Paulo Coelho: "Der Dämon und Fräulein Prym"

Meister der Destillation


In diesem Roman von Senhor Coelho, der seine Trilogie ("Am Ufer des Rio Piedra saß ich und weinte", "Veronika beschließt zu sterben") somit abschließt, (offenbar ist es nunmehr als Großer der Literatur - zumindest was Auflagen und Verkauf betrifft - seine Verpflichtung, nicht nur einzelne Romane herauszugeben, sondern gleich mehrere zusammenhängende Werke, wobei aber der innere Zusammenhang dieser Trilogie nicht wirklich verständlich ist. Laut eigenen Angaben besteht er darin, dass das Entscheidende all dieser drei Werke sich innerhalb einer Woche abspielt - wie auch immer!), geht es um ein Kaff in den Pyrenäen, in das eines Tages ein geheimnisvoller Fremder (man hat bei diesen Coelho'schen Gestalten immer ein wenig das Gefühl, es würde sich um den Autor selbst handeln!?) kommt, der der jungen - und wie könnte es auch anders sein - attraktiven Heldin des Buches, Chantal, ein unmoralisches Angebot macht: Wird von der 281- (scheinbar gutherzigen)-Seelengemeinde jemand aus ihrer Mitte als Art "Opfer" dargebracht, so mag dies der ohnehin völlig verarmten Gemeinde den ewig ersehnten Wohlstand in Form von zehn Goldbarren bringen, die der Fremde den Dorfbewohnern als "Belohnung" überlassen will. Wie wird und soll sich das Dorf entscheiden? - Soll es weiterhin "anständig" bleiben oder sich von der Verlockung plötzlichen Reichtums verführen und sich zum Mord hinreißen lassen?

Das Fräulein Chantal Prym wird vom Schicksal als eine Art Mittlerin zwischen dem fremden Mann und der Dorfbevölkerung auserkoren, wobei natürlich auch sie in selbiger Entscheidungszwickmühle steckt. Wird Chantal das scheinbar Unabwendbare am Schluss doch noch abwenden können? 
Langer Rede kurzer Sinn: Es geht wieder einmal um ein typisches Coelho'sches Thema, nämlich den ewigen Wettstreit zwischen Gut und Böse. Das Ganze endet - und man verrät wohl dabei kaum zuviel - mit der Erkenntnis, dass das Gute und das Böse in einem jeden Menschen wohnen und letztlich nur eine Frage der persönlichen Entscheidung ist. Die nahezu 200 Seiten bis zu diesem Punkt füllt Coelho mit diversen archaischen Mythen zu diesem Thema, mit in die Geschichte eingewobenen Kurzdarstellungen von Höllenvorstellungen der größten Religionen, mit Ergüssen deutscher Philosophen, mit schamanischen Weisheiten eines Carlos Castaneda (der kommt bei ihm immer vor!), mit antiker Mythologie (wobei in diesem Fall sogar die erwähnte Midas-Sage fälschlich wiedergegeben wird!), mit diesem und jenem, mit jenem und diesem - kurzum von allem ein wenig - bei Coelho wird man nicht nur unterhalten, sondern Allgemeinbildung ist bei ihm auch Instantbildung, nämlich in der Lektüre eines Coelhobuches inbegriffen.

Nicht dass dieses Buch schlecht wäre - oder Coelho ein schlechter Erzähler - keineswegs! Coelho ist sogar ein sehr guter Erzähler - das ist auch seine größte Stärke. Ein Erzähler mit ungeheurer Fantasie, die er wirklich packend in märchenhafte Geschichten umzusetzen vermag. Das heißt, dass seine Bücher tatsächlich fesseln und man sie meistens erst dann aus der Hand legt, wenn man die letzte Seite gelesen hat. Das kann ja wohl nur der Grund für seinen stupenden Erfolg sein! Also: Im Erzählerischen liegt der Hund nicht begraben!
Vielmehr ist's der immer wieder von ihm geäußerte Anspruch, dass seine Bücher erstens große Literatur - und, was noch schlimmer - spirituell-filosofische Werke seien (hierzulande hat man ihm ja diese Freude gemacht, als im Zuge der "Millionenshow" bei einer Kandidatenfrage sein Buch "Am Rio Piedra saß ich und weinte" als filosofischer Roman bezeichnet wurde), oder als solche doch angesehen werden möchten. Nun, sie mögen gute Romane sein, packend erzählte Geschichten, fast schon in der Tradition orientalischen Märchenerzählens, doch filosofische Werke mit fundiertem spirituellem Hintergrund sind sie wahrlich nicht.

Bei Paulo Coelho hat man das Gefühl, dass er sich sehr wohl durch bedeutende filosofische und spirituelle Werke der Weltliteratur gelesen und sich mit vielen Denkrichtungen und Religionen auch praktisch auseinandergesetzt hat (das bestätigt auch seine Biografie!), und er sich aus alldem sein scheinbar eigenes Gedankengebäude gezimmert hat und sich infolge dessen auch mittels sehr ausgeklügelter PR-Maschinerie als spiritueller "Welterklärer" darstellt. Doch bei etwas tiefergehender Beschäftigung mit seinen Büchern wird man das Gefühl einfach nicht los, dass es sich bei Coelhos großartigen Erkenntnissen vielmehr um das Destillat seiner Leseerfahrungen handelt. Diesen Auszug präsentiert er dann - zugegebenermaßen - meisterlich als Anleitungen zu neuen Sichtweisen, zu Änderungen, zur Verwirklichung der persönlichen Lebensträume, zur mutigen Suche des eigenen Lebensweges und dergleichen mehr! Aber das meiste bleibt dann zu sehr an der Oberfläche, wirkt einfach zu plakativ - zu viel notwendige Substanz geht bei derartiger Destillation verloren! Das Resultat daraus ist, dass der ernsthafte Rezipient bei Coelho nie wirklich weiß, wo die Unterhaltung endet, und wo ernsthafte Lebensweisheit vermittelt werden soll, was spirituelle Anweisungen sind, und was bloße Fiktion ist.

Der japanische Nobelpreisträger Kenzaburo Oe hat - meiner Meinung nach - Coelho ein wunderschönes und gleichzeitig doch auch mindestens zweideutiges Kompliment gemacht: Er meinte, Coelho sei ein "Alchimist der Literatur". Bekanntlich ist ein Alchimist einerseits jemand, der aus unedlen (!?) Stoffen Gold (!?) herzustellen vermag (oder es zumindest versucht), andererseits aber bezeichnet man mit dem Begriff Alchimisten auch einen, der schlicht und einfach ein Quacksalber, ein Scharlatan ist, zumal ja von jener Zunft belegt ist, dass sie mit ihrer "Geheimwissenschaft" niemals wirklichen Erfolg hatte. Insofern ist Coelho wirklich der erste "Alchimist" der es - zumindest materiell gesehen - zu Gold gebracht hat, auch wenn er sich zu diesem Behufe nicht der Alchemie sondern eher der Destillation bedient.

(Rihnrhi)


Paulo Coelho: "Der Dämon und Fräulein Prym"
Gebundene Ausgabe:
Diogenes, 2001. 200 Seiten. 
ISBN 3-257-06282-6.
ca. EUR 17,90. Buch bestellen

Taschenbuch:
Diogenes, 2003. 208 Seiten. 
ISBN 3-257-23388-4.
ca. EUR 8,90.
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