Antonio Dal Masetto: "Blut und Spiele"


"Und das Dorf kam mir vor wie eine Bühne, auf der die ganze Zeit ein Stück aufgeführt wurde. Eine Fassade, hinter der sich eine allgemeine Bereitschaft verbarg, zu schweigen und jede Art von Verbrechen hinzunehmen." (Auszug aus "Blut und Spiele")

Jenseits von Eden

Der Titel "Blut und Spiele" passt wunderbar zu dieser Inszenierung menschlicher Abgründe in dem Provinznest Bosque, irgendwo in Argentinien. Die lieblos wirkenden Dorfbewohner sind die Akteure eines Schauspiels, welches von Heuchelei, Neid und Geltungssucht nur so trieft. Versteckte und offene Brutalität prägen den Alltag, und Jagdszenen auf menschliche Opfer sorgen für Unterhaltung.

Protagonist Muto, über dessen Vergangenheit die Leser nur wenig erfahren, reist nach Bosque, um Nachforschungen über einen Bankraub anzustellen, der dort anderthalb Jahre zuvor verübt worden ist. Er trägt sich unter falschem Namen ins Hotel ein und es entsteht der Eindruck, dass er sich spontan dazu entschlossen hat, als Drehbuchautor aufzutreten. So gibt er an, Vorbereitungen treffen zu wollen für einen Dokumentarfilm über den Bankraub in Bosque, bei dem seinerzeit die amateurhaften Täter in einer wilden Verfolgungsjagd, an der das gesamte Dorf beteiligt war, liquidiert worden sind.

Muto kannte einen der Bankräuber, weil dieser vor zwanzig Jahren mit seiner Frau durchgebrannt war. Nachdem Muto genügend über ihn erfahren hat und den Ort besichtigte, an dem er getötet wurde, will er seine Nachforschungen beenden und einen Schlussstrich ziehen. Jedoch hält ihn irgendetwas zurück, und seine Motivation bleibt nebulös.

Jeder spielt sein Spiel in Bosque, und einige Akteure, insbesondere der machtbesessene und gefühlskalte Anwalt Varini, scheinen sich darüber auch im Klaren zu sein. Für ihn sind die Menschen Schachfiguren, die nur richtig bewegt werden müssen. Er versteht es perfekt, Intrigen zu spinnen und Menschen zu manipulieren.

Die Darsteller haben alle ihre Macken, angefangen von der geltungssüchtigen Hotelangestellten Verónica, der geheimnisvollen Leda, Tochter von Varini, dem schießwütigem Ingenieur Zamudio oder der masochistisch veranlagten Schuldirektorin Benavídez, um nur Beispiele zu nennen.

Beeindruckend, wie es Dal Masetto gelingt, ohne jegliche moralische Wertung den Hang zur Gewalt in Bosque als etwas Alltägliches darzustellen. Der Dorfgemeinschaft ist die Liebe abhanden gekommen, und keiner merkt bzw. hinterfragt das. Der Verlauf der Geschichte bleibt unvorhersehbar; das Ende überrascht und wirft Fragen auf.

Das Buch ist in übersichtliche kleine Kapitel gegliedert. Es handelt sich um ein Nachfolgewerk zu "Noch eine Nacht", dem Krimi, in dem der Bankraub in Bosque beschrieben wurde. Und so wird man neugierig darauf, auch dieses Werk zu lesen.

Die bitterböse Charakterstudie "Blut und Spiele" ist spannend, lehrreich und sehr empfehlenswert.

(Klemens Taplan; 10/2006)


Antonio Dal Masetto: "Blut und Spiele"
Aus dem Spanischen von Susanna Mende.
Rotpunktverlag, 2006. 240 Seiten.
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Antonio Dal Masetto, geboren 1938 im norditalienischen Intra (Verbania) am Lago Maggiore, wanderte mit seinen Eltern 1950 nach Argentinien aus. Er hat acht Romane und etliche Erzählbände veröffentlicht und gilt heute als einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren Argentiniens. Sein Werk wurde ins Französische, Italienische und Norwegische übersetzt. Er lebt in Buenos Aires.
Im Frühjahr 2006 erschien "Noch eine Nacht" im Rotpunktverlag:

Vier Männer kommen nach Bosque, eine Kleinstadt irgendwo in Argentinien, und wollen die dortige Bank ausrauben. Die vier sind keine Profis; sie sind nicht mehr ganz jung, vom Leben etwas ramponiert, eher melancholisch als knochenhart. Im Städtchen herrscht eine seltsame Stimmung. Alles scheint perfekt, geordnet, freundlich, bevölkert von lebensfrohen Menschen. Doch irgendetwas stimmt nicht.
Der Bankraub gelingt, doch dann schnappt die Falle zu: Alle Ausgänge aus dem Ort sind verbarrikadiert. Das Städtchen erwacht aus seiner Lethargie, und Jagdfieber erfasst einen Großteil seiner Bewohner. Wir begleiten abwechselnd die vier Bankräuber auf ihren individuellen Fluchtwegen, beobachten sie in absurdesten Situationen und lernen auf diese Weise das Städtchen und seine Bevölkerung kennen, die Abgründe hinter der freundlichen Fassade, die Angst vor dem Fremden, die Heuchelei, die ständig lauernde Gewalt.
Dem argentinischen Autor Antonio Dal Masetto ist ein Meisterwerk der Spannung gelungen. Kaum eine Buchseite, die nicht Überraschendes zutage fördert. Aber es ist weit mehr als ein "gewöhnlicher" Krimi, nämlich Unterhaltung auf allerhöchstem Niveau. Dazu gehört auch der feine Humor des Autors bei der Schilderung umwerfend komischer Situationen.
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