Bill Clinton: "Mein Leben"

Bill Clinton ist bereits zu Lebzeiten eine amerikanische Legende und einer jener Präsidenten der USA, die Anlass zu kontroversiellen Debatten lieferten - wenn auch nicht immer bezogen auf die Amtsführung ...


In diesem vieldiskutierten Buch versucht Clinton nun zu erklären, wie er derjenige geworden ist, als den ihn die Öffentlichkeit kennt, was ihn dazu bewogen hat, die Dinge zu tun, die während seiner Präsidentschaft große Aufmerksamkeit erregt haben.

Clinton geht zunächst ausgiebig auf seinen familiären Hintergrund ein, der durchaus kompliziert und unangenehm war, was ihm in dieser Klarheit wahrscheinlich erst während seiner Eheberatungstherapiesitzungen nach der leidigen Lewinsky-Affäre bewusst geworden sein dürfte. Auf sehr vielen sehr dicht bedruckten Seiten versucht Bill Clinton anscheinend, hier jeden Menschen, der Einfluss auf sein Leben genommen hat, zu erwähnen und dessen jeweilige Handlungsmotive zu beleuchten. Hierbei bemüht er sich - soweit dies von außen beurteilt werden kann - im ersten Teil der Autobiografie um größtmögliche Objektivität , was den Lesefluss mitunter hemmt. Gleichzeitig erläutert Bill Clinton detailreich die amerikanische Politik- und Ideengeschichte seit Beginn der Bürgerrechtsbewegung, wodurch der Text nochmals an Komplexität gewinnt. All dies kann durchaus interessant sein, aber in derart konzentrierter Form auch bisweilen schwer verdaulich.

Anschließend erfährt man eine Menge über Klein-Bills Schullaufbahn und seine frühe politische Arbeit, auch darüber, wie ihn sein Rhodes-Stipendium und etwas Glück aus dem Vietnamkrieg herausgehalten hatten, was ihm seine Kritiker oft genug vorwarfen, die ihn als einen - wie es in den USA heißt - "Draftdodger" sehen wollen, also als jemanden, der sich der Zwangsrekrutierung entzieht. Ist es nicht immer wieder interessant festzustellen, dass jemand sich - in den Augen Andersdenkender - dafür entschuldigen soll, nicht mit dem Auftrag, Menschen umzubringen, ausgeschickt werden zu wollen?
Bill Clinton scheint womöglich ein schlechtes Gewissen zu plagen, weil er kein Vietnamveteran ist ...

Der Lebenslauf Bill Clintons soll hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden, da dies zu umfangreich geraten könnte und überdies die Lektüre des Buchs überflüssig machen würde. Studiert man die Reaktionen auf diese Autobiografie in der amerikanischen Presse, stellt man fest, dass zahlreiche Journalisten, die sie nicht gelesen haben, ihren Senf dazugeben und Clintons Buch teilweise sehr harsch inhaltlich kritisieren.
Absonderlich: Es scheint landestypische inhaltliche Variationen in den Übersetzungen zu geben, wobei sich besonders die chinesische Ausgabe - die keine offizielle Übersetzung darstellt - besonders hervortut: Bill Clinton wusste z. B. selber nicht, dass er ein glühender Bewunderer Maos war ...

Dass die Zahl der Nichtleser, die dennoch das Buch kritisieren, nicht eben klein ist, mag manchem verständlich scheinen. Zunächst einmal versucht Bill Clinton allem Anschein nach tatsächlich, die Handlungsmotive der erwähnten Personen zu erklären und damit auch zu entschuldigen, eine Taktik, die ihn vielleicht in den für ihn kritischen Kapiteln, die von den bekannten Affären handeln, weniger angreifbar machen sollte. Das Problem dabei ist, dass sich die jeweiligen Kommentatoren bei einem so dicken Buch mit großen Seiten und kleiner Schrift - wie bei einer Bibel - immer die Stellen heraussuchen können, die ihnen gerade zum Lob oder zur Verdammung Clintons Munition liefern. Zudem ist "Mein Leben" übermäßig detailfreudig und teilweise sprachlich geradezu prätentiös, sodass sich der interessierte Leser wirklich Seite für Seite durcharbeiten muss, wobei er Notizblock und Stift bereithalten sollte, um nicht den Überblick zu verlieren.

Informativ ist Clintons Autobiografie allemal, aber eben wahrlich kein Lesegenuss. Die Bemerkungen zu Clintons Schreibstil im College, die eingangs zitiert werden, scheinen ungebrochen gerechtfertigt zu sein. Dies zeigt, dass der Autor hier eventuell doch gut daran getan hätte, einen "Ghostwriter" zu Hilfe zu holen. Ansonsten liest sich "Mein Leben" eher wie der zusammenfassende Bericht einer sehr langen Reihe von Besuchen bei einem Therapeuten aus der Sicht des Patienten, der alle seine neugewonnenen Erkenntnisse über sein eigenes Leben ausbreiten möchte - was Bill Clinton übrigens bei Buchpräsentationen wiederholt getan hat. Unweigerlich kommt man zu der Schlussfolgerung, dass Bill Clinton als Interviewpartner und Redner wesentlich überzeugender und angenehmer agiert, als er es als Buchautor zu tun in der Lage ist.

(K.G. Beck-Ewerhardy; 08/2004)


Bill Clinton: "Mein Leben"
(Originaltitel "My Life")
Econ, 2004. 1100 Seiten.
ISBN 3-4301-1857-3.
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