"Der Brockhaus Religionen"

Glaubensvorstellungen, Weltanschauungen, Riten, Feste, Symbole, Heilige und Götter ...


Das urtypisch menschliche Phänomen Religion in seiner Gesamtheit bis ins Detail hinein zur Darstellung zu bringen, ist Sinn und Zweck des Brockhaus zum Thema "Religionen - Glauben, Riten, Heilige". Folglich bleibt über rund 700 Seiten quasi nichts ausgespart, was auch nur im weitesten Sinne mit der bezughabenden Begrifflichkeit zu tun hat. Und das bei üppiger Illustrierung, womit wohl der Schaulust des betrachtenden Lesers hinreichend gedient sein sollte. Neben der für Lexika aller Art üblichen alphabetisch sortierten Begriffsordnung finden sich gezählte fünfzehn Sonderartikel, die in ausführlicher Form zentrale Thematiken besprechen. Diese sind: Aufklärung, Dämonen, Esoterik, Ethik, Glaube, Hoffnung, Idole, Jenseitsvorstellungen, Kult, Medienreligion, Mission, Pilgerwesen, Säkularisierung, Schicksal und Weltethos. Des Weiteren sind die sogenannten "Schlaglichter" zu beachten, wobei es sich um Kurzartikel handelt, die wissenswerte Besonderheiten der Religionen, spezielle kultische Details und religionshistorische Hintergründe in kurzer aber fasslicher Form erhellen. Und dieses geschieht zu folgenden Schwerpunkten: Alte Kulturen, Buddhismus, chinesische Religionen, Christentum, Hinduismus, Islam, Judentum, Neue Religionen, Parsismus, Shinto und Stammesreligionen. Wie man aus dieser Aufzählung leicht ersieht, handelt es sich bei gegenständlichem Religionslexikon also keineswegs um ein Machwerk christlichabendländischer Provenienz (der "Brockhaus Religionen" versteht sich konfessionell strikt neutral), sondern das Phänomen "Religionen" wird in seiner ganzen historischen und weltumschließenden Bedeutung umfassend betrachtet. Womit etwa zur Darstellung kommt der kriegerische Kult der Assyrer, deren Gott Assur (höchster Herrscher und Kriegsgott in einer göttlichen Person) zur Weltherrschaft aufruft, wie auch die Opferriten der Azteken, die monotheistische Revolution eines Echnaton, germanische und griechische Religionen, also eben das kultische Gestern in seiner ganzen Vielheit genauso wie die religiöse Verfasstheit und Praxis der Gegenwart, in welcher reaktionäre Reformverweigerung mit vorwärtsstürmender Lust an der esoterischen Variation althergebrachter Riten und Symbolismen konkurriert. In diesem Zusammenhang werden übrigens auch Gemeinschaften vorgestellt, die - ihrer gesellschaftlichen Randstellung wegen - für gemeinhin unter dem denunzierenden Oberbegriff Sekte subsumiert sind. Zum Beispiel die Bhagvan-Bewegung des indischen Religionsführers Chandra Mohan Rajneesh, der 1984 Obdach- und Arbeitslose zum Wohnen und Arbeiten nach Rajneeshpuram, der neu gegründeten Stadt der Bewegung im US-Bundesstaat Oregon, einlud, was man ihm seitens der Bewohner Oregons allerdings nicht als wohltätigen Akt anrechnen wollte.

Der "Brockhaus Religionen" empfiehlt sich demnach nicht nur als gelegentliches Nachschlagswerk, sondern bietet durchaus einen gesonderten Lesestoff zum Schmökern, der sich über praktische Querverweise zu den alphabetisch geordneten Sachbegriffen spielerisch vertiefen lässt. Solcherart erlangt der Leser eine Vertrautheit mit zum Teil auch weniger vertrauten Glaubenswelten, die jedoch in Zeiten des Ferntourismus, Medien, Migration und Multikulturalismus zusehends zum unabwendbaren Bestandteil alltäglicher Lebenswirklichkeit werden. Und darin begründet sich eben auch das löbliche Ansinnen des "Brockhaus Religionen", einen Beitrag zum interkulturellen Dialog zu leisten und das Verständnis für die Vielfalt religiöser Erscheinungen zu erweitern. Wozu anzumerken ist, dass, bei neuerdings zunehmender Eskalation von kulturellen Feindseligkeiten innerhalb der multiethnischen Gesellschaften des Westens, aber auch angesichts globaler Zwistigkeiten zwischen mehr oder weniger homogenen Kulturblöcken (us-amerikanisches Hegemonialstreben versus antiwestlicher Islamismus), diesem dialogischen Unterfangen nicht genug Bedeutung beizumessen ist.

Wissbegierigen wird sich nun die Frage aufdrängen, wie "Brockhaus Religionen" den Begriff der Religion [französ., von latein. religio "Gottesfurcht"] selbst definiert. Die Antwort darauf erstreckt sich im Buch über rund zwei Seiten, was den vielschichtigen Bedeutungszusammenhang von Religionen wiederspiegelt.
Religionswissenschaftlich begründete Definitionsversuche gibt es demnach zwar viele, doch stellen diese meistens Einzelaspekte in den Mittelpunkt, was in Hinblick auf die Vielfalt religiöser Phänomene die jeweilige Definition als ungenügend erscheinen lässt. Allen Definitionsversuchen gemeinsam ist jedoch, so Brockhaus, dass Religion als ein existenz- und situationsbezogenes und entsprechend uneinheitliches und uneindeutiges Phänomen erscheint, als eine spezifische Funktion des Menschseins, die es außerhalb der Welt der Menschen nicht gibt. Formal lässt sich Religion beschreiben als ein (Glaubens-)System, das in Lehre, Praxis und Gemeinschaftsformen die letzten (Sinn-)Fragen menschlicher Gesellschaft und Individuen aufgreift und zu beantworten versucht. Soweit der kurze Ausschnitt aus "Brockhaus Religionen" zur Begriffsklärung von "Religion". Wem die neuzeitlich wissenschaftlichen Definitionsversuche übrigens zu akademisch und verkopft sind, der wird sich mehr an Definitionen älteren Datums halten, welche sind die des 
Cicero ("De natura deorum", 2,72), der Religion als "die sorgfältige Betrachtung alles dessen, was zum Kult der Götter gehört" auslegt, oder zum Beispiel die Deutung des Augustinus ("De quantitate animae", 36,80), für den die wahre Religion diejenige ist, "durch die sich die Seele mit dem einen Gott, von dem sie sich gewissermaßen losgerissen hat, in der Versöhnung wieder verbindet". Selbstredend, dass dem römischen Gelehrten das Christentum natürlich als "vera religio", die "wahre Religion", galt. Soviel zu den im Religionslexikon selbst natürlich weitaus ausführlicheren Darlegungen zum Begriff von der Religion.

Als umfassende Enzyklopädie zum Thema "Religionen" gibt der "Brockhaus Religionen" auf alle Fragen Antwort, die für gemeinhin anfallen können, gleich ob das jetzt die Person des Theologen und Philosophen Friedrich Schleiermacher, den Begriff der Sünde, das Stigma (Wundmal Christi), die Göttin Athene, das jüdische und islamische Bilderverbot oder den ebenso berüchtigten wie unter Pubertierenden populären 
Satanismus betrifft. Und dieses allemal in verständlicher Formulierung, obgleich keinesfalls unzulässig simplifizierend, wie schon verdeutlicht wurde, denn auch die Wirklichkeit der Religionsphänomene stellt sich komplizierter dar, als es dem nach Orientierung suchenden Menschen im Allgemeinen wünschenswert sein kann. In diesem Sinne werden relativierende Gegenpositionen zu diversen jeweils mehr oder weniger unhinterfragt geltenden Auslegungsmustern (zur religiösen Dogmatik) keineswegs ausgespart, wie z. B. zur Auferstehung Christi, die als grundlegendes Bekenntnis des christlichen Glaubens in ihrer Historizität von verschiedenen protestantischen Theologen bestritten und als lediglich geglaubter "Sachverhalt" beschrieben worden ist. Zentrale religiöse Vorstellungen wie etwa die Auferstehung der Toten werden regelmäßig aus den verschiedensten - durchaus konkurrierenden - Perspektiven betrachtet.

Summa summarum handelt es sich bei "Brockhaus Religionen" um ein umfassendes Nachschlagwerk für alle, die ebenso rasche wie fundierte Informationen über Begriffe des religiösen Lebens in allen seinen Facetten suchen. Schlussendlich also ein Muss für jede Privatbibliothek mit theologischem Anspruch und wohl auch eine große Hilfe für Studenten wie ebenso für Lehrende der Religionswissenschaften.

(Tasso; 12/2003)


"Der Brockhaus Religionen"
Brockhaus, 2003. 704 Seiten.
ISBN 3-7653-2476-0.
ca. EUR 49,95. Buch bestellen

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