Arne Dahl: "Rosenrot"

(Hörbuchrezension)


Der perfide Plan eines psychotischen Polizisten

Er sieht den dicklichen, schnauzbärtigen Polizisten schnaufend die Feuerleiter hochkommen. Eine Fluchtmöglichkeit gibt es nicht. Er hebt die Hände, zeigt, dass er unbewaffnet ist. Doch er weiß so gut wie der Polizist, dass dies keine Rolle spielen wird. Seine Flucht, sein Leben wird hier zu Ende gehen. Der Polizist sieht die Diskette in der Hand des Flüchtigen und macht eine auffordernde Geste. Lächelnd wirft ihm dieser den Datenträger zu. Geschickt fängt der Polizist den Gegenstand auf und lächelt, fast bedauernd, zurück. Dann schießt er einmal - mitten ins Herz, legt dem Toten anschließend seine Ersatzwaffe in die Hand und beschwört später, dass dieser zuerst geschossen hat.

Mit diesem Mord beginnt Arne Dahls Roman "Rosenrot". Doch was sind die Hintergründe für die Hinrichtung? Und welche Rolle spielt es, dass der Tote ein afrikanischer Asylbewerber ist? Handelt es sich um einen rassistischen Mord, ein Attentat, Polizeiwillkür?

Viele Fragen, die erst recht spät beantwortet werden. Bis dahin erwartet den Hörer eine brillante Lesung eines außergewöhnlich spannenden Krimis. Es handelt sich wiederum um eine Geschichte rund um die so genannte "A-Gruppe". Diese ist eine Sondereinheit, die für Kriminalfälle internationaler Tragweite zuständig ist. Wie gewohnt stellt Arne Dahl ein Mitglied der Einheit besonders in den Mittelpunkt. Diesmal ist es Kommissarin Kerstin Holm. Was niemand, außer Paul Hjelm, weiß: Sie war mit Dag Lundmark, dem o.g. Polizisten, verlobt. Diese Verlobung wurde von ihr aufgelöst, nachdem Dag immer gewalttätiger, dominanter und zusätzlich noch alkoholabhängig wurde. Dag Lundmark hat diese Trennung nie verwunden. Doch auch Kerstin knabbert ungebrochen an dieser Beziehung - sie trägt immer noch Dags Verlobungsring.

Ausgerechnet sie verlangt Dag als Gesprächspartnerin bei der internen Ermittlung. Paul Hjelm steht ihr bei der Vernehmung zur Seite. Makabres Detail: beide sind Anwärter auf einen leitenden Posten bei der "Abteilung für innere Ermittlungen", und ihr potenzieller neuer Chef freut sich, die beiden schon einmal probeweise agieren zu sehen.

In die spannende Geschichte bettet Arne Dahl kritische Anmerkungen zur Ausländerpolitik, zu religiöser Verstiegenheit und zum Profitdenken der Pharmakonzerne. Besonders ihre Politik gegenüber den Aidskranken in Afrika prangert er an und ist damit in bester Gesellschaft: Zufälligerweise hat auch Henning Mankell in seinem 2006 erschienenen Roman "Kennedys Hirn" diese Missstände angeprangert.

Lächerliche Lappalien trüben den literarischen Leckerbissen
Trotz literarischer Brillanz gibt es den einen oder anderen Wermutstropfen. Beispielsweise völlig kitschige Satzgebilde, die man auf zwei Arten interpretieren kann: als ironische Anspielungen auf die Unfähigkeit anderer Autoren oder als literarischen Ausrutscher Arne Dahls.
Die anderen beziehen sich samt und sonders auf psychische Erkrankungen, die im Roman eine wichtige Rolle spielen.

Kerstin Holm leidet unter einer Amnesie, ausgelöst durch ein schwerwiegendes emotionales Trauma. Leider hat der Autor die Chance verpasst, dem sehr guten, aber irgendwie doch standardisierten Thriller eine ausgezeichnete psychologische Studie einer traumatisierten Mutter hinzuzufügen, die plötzlich mit der Vergangenheit konfrontiert wird.
Stattdessen wählt er folgende Variante: Kerstin Holm stürmt eine Wohnung, findet ein Foto und kotzt auf den Boden.
Danach kommt Kerstin bis zum Spannungshöhepunkt fast nur noch als Gesprächsthema vor. Viel interessanter wäre es doch gewesen, Kerstins "Erweckungserlebnis" und nachfolgende fragmentarische Verarbeitung der Vergangenheit zu schildern.

Der im Roman auftretende obligatorische Serienmörder leidet unter Schizophrenie sowie an sich abwechselnden manischen und depressiven Phasen. In seinen schlechten Phasen sucht er aus eigenem Antrieb die Psychiatrie auf. Die beschriebenen Symptome, manische und depressive Phasen wechseln sich ab, beschreiben eine bipolare Störung, niemals jedoch Schizophrenie. Vielleicht ein Übersetzungsfehler? Gleiches gilt für den verwandten Terminus der "Raubkopien von Medikamenten". Als "Raubkopien" werden gegen das Urheberrecht verstoßende, rechtswidrige Kopien elektronischer Medien bezeichnet. Bei Medikamenten lautet die korrekte Bezeichnung "Nachahmerpräparate" oder "Generika". Auch hier stellt sich die Frage: schlechte Recherche oder Übersetzungsfehler?

Lieb gewonnene Gewohnheit
In einer Welt der Unwägbarkeiten ist es schön, wenn lieb gewonnene Dinge wie in einer Zeitschleife zurückkehren. In diese Kategorie fällt auch die Lesung von Till Hagen, seine vierte als deutscher Erzähler der Dahl’schen Krimis. Till Hagen hat im Verlauf der letzten Hörbücher bereits souverän und prägnant jedem Charakter eine unverwechselbare, charakterisierende Stimme zugeordnet. So eigentümlich diese Stimmen im Grunde auch geblieben sind, so lebensnah lässt Hagen die Spuren vergangener Ereignisse in den Vortrag einfließen: Selbst an einem hartgesottenen Ermittler geht es nicht spurlos vorbei, wenn ihm mit einem Pistolenlauf die Zähne ausgeschlagen werden und er damit bedroht wird, anschließend erschossen zu werden.

Wider die Routine auch Hagens Interpretationen neu hinzugekommener Charaktere wie hier die des schießwütigen, rassistischen Polizisten Dag Lundmark. Dieser ist in "Rosenrot" die ambivalenteste Figur und wird dementsprechend auch weit gefächert von Till Hagen personifiziert.

Für Arne Dahl sind, neben den fein gezeichneten Figuren, auch sozialkritische und ironische Elemente charakteristisch. Im Hörbuch klingen die sozialkritischen Elemente, Ausländerpolitik und Aids in Afrika, deutlich weniger an als im Roman. Dies mag der Grund dafür sein, dass die gegen Ende des Romans in Afrika spielende Sequenz etwas zu süßlich-kitschig klingt. Obwohl "Rosenrot" deutlich weniger witzig ist als seine Vorgänger, nutzt Till Hagen jede Gelegenheit, den Hörer zum Schmunzeln bzw. Lachen zu bringen. Dass seine stimmliche Bandbreite aber auch ausreicht, Betroffenheit adäquat wiederzugeben, ohne dass diese hohl oder pathetisch klingt, mag als weiteres Beispiel für Till Hagens sprachliche Vielfalt dienen. Diese Fähigkeit kommt besonders bei der Lesung des Abschiedsbriefes des Serienmörders zur Geltung.

Leider kann Hagen Kerstin Holms Gewissensnöte nicht speziell vertonen, weil diese im Hörbuch bedauerlicherweise nicht explizit vorkommen. Als professioneller Sprecher vermeidet er dankenswerterweise, hier Emotionen in den Text einzubauen, die unglaubwürdig und aufgesetzt wirken könnten.

(Wolfgang Haan; 08/2006)


Arne Dahl: "Rosenrot"
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Buch: Piper, 2006. 400 Seiten.
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Hörbuch: steinbach sprechende bücher, 2006. Laufzeit ca. 480 Minuten.
Sprecher: Till Hagen.
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Arne Dahl ist das Pseudonym des schwedischen Romanautors Jan Arnald, geboren 1963, der für die Schwedische Akademie arbeitet, die jährlich die Nobelpreise vergibt. Als Arne Dahl wurde er in den letzten Jahren mit seinen Kriminalromanen um den Stockholmer Inspektor Paul Hjelm und die Sonderermittler der A-Gruppe bekannt und vom Publikum und von der Kritik begeistert aufgenommen. "Misterioso" war Arne Dahls Debüt im deutschen Sprachraum und Paul Hjelms erster Fall, danach erschienen "Böses Blut", "Falsche Opfer", "Tiefer Schmerz" und zuletzt "Rosenrot". Arne Dahl erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter zweimal den "Deutschen Krimipreis": 2005 für "Falsche Opfer" und 2006 für "Tiefer Schmerz". Lien: http://www.arnedahl.net.