Anka Muhlstein: "Die Gefahren der Ehe"

Elisabeth von England und Maria Stuart


Spannend und lehrreich, Geschichte als Abenteuer

Die eine Prinzessin erlebt eine Kindheit und Jugend voller Erniedrigungen und ständige Lebensgefahr durch höfische Intrigen; ihr haftet der Makel der illegitimen Geburt an, denn ihre später enthauptete Mutter konnte nur nach einer dem damals gültigen Kirchenrecht widersprechenden Scheidung Frau des englischen Königs werden. Sie ist hochintelligent und umfassend gebildet, dennoch bleibt ihr nichts erspart: Sogar in den Tower of London wird sie eingesperrt. Ihre eigene Halbschwester, nach dem frühen Tod des Bruders auf den Thron gelangt, empfindet sie als potenzielle Konkurrentin, entwickelt sich daher zu ihrer größten Bedrohung und stürzt das Land in blutige religiöse Wirren.
Die andere Prinzessin, Thronfolgerin in Schottland, wird am französischen Hof zusammen mit ihrem Verlobten, dem Dauphin, und dessen Geschwistern in einer Atmosphäre sorgloser Heiterkeit erzogen. Ihre Bildung beschränkt sich auf Aspekte, die sie zu einer guten Königsgemahlin machen sollen. Von Politik versteht sie folglich wenig.

Als die protestantische Elisabeth Tudor als Königin die Nachfolge ihrer verstorbenen katholischen Schwester Maria (wegen ihrer unbarmherzigen Protestantenverfolgungen "die Blutige" genannt) antritt, hat sie schon viel über den Status einer verheirateten Königin gelernt. Denn Maria Tudor hatte durch ihre Heirat mit Philipp II. von Spanien nicht nur ihre eigene Macht stark eingeschränkt, sondern vor allem ihr Land dem Spanier mehr oder weniger ausgeliefert. Elisabeth begreift, dass für eine Königin die Ehe mit einem ausländischen Souverän bedeutet, ihrem eigenen Land faktisch die Unabhängigkeit zu nehmen. Doch auch eine Heirat mit einem jüngeren Königssohn ohne eigenen Thronanspruch würde letztlich dazu führen, dass sie ihre Machtbefugnisse an ihren Mann abgeben müsste. Elisabeth glaubt jedoch an ein Königtum von Gottes Gnaden, und sie glaubt an ihre eigenen politischen Fähigkeiten. So wird sie künftig zwar den einen oder anderen hochrangigen Bewerber eine Weile - oft jahrelang - kokett und listig hinhalten, wenn es politisch opportun ist, aber letztlich der Ehe und Mutterschaft entsagen. Für den Thron und für ihr Volk verzichtet sie sogar auf die Erfüllung ihrer großen Jugendliebe.

Unweigerlich kommt es zum Konflikt, als Maria Stuart dank dem Tod ihres Schwiegervaters Gemahlin des französischen Königs wird und prompt Ansprüche auf den englischen Thron anmeldet. Denn sie ist Katholikin und betrachtet ihre protestantische Cousine nicht nur als Ketzerin, sondern als Bastard. Marias Gemahl stirbt jedoch nach kurzer Zeit. Maria kehrt nach Schottland zurück und übernimmt dessen Krone. Da sie in ihrem Königreich eine Fremde ist und sich wenig für Politik interessiert, bringt sie ihre protestantischen Untertanen, darunter viele einflussreiche Clanchefs, schnell gegen sich auf. Dafür verbessern sich zwischenzeitlich die Beziehungen zu Elisabeth. Die Heirat mit einem englischen Cousin, in den sich Maria voll blinder Leidenschaft verliebt hat, schafft weitere Feinde, denn ihr Gemahl Henry Stuart, Lord Darnley, ist ein eitler Pfau von unstetem, überheblichem und intrigantem Charakter. Schnell wird Maria seiner überdrüssig, insbesondere, als er sich zu einer Intrige gegen sie überreden lässt. Nachdem sie seinen Sohn geboren hat, braucht sie ihn nicht mehr. Sie segnet ein Mordkomplott gegen ihn ab. Darnley wird zur Seite geräumt.
Maria aber ist wieder besinnungslos verliebt: in den mutmaßlichen Mörder ihres Mannes, den skrupellosen Abenteurer Bothwell, der insbesondere seit dem Mord an Lord Darnley beim Volk höchst unbeliebt ist. Maria hört nicht auf die Stimme der Vernunft und heiratet Bothwell. Es kommt zu Aufständen, schließlich wird Maria gefangengesetzt und Bothwell ins Exil gezwungen. Marias Sohn, der wertvolle Thronfolger und nun auch einzig passender Anwärter für das englische Königtum, wird ihr weg-genommen. Sie wird ihn nicht wieder sehen. Der Adel zwingt sie zur Abdankung zugunsten ihres Sohnes; ihr Halbbruder wird Regent. Maria flieht aus der Gefangenschaft und sucht in England Zuflucht.
Dass die unbesonnene ehemalige Königin dort nicht sonderlich willkommen ist, dürfte verständlich sein; denn es gibt in England noch eine starke katholische Fraktion, die lieber Maria als ihre protestantische Cousine auf dem Thron sähe. Elisabeth stellt Maria ein angemessenes Schloss, Personal und finanzielle Mittel zur Verfügung, de facto ist die Stuart freilich eine Gefangene. Sie beginnt sofort, Kontakte zu katholischen Höfen und zum Papst zu knüpfen und Intrigen zur Absetzung Elisabeths zu spinnen. Als dies bekannt wird, lässt Elisabeth Maria strenger bewachen. Diese erhält eine weniger komfortable, aber leicht gegen Rebellen zu verteidigende Behausung und aufwändigere Kontrollen. In der Folge gelingt es Maria immer wieder, mit Spanien, Frankreich und dem Papst zu korrespondieren und sie sich gewogen zu machen. Sie organisiert Aufstände und Verschwörungen. Immer eindringlicher fordern die Berater Elisabeth auf, Maria töten zu lassen, weil sie eine ständige Bedrohung des inneren Friedens Englands darstellt, solange sie lebt. Elisabeth weigert sich, sogar, als Maria einen der wichtigsten englischen Adelsherren auf ihre Seite zieht und ihn zum Hochverrat nötigt. Er stirbt durch den Henker, sie nicht. Erst als Maria in eine Falle des Geheimdienstes tappt und ein Komplott zur Ermordung der Königin schmiedet, kann sich Elisabeth der Verurteilung ihrer Rivalin nicht mehr widersetzen, wiewohl es ihr entsetzlich widerstrebt, glaubt sie doch fest an das Gottesgnadentum der Königswürde. Am Tag nach der Unterzeichnung des Todesurteils möchte sie es rückgängig machen, doch die Depesche ist bereits unterwegs.
Maria inszeniert ihre Hinrichtung wie einen Märtyrertod.

In ihren letzten Lebensjahren muss sich Elisabeth der zunehmenden Bedrohung durch Spanien erwehren. Mit Hilfe einiger Launen des Klimas besiegt sie die spanische Armada und wehrt irische Aufstände ab. Noch einmal erlebt sie die Liebe - zu einem sehr viel jüngeren Mann; es handelt sich eher um eine mütterliche Beziehung. Er nutzt ihr Vertrauen aus und begeht Hochverrat. Wieder muss Elisabeth eines der ihr so verhassten Todesurteile aussprechen.
Schon vor Marias Tod hat sie einen guten, verwandtschaftlichen Kontakt zu deren Sohn, dem schottischen König Jakob, aufgebaut, der ihr Nachfolger sein wird. Jakob billigt sogar die Hinrichtung seiner Mutter. Nach Elisabeths Tod beginnt er, wohl um seine eigene wenig rühmliche Rolle zu vertuschen, den Märtyrerinnenmythos um seine Mutter zu unterstützen und zu verstärken. So gerät die charmante, willensstarke, hochintelligente Königin Elisabeth in der Geschichtsschreibung und vor allem in der Dichtung zunehmend in die Rolle eines missgünstigen, altjüngferlichen, grausamen Blaustrumpfs, während Maria, eigentlich eine unverbesserliche Intrigantin und religiöse Fanatikerin, zum Opfer verklärt und als warmherzige, leidenschaftliche, sehr weibliche Frau dargestellt wird.

Die Autorin versucht erfolgreich, die wahren Hintergründe der Beziehung zwischen den beiden Königinnen zu klären. Sie verfügt über reichlich Quellenmaterial und historisches Wissen. Es gelingt ihr, die verwickelte Geschichte der Cousinen ohne Ausschmückungen und dennoch höchst unterhaltsam darzulegen - ein historischer Roman könnte nicht spannender sein. Das sehr umfangreiche Material ist hervorragend gegliedert, sodass nur selten Rückblenden nötig werden. Daher gibt es trotz des komplexen, vielschichtigen Stoffs keine Unklarheiten oder Verständnisschwierigkeiten. Der Leser lernt nicht nur die beiden Protagonistinnen kennen, die an sich schon interessant genug sind, sondern auch die komplizierten politischen Verflechtungen im Europa der frühen Neuzeit.

Die Übersetzung ist bemerkenswert gut gelungen, was angesichts des gelegentlich auf sympathische Weise schnoddrigen Stils sicher nicht einfach war. Auch die Aufmachung lässt meiner Meinung nach nichts zu wünschen übrig; an dieser Stelle möchte ich die zahlreichen Bilder der "Hauptpersonen" des Buchs erwähnen. Das Nachwort enthält eine kluge abschließende Einschätzung der beiden Königinnen. Literaturverzeichnis und Bibliographie, eine knappe, aber sehr informative Chronologie und - bei diesem Thema wichtig! - ein Stammbaum ergänzen den Text.

Somit hat der Insel-Verlag mit "Die Gefahren der Ehe" ein Buch vorgelegt, das sowohl das Geschichtsverständnis fördert als auch hohen Unterhaltungswert besitzt.

(Regina Károlyi; 07/2005)


Anka Muhlstein: "Die Gefahren der Ehe"
(Originaltitel "Élisabeth d' Angleterre et Marie Stuart ou Les périls du mariage")
Aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann.
Insel, 2005. 300 Seiten.
ISBN 3-458-17273-4.
Buch bei amazon.de bestellen

Lien: Marie Stuart Society of Scotland