Karl French: "Kunst von Filmregisseuren"

Hitchcock als Zeichner, Kubrick als Fotograf, Kurosawa als Maler: 23 berühmte Filmregisseure und ihre verborgenen Talente als bildende Künstler


Nichts ist leichter, als den Fernseher aufzudrehen und sich einen sogenannten "Klassiker" anzuschauen. Wir beäugen andächtig Filme von Alfred Hitchcock, Akira Kurosawa, Terry Gilliam, Charlie Chaplin usw. Was hinter diesen Filmen an Arbeit steckt, wird dabei gern übersehen. Jeder der Regisseure, mit deren künstlerischen Qualitäten abseits der Regieführung wir mit zu besprechendem Buch konfrontiert werden, hat mit mehr oder weniger Akribie seine Filme gestaltet. Allen gemeinsam ist die sorgfältige Anfertigung von sogenannten Storyboards. Hier reicht die zeichnerische Dimension von fast naiv anmutenden (Martin Scorsese) bis zu detailreichen Skizzen (Alfred Hitchcock). Ohne konkrete szenische Darstellung auf dem Zeichenbrett lässt sich kaum ein künstlerisch hochwertiger Film gestalten. Allerdings ist hierfür keine großartige zeichnerische Qualität auf Seiten des Regisseurs erforderlich. Es lässt sich daran nur grundsätzliche Fähigkeit zur Abstraktion festmachen.

Kein Regisseur ist einfach so vom Himmel gefallen. Bis es zur Etablierung auf diesem Gebiet kommt, muss oft ein langer Weg beschritten werden. Kunsthochschulen wurden besucht oder auch autodidaktische Talente ausgelebt. Wer "nur" Regisseur ist, mag in diesem Sinne eine Ausnahmeerscheinung in der Filmgeschichte sein. Stanley Kubrick war und Wim Wenders ist ausgezeichneter Fotograf. Eine Ausstellung des Letztgenannten hat der Rezensent vor vier Jahren in Berlin gesehen. Die Panoramabilder geben einen Eindruck davon, wie beherzt sich Wenders auf die Suche macht, um die richtige "Kulisse" für seine Filme zu finden. Sprichwörtliche Akribie im Werk von Stanley Kubrick kommt auch durch seine Fotos zum Ausdruck. Es sind detailgenaue Abbildungen. Kubrick überließ hierbei nichts dem Zufall, sondern arrangierte in den meisten Fällen das Dargestellte. Die Kunst dabei ist es, die Inszenierung als "Schnappschuss" verkaufen zu können. Dahingehend kann Kubrick als Meister seines Fachs bezeichnet werden.

Terry Gilliam war begnadeter Cartoonist, als er auf John Cleese traf und Teil von Monty Python wurde. Seine Animationen sind etwa aus dem Flying circus nicht wegzudenken, da sie die kleinen Episoden erweitern und für die notwendige Abwechslung im Ablauf der verschiedensten künstlerischen Ausprägungen sorgen. Gilliam ist es nie wichtig gewesen, wie eine Person zu irgendeinem Ort gelangt. Somit wirken seine Filme meist unheimlich chaotisch und nicht bis ins letzte Detail logisch nachvollziehbar. Nun gut; das mag - objektiv betrachtet - immer noch weit besser sein, als eine totale Konstruktion der Handlungsabläufe, wie wir sie aus schlechten Krimis und Herz-Schmerz-Filmen kennen.

Mittlerweile als "Kultregisseure" betitelt sind Josef von Sternberg und Fritz Lang. Sternberg, der wohl als alleinverantwortlich für die bemerkenswerte Karriere von Marlene Dietrich Geltung erlangt hat, schuf eine Reihe von beeindruckenden Gemälden, die deutlich vom Impressionismus und Postimpressionismus beeinflusst sind. Cezanne war eines seiner Vorbilder. Fritz Lang reüssierte als ausgezeichneter Bildhauer und Kunstmaler. Der perfekte Maschinenmensch aus Metropolis brachte Hitler auf die skurrile Idee, in Lang einen "Geistesverwandten" zu sehen. Sowohl Sternberg als auch Fritz Lang wurden in Wien geboren und sind zweifellos neben Billy Wilder die weltweit bekanntesten und besten Regisseure, welche ursprünglich aus Wien stammen.

Zwei in diesem Buch vertretene Regisseure haben dem Rezensenten besonderen Eindruck vermittelt. Jean Cocteau, wegen seiner künstlerischen Vielseitigkeit, und Akira Kurosawa, wegen seiner fantastischen malerischen Qualitäten. Jean Cocteau war Dichter, Dramatiker, Romancier, Librettist, Choreograf, Drummer, Essayist, Plakatdesigner, Maler, Kultur- und Filmkritiker, Publizist, Journalist und Filmemacher. Er war mit Künstlern wie Rodin, Matisse, Proust, Gertrude Stein, Rilke, Charlie Chaplin, Strawinsky, Picasso, Edith Piaf, T.S. Eliot und Man Ray befreundet. Nachdem sein Geliebter, Raymond Radiguet, im Jahre 1923 im Alter von nur 20 Jahren gestorben war, stürzte er in eine tiefe Krise und wurde depressiv und opiumsüchtig. Auf jedem künstlerischen Gebiet vermochte er zu glänzen. Er schrieb das Drehbuch zu Die schrecklichen Kinder und erschuf im Drogenrausch konstruktivere Skizzen, als dies viele sogenannte "Künstler" im Zustand der "Beseelung" vermögen. Cocteau war zweifellos ein Universalgenie, wovon die wenigen Abbildungen Zeugnis ablegen.

Kurosawa wiederum hatte grandiose malerische Qualitäten. Wer sich seinen allerletzten Film Träume anschaut, kann direkt in die Gemälde von Kurosawa eintauchen. Sein Freund Martin Scorsese spielte in diesem Film übrigens Van Gogh. Es ist untertrieben, von Skizzen für seine Filme zu sprechen, wenn von Träume und Kagemusha - Der Schatten des Kriegers die Rede ist. In den längeren Vorbereitungsphasen für seine späten Filme fertigte er insgesamt etwa 1200 kunstvolle, anspruchsvolle Bilder an, nachdem er zuvor viele Jahre lang keinerlei malerische Ambitionen gehabt hatte. Er war stets dem Humanismus verpflichtet und blieb stets bescheiden, was seine Qualitäten als Zeichner und Maler betraf.

Insgesamt sind es Werke von 23 Filmregisseuren abseits ihrer Filmkunst, die im vorliegenden Buch vertreten sind. Es sind freilich nur kleine Ausschnitte, die einen Eindruck davon vermitteln, wie universal die künstlerischen Qualitäten von ansonsten beruflich "nur" als Filmregisseur bezeichneten Menschen ausgeprägt sein mögen. Wer etwa auch Sergej Eisenstein, der für Panzerkreuzer Potemkin verantwortlich zeichnete, als witzigen Cartoonisten und hochbegabten Zeichner oder Federico Fellini als Maler und Zeichner von erotisch anmutenden Werken (fantastisch etwa ein Bild der Sylvia aus La dolce vita) kennen lernen will, der wird seine Freude an diesem Buch haben.

Zudem zeichnet den Autor Folgendes aus: Er weist schon im Vorwort auf eine Lücke hin, welche dieses Buch nicht schließen konnte. Trotz einiger Versuche, auch weibliche Regisseure für sein Projekt zu finden, war ihm diesbezüglich kein Erfolg beschieden. Er konnte auf seiner aufwändigen Suche keine künstlerischen Werke abseits der Regiearbeit ausfindig machen, was freilich nicht bedeutet, dass diese nicht existieren. Dies macht den Autor etwa zum Unterschied zu Milan Kundera sehr sympathisch. Kundera hat bekanntermaßen in seiner unzureichenden Darstellung der "Literaturgeschichte" des 19. und 20. Jahrhunderts (und teilweise davor und danach) in seinem Büchlein Der Vorhang Frauen überhaupt nicht vorkommen lassen und darüber kein Wort verloren. Karl French wird, insofern es einen Nachfolgeband zur "Kunst von Filmregisseuren" geben mag, wieder nach Frauen Ausschau halten, und möglicherweise gibt es in diesem Buch dann die Werke von mehreren weiblichen Filmregisseuren zu bewundern.

(Al Truis-Mus; 09/2005)


Karl French: "Kunst von Filmregisseuren"
Gerstenberg, 2005. 208 Seiten.
ISBN 3-8067-2938-7.
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Karl French, geboren 1964, ist Journalist und Sachbuchautor mit dem Spezialgebiet Populärkultur, vor allem Film.
Er hat eine feste Kolumne in der "Financial Times", schreibt regelmäßig für weitere überregionale Zeitungen und Magazine und ist Autor bzw. Herausgeber von mehreren Büchern.