Chitra Divakaruni: "Königin der Träume"

"Träume sind Nachrichten aus einer verborgenen Welt"


Rekonstruktion einer Familiengeschichte und Identitätssuche zwischen zwei Welten

Chitra Divakaruni wird in der us-amerikanischen Presse als Autorin bejubelt, die versucht, das Vakuum zwischen der us-amerikanischen und der indischen Kultur zu erkunden. In "Königin der Träume" thematisiert sie die lediglich notdürftig überbrückte Kluft anhand des Schicksals einer Einwandererfamilie, als die Ereignisse des 11. September 2001 deren Welt auf den Kopf stellen und sich die bislang integriert wähnenden Protagonisten aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft mit Verdächtigungen ("Terrorismus") konfrontiert sehen.

Rakhi Gupta, Malerin, geschieden, verfolgt vom Ex-Mann Sonny, Mutter der sechsjährigen Jona, die häufig Bilder von brennenden Wracks und Gebäuden zeichnet, gehört der zweiten Einwanderergeneration einer bengalischstämmigen Familie in Kalifornien an.
Als Kind wollte Rakhi unbedingt so sein wie ihre Mutter, eine rätselhafte, zurückhaltende Frau, von Rakhis Vater "Königin der Träume" genannt. Denn die Mutter verfügt über die Gabe der Traumdeutung und vermag überdies die Träume Anderer zu sehen, wodurch sie oftmals Wildfremde auf drohende Gefahren aufmerksam machen und Schicksalspfade erhellen kann. Rakhi hat die Gabe der Traumdeutung nicht geerbt, was Mutter und Tochter gleichermaßen enttäuscht.
Rakhi fühlt sich aus der Familiengeschichte ebenso wie der Traumwelt ihrer Mutter ausgeschlossen und sehnt sich nach etwas, das sie einander näher bringen könnte. Denn die Mutter hat über ihre eigene schmerzliche Vergangenheit einen undurchdringlichen Mantel des Schweigens gebreitet, was Rakhi, die alles Indische fasziniert, frustriert. Erst später soll ihr Wissensdurst gestillt werden ...

Eines Tages teilt Rakhis Mutter ihr am Telefon mit, dass ihr viele gute Neuigkeiten bevorstünden; eine Nachricht, die Rakhi mit gehöriger Skepsis aufnimmt.
Doch zunächst trifft die junge Frau ein Schicksalsschlag: Die Mutter kommt bei einem unerklärlichen Autounfall ums Leben.
Rakhi findet Trost und Rat in den ihr bislang unbekannten Traumtagebüchern ihrer Mutter, die sie mit Hilfe ihres Vaters, eines ehemaligen Säufers, vom Bengali ins Englische übersetzt. Überraschend fungiert der Vater auch als Verbündeter als es darum geht, Rakhis heimeliges indisches Teehaus, Schauplatz eines Großteils des Romans, das von der nahegelegenen Filiale einer global agierenden Kaffeehauskette aus dem Geschäft gedrängt zu werden droht, zu retten.
Die heilsame gemeinsame Beschäftigung mit der Familiengeschichte und den kulturellen Wurzeln verbindet Vater und Tochter, und auch die Aussöhnung mit dem wüsten Ex-Mann Sonny bahnt sich an ...

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wird das Teehaus Ziel eines brutalen Angriffs selbsternannter "Patrioten", die Wirklichkeit verwandelt sich in einen Alptraum; Ausländerfeindlichkeit und Hass seitens der Rassisten und Frömmler machen sich breit. Der Einwanderergemeinde kommt ihr Zugehörigkeitsgefühl abhanden ...

"Königin der Träume" verweigert sich einer klaren Trennung zwischen Traum und Wirklichkeit und dem Leser Erklärungen zahlreicher Ereignisse. Undurchsichtige Figuren erscheinen zufällig in Rakhis Leben, der Unfall ihrer Mutter bleibt unaufgeklärt. Wiederholt rätseln Rakhi und ihr Vater während des Lesens der Traumtagebücher, ob die Mutter gar einiges erfunden hätte, als wäre die außergewöhnliche Vergangenheit der Frau nur ein weiterer Traum gewesen.
Leser tolerieren den Einsatz absichtlicher Verschwommenheit als Stilmittel bis zu einem gewissen Grad, akzeptieren ein begrenztes Ausmaß an handlungsbeeinflussenden "Zufällen", solange dies den Spannungsrahmen nicht sprengt oder den Grad des Zumutbaren übersteigt. Wie glaubwürdig ist es beispielsweise, dass sich Rakhi eingedenk einer schlimmen Eheszene später fragt, was wirklich in dieser Nacht geschah? Damit, allzu viele der beschriebenen Ereignisse nachträglich ins Reich der Träume zu verfrachten und Alltagsereignissen versteckte Bedeutungen aufzubürden, macht es sich die Autorin leicht, ihrer Meinung nach erforderliche Wendungen herbeizuführen, wodurch sie allerdings riskiert, des Lesers innerliche Beteiligung zu zerstören.
Darüber vermögen weder die sinnenfreudige Sprache, noch die anregenden Beschreibungen exotischer Landschaften und Speisen hinwegzutrösten.

(Franka Reineke; 02/2006)


Chitra Divakaruni: "Königin der Träume"
(Originaltitel "Queen of Dreams")
Deutsch von Angelika Naujokat.
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Die mit zahlreichen Preisen, z.B. dem "American Book Award" und dem "PEN Oakland Award", ausgezeichnete Schriftstellerin und Dichterin Chitra Banerjee Divakaruni wurde 1957 in Indien geboren. Sie studierte Englische Literatur in Dayton, Ohio, und promovierte in Berkeley. Die Autorin lebt in den USA. Lien zur Chitra Divakarunis Netzseite: http://www.chitradivakaruni.com/.

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