Veza Canetti: "Der Fund"


Zwölf Erzählungen und zwei Stücke aus dem Nachlass zeigen Veza Canetti als eine Meisterin des Dialogs und der Charakterisierung

Zwölf Kurzgeschichten und zwei Lustspiele spiegeln Abgründe in den Menschen wider und legen Zeugnis ab vom Verlust des kindlichen Glaubens an eine heile Welt. Die Protagonisten zeigen aber alle Haltung, wehren sich auf subtile Art gegen soziale Ungerechtigkeit und Demütigung, ohne offensichtliche Erfolge zu erzielen. Lediglich eine Art von Beschämung macht sich beim Lesen breit und Genugtuung, wenn die Darsteller ihre Haltung bewahren und letztendlich doch zu Helden mutieren ohne dabei überheblich zu werden, sondern ihr Schicksal dankbar annehmen.

So auch Gustl, der von den Kindern des Gutsverwalters oft genug gedemütigt wird, der als Einziger keine Vorstellung davon hat, was er später einmal werden möchte, der ob der Diskriminierungen sprachlos wirkt und doch zum Dichter geboren ist. Der eines Tages in seinen Heimatort zurückkehrt und seine ehemaligen Kameraden früh gealtert und vertrocknet vorfindet, ohne Lebenslust und dankbar das festliche Essen, das seine Mutter zubereitet hat, genießen kann.

Herr Hoe, der sich über die vorherrschenden Kriege dermaßen entrüstet zeigt, dass er zu der Ansicht gelangt, dass es keine Raubtiere sondern nur Raubmenschen gibt und dies durch einen Besuch der Zootiere in deren Käfig untermauern möchte. Von Tausenden von Menschen begleitet betritt er das Gehege des Wolfs, der ihn völlig ignoriert, lässt sich von den Schimpansen necken und entgeht nur knapp dem Hunger des Löwen.

Faszinierend: die Geschichte eines Geschwisterpaares, das durch ein Klopfen immer wieder geweckt wird - doch niemand steht vor der Tür. Schließlich erheben sie sich und steigen über die Ruinen zum abgebrannten Möbellager. Dort finden sie unter all den Trümmern eine tote Frau. Daneben, inmitten all der Zerstörung, liegt ein kleines Kind. Es lacht den Rettern entgegen und die Beiden schwören sich, sie werden kämpfen, dass dem Kind dieses Lächeln bleibt.

Und dann noch die Geschichte von Käthi, einem wunderschönen Mädchen, dessen Anmut keinen Passanten ungerührt lässt. Käthi liebt das Leben trotz aller Armut, wird von Vorübergehenden immer wieder beschenkt, fühlt sich in der Schule trotz ärmlicher Kleidung nie ausgeschlossen, bis eine Lehrerin meint: "Du hast es am wenigsten notwendig, dich aufzutun, wart nur, bis du in den Dienst gehen musst wie deine Mutter, dann wirst du schon Demut lernen!" In diesem Augenblick sehen alle Mädchen Käthi an, als wäre sie nicht ihresgleichen, und zum ersten Mal, immer noch den mutigen Trotz in den Augen, erkennt Käthi, dass es einen Unterschied gibt.

Berührende Geschichten, die trotz aller Ungerechtigkeiten niemals die Würde jener Menschen zerstören können, die trotz allem Haltung bewahren.
Veza Canetti charakterisiert stille Helden und Heldinnen des Alltags, die gerade ob ihrer Kuriosität zu faszinieren vermögen.

(Margarete)


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