Alfred Döblin: "Die drei Sprünge des Wang-lun"

Chinesischer Roman


Döblins Parabel auf eine friedlose Welt

Sowohl Tages- als auch literarische Fachpresse haben schon zentnerweise Druckerschwärze zum Ruhme von Alfred Döblins "Wang-lun" investiert, so dass der Rezensent vor einem offenkundigen Dilemma steht, nämlich, den drei Sprüngen des Wang-lun noch ein paar neue Facetten abzugewinnen. Oder aber er beschränkt sich darauf, die Vorzüge dieser dtv-Studienausgabe herauszustellen, und von solchen Vorzügen könnte die vorliegende Ausgabe tatsächlich einige für sich reklamieren.

Zunächst das Wichtigste zum Werk selbst, denn es soll ja schließlich auch Leser geben, die sich bisher noch nicht mit Alfred Döblins Werk auseinandergesetzt haben. Thema des Romans ist der Widerstand gegen die diktatorische Willkür eines korrupten und dekadenten Staatsapparates. Titelheld Wang-lun, Sohn eines Fischers, wird zum Anführer der "Wahrhaft Schwachen", einer pazifistischen Bewegung, die immer mehr Anhänger um sich schart und so zur vermeintlichen oder auch tatsächlichen Bedrohung für die Herrschenden wird. Das hehre Prinzip der Gewaltlosigkeit erweist sich jedoch als wenig praktikabel. Die Konfrontation mit dem Regime eskaliert schließlich in blutigen, bewaffneten Auseinandersetzungen, Wang-lun und die Idee des gewaltfreien Widerstandes, die auf Laotses Lehre vom Nicht-Widerstreben gegen die Macht des Schicksals fußt, scheitern also.

Döblins chinesischer Roman wurde zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, als das Interesse an China und überhaupt an fernöstlicher Kultur und Religionsphilosophie in Europa einen gewissen Aufschwung erreicht hatte. Dies mag zum Erfolg des Romans beigetragen haben. Erstaunlich ist es schon, dass der Roman auch eine breitere Leserschaft erreichen konnte, denn die Lektüre des "Wang-lun" erfordert schon einige geistige Kraftanstrengungen seitens des Lesers, der sich zunächst einmal einem kolossalischen Wortgemälde gegenüber sieht. Manchmal gewinnt man fast den Eindruck, als wolle sich das Wort von seiner eigentlichen Bedeutung abnabeln, um ein Wert und Sinn übergreifendes Eigendasein zu führen. Eindrücke, die der Leser aufnimmt, werden häufig zu reinen Momentaufnahmen, die von nachdrängenden Eindrücken rasch wieder aus dem Bewusstsein geschoben werden; Szene reiht sich an Szene, scheint ein Eigenleben zu führen und steht oft nur lose im Kontext mit dem Ganzen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch der weitgehende Verzicht des Autors auf Konjunktionen. Alfred Döblins Stil wurde prägend für den Erzählstil in der neuen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Kasimir Edschmid beschreibt es so: "Das Buch ist ganz kubisch, fast interesselos am Schwung, aus nebeneinandergesetzten Partien aufgebaut. Man suche vergeblich nach Logik. "

Andreas Solbach geht in seinem Nachwort ausführlicher auf die kubistischen und futuristischen Darstellungsprinzipien des Romans ein und liefert darüber hinaus weitere Details zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, wie auch Informationen zu den Einflüssen und Quellen, aus denen Alfred Döblin seine Kenntnisse über China und die chinesische Geschichte schöpfte. Eine Menge an Wissenswertem über fernöstliche Geschichte und Philosophie und auch über das historische Vorbild für Döblins Wang-lun findet sich auch in dem sehr umfangreichen Anmerkungsteil. Eine Kartenskizze von China, seinen Provinzen und seinen benachbarten Staaten erleichtert die Zuordnung der im Text vorkommenden geografischen Namen. Des weiteren finden sich im Anhang ein editorischer Bericht zur vorliegenden Ausgabe, eine kurze Entstehungsgeschichte des Romans, eine Übersicht der bislang erschienenen Drucke samt Übersetzungen in andere Sprachen und noch vieles mehr.

Auch dem Umstand, dass Döblins handschriftlicher Text weit umfangreicher ist als alle bislang erschienenen Druckausgaben, wurde Rechnung getragen. Einige dieser für den Druck gestrichenen Passagen sowie auch eine Reihe von Textvarianten, die in Döblins Nachlass gefunden wurden, finden sich nämlich ebenfalls in der neuen dtv-Ausgabe. Alle diese Varianten zu bringen, hätte aber selbst den Rahmen einer Studienausgabe sprengen müssen. In jedem Fall aber legt der Deutsche Taschenbuch Verlag hier eine Neuausgabe vor, die den Ansprüchen, die man an eine solche Studienausgabe stellen mag, in jeder Beziehung gerecht wird.

(Werner Fletcher; 06/2007)


Alfred Döblin: "Die drei Sprünge des Wang-lun. Chinesischer Roman"
Herausgegeben von Andreas Solbach und Gabriele Sander.

dtv, 2007. 670 Seiten.
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