville (North Carolina). (Diogenes)
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Michaela Karl: "Wir brechen die 10 Gebote und uns den Hals. Zelda und F. Scott Fitzgerald"
Das Glamourpaar der wilden Zwanziger. Er gab einer Epoche ihren Namen. Sie war die Hauptfigur in all seinen Romanen. Zusammen waren sie das Traumpaar der Ära und der verlorenen Generation: Erfolgsautor F. Scott Fitzgerald und seine Frau Zelda forderten das Leben heraus, suchten das Glück und endeten in Verzweiflung. Reich und erfolgreich, berüchtigt für ihre verrückten Kapriolen und ihren exzessiven Alkoholgenuss in New York, Paris und an der französischen Riviera waren sie das Idol einer Generation. Doch die Schönen wurden zu Verdammten: exaltierter Lebenswandel, Schaffenskrisen und psychische Probleme führten zum Absturz. Der Mythos aber lebt ...
Michaela Karl zeichnet in dieser Biografie das faszinierende Bild einer Epoche und zweier Menschen, deren Leben Literatur wurde. (Residenz Verlag)
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Pietro Citati: "Schön und verdammt. Ein biografischer Essay über Zelda und F. Scott Fitzgerald"
Ihr Leben widerspiegelt die Zeit der "Roaring Twenties" und der anschließenden Weltwirtschaftskrise wie kein anderes. Zusammen erlebten Zelda und Scott Aufstieg und Fall, Rausch und Kater einer ganzen Epoche.
"Ich hätte Material für eine Biographie von 350 Seiten gehabt. Doch ich entschied mich für die kürzestmögliche Form, da Fitzgerald, wie Kafka, einer der Erfinder der modernen Kunst des Weglassens ist."
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Einfühlsam und ohne Partei zu ergreifen zeichnet Pietro Citati mit wenigen, gekonnten Strichen das Leben zweier Verzweifelter, die sich gefunden haben und nicht mehr voneinander lassen können, im Guten wie im Schlechten. (Diogenes)
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