Andrea Camilleri: "Die dunkle Wahrheit des Mondes"

Commissario Montalbano erlebt Sternstunden


Vielleicht auch deshalb, weil ihm sein Schöpfer Andrea Camilleri in seinem hohen Alter zunehmend ins Auge schaut, setzt sich Salvo Montalbano, jener sympathische und hintergründige Commissario, in seinem Haus am Meer immer öfter mit dem Tod auseinander. Besonders morgens nach dem Aufwachen überfallen ihn die dunklen Gedanken. "'Wenn der Tag deines Todes kommt ... Und was suchte dieser Gedanke inmitten all der anderen Gedanken ? Es war eine feige Attacke! Es war, als würde sich jemand, während er Liebe macht, daran erinnern, dass er die Telefonrechnung noch nicht bezahlt hatte. Es war nicht so, dass der Gedanke an den Tod ihm sonderlich Angst gemacht hätte, doch morgens um halb sieben war er fehl am Platz. Wenn einer anfing, morgens um sieben über seinen Tod nachzudenken, dann war er sicher, dass er sich um fünf Uhr nachmittags entweder erschoss oder sich mit einem Stein am Hals ins Meer stürzte."

Montalbano, auch schon in die Jahre gekommen, begreift, dass ihn der Gedanke an den Tod nun nicht mehr verlassen wird und er nur eine Möglichkeit hat, ihn nämlich in sein Leben zu integrieren. Dieses Leben hat sich in den letzten Jahren eigentlich nicht sehr verändert. Seine Freundin Livia lebt nach wie vor auf dem Festland und besucht ihn nur tageweise in Sizilien. Er isst für sein Leben gern, hat auf der Polizeiwache viel an seine Kollegen delegiert, und mit seinen Oberen geht er auf eine pfiffige Weise um, die jene aber gar nicht bemerken. Catarella, jener tollpatschige Polizist, der seit dem ersten Band "Der Hund aus Terracotta" vor vielen Jahren den Leser dieser außergewöhnlichen Krimiserie immer wieder in schallendes Gelächter ausbrechen ließ mit seiner fast schon genialen Umständlichkeit, hat sich weiter am Computer qualifiziert und leistet mit seinen Kenntnissen in diesem Fall einen nicht unwesentlichen Beitrag zu dessen Lösung.

Eine etwa vierzigjährige Frau, "auf den ersten Blick eine Überlebende des Laienordens der Töchter Mariens", spricht auf der Polizeistation vor und meldet das Verschwinden ihres Bruders Angelo Pardo, 42 Jahre alt.
Die Frau lässt sich nicht beruhigen, und schließlich wird die Leiche Angelo Pardos in dessen Sommerhäuschen, in das er sich immer alleine zurückzog, gefunden. Von einem Stirnschuss getötet, hat der Täter das Opfer mit geöffnetem Hosenlatz und heraushängendem Penis hinterlassen.

Zunächst deutet alles auf ein Verbrechen hin, das aus Leidenschaft begangen wurde. Michela, die Schwester Angelo Pardos, die sein Verschwinden gemeldet hatte und während der Ermittlungen zeigt, dass sie unter ihrer "Schwesterntracht" erhebliche Reize versteckt, und Elena, die letzte von zahllosen Geliebten Pardos, versuchen im Laufe der Ermittlungen immer wieder, Salvo Montalbano von der richtigen Spur abzubringen. Und ein sexuell ausgehungerter Commissario muss sich schwer zusammennehmen, um nicht schwach zu werden.
Es stellt sich heraus, dass es zwischen Angelos Pardos Tod und dem als Herzanfall vertuschten Tod zweier Abgeordneter, Nicolea und Di Cristoforo, einen Zusammenhang gibt. Die Ermittlungen, in die sich das Rauschgiftdezernat mit dem Ziel der Vertuschung der wahren Hintergründe des Todes der beiden Politiker einschaltet, führen Montalbano ins Drogenmilieu. Nachdem er, nicht zuletzt durch seine hohe literarische Bildung, die sein Schöpfer Camilleri ihn in jedem Buch ausspielen lässt, eine als Zahlencode verschlüsselte Botschaft geknackt hat, kommt Montalbano einer folgenreichen Tragödie auf die Spur ...

Wie schon in anderen Büchern zuvor, schließt er den Fall auf seine Art ab und verschafft seiner ganz eigenen Form von Gerechtigkeit Geltung.
"Die dunkle Wahrheit des Mondes" ist ein unterhaltsamer, hintergründiger Roman mit melancholischen Untertönen; für die Freunde Montalbanos ein unbedingtes Muss. Es sieht ganz so aus, als wolle Camilleri seinen Commissario weiterleben lassen, solange jedenfalls, bis sein eigener Tod ihm die Möglichkeit dazu nimmt. Freuen wir uns also auf weitere Romane und wünschen diesem einzigartigen Autor noch viel Schaffenskraft und Gesundheit.

(Winfried Stanzick; 12/2007)


Andrea Camilleri: "Die dunkle Wahrheit des Mondes. Commissario Montalbano erlebt Sternstunden"
Aus dem Italienischen von Moshe Kahn.
Edition Lübbe, 2007. 269 Seiten.
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Hörbuch:
Sprecher: Gerd Wameling.
Lübbe Audio, 2007.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Das graue Kleid"
Febo Germosino hat eine lange, tadellose Karriere als hoher Beamter einer Bank hinter sich. Jetzt, am ersten Tag in seinem neuen Leben als Pensionist, hält er einen anonymen Brief in Händen. Er enthält Andeutungen über die Untreue seiner fünfundzwanzig Jahre jüngeren, wunderschönen Frau Adele.
Febo ist entsetzt, doch gleichzeitig bestätigt sich, was er schon lange geahnt hat: Seine Frau ist eine Femme fatale, der er hoffnungslos verfallen ist, die ihn hintergeht und ausnutzt, von der er aber nicht lassen kann. Wie ein Besessener beginnt er, Adele hinterherzuspionieren, und findet tatsächlich heraus, dass sie sich heimlich mit anderen Männern trifft.
Seltsamerweise trägt Adele bei bestimmten Anlässen ein graues Kleid, das sie auch anhatte, als er sie das erste Mal sah.
Es scheint eine tiefe symbolische Bedeutung zu haben; eine Bedeutung, die sich ihm vielleicht besser nicht erschließen sollte ... (Kindler)
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