Elizabeth Bishop: "Die Farben des Kartographen"

Gedichte


Einprägsam kolorierte Landkarten, kraftvolle Stilleben und die Befestigung des Augenblicks

Manch eines Poeten Schreibweise ist der Vorgangsweise eines Kartografen recht ähnlich. Wie dieser vereinfacht der Dichter mitunter den Inhalt durch Generalisierung. Der Kartograf setzt zielgerichtet Farben, grafische Elemente und Bildmaterialien ein und fügt diese zu einem allgemein verständlichen Kartenprodukt zusammen. Ein weiterer Aufgabenbereich umfasst die Abwandlung bereits vorhandener grafischer Daten im Rahmen einer Aktualisierung oder Ableitung einer neuen Karte. Entscheidend für die Entwurfsarbeiten sind Art, Maßstab, Inhalt und Verwendungszweck einer Karte. Der Lyriker entwirft und aktualisiert sprachliche Elemente, setzt (hoffentlich) zielgerichtet Worte, Reflexionen und Emotionen ein.

Als Kind einer psychisch kranken Mutter und eines Vaters, der starb, als sie acht Monate alt war, verbrachte Elizabeth Bishop ihre Kindheit bei Familienmitgliedern, in Worcester, Boston und bei den Großeltern in Nova Scotia, Kanada. Ihre Freunde aus Kindertagen erinnern sich an die intelligente, jedoch einsame, ebenso schüchterne wie verletzliche Persönlichkeit. Ordnung, Disziplin und Kameradschaft lernte Elizabeth Bishop an der Schule von Walnut Hill zwischen 1927 und 1930 kennen, wo sie auch begann, Stücke, Kurzgeschichten, Rezensionen und Gedichte für die Schülerzeitung zu verfassen. Mit Mary McCarthy und Anderen gründete sie am Vassar College das literarische Magazin "Con Spirito", was zu einer Sensation auf dem Campus führte. Anno 1934, nach Abschluss des Colleges, unternahm Bishop ausgedehnte Reisen, die sie unter anderem nach Frankreich, Spanien, Nordafrika, Irland und Italien, Mexico und Key West, Florida, wo sie vier Jahre blieb, und Brasilien, dort lebte sie 16 Jahre lang, führten. Zu ihrem Glück war sie unabhängig und wohlhabend. Für Gesprächsstoff sorgten sowohl ihre lesbischen Liebesbeziehungen als auch ihr exzessiver Alkoholkonsum.
Später lehrte sie an den Universitäten von Washington, Harvard und schlussendlich New York. Im Jahr 1955 erhielt sie den "Pulitzer Preis".

In Elizabeth Bishops Lyrik finden sich reflektierte Reiseeindrücke, schlichte Gegenstände des Alltäglichen, auf den ersten Blick unspektakuläre Einsichten sowie zahlreiche Metafern, und viele ihrer Gedichte sind nahezu wortgewordene Abbildungen vergänglicher Augenblicke, wobei insbesondere das Meer und Lichtstimmungen wiederholt als Bühne und Schauspieler fungieren. Ebenfalls besonders ausgeprägt sind ihre sprachliche Genauigkeit und die Fixierung auf das zu Beschreibende. Bishops Werk (ver)birgt starke Emotionen, obwohl / weil der Schriftstellerin jegliche Bekenntnislyrik fremd war. Ihre Gedichte abstrahieren und veräußerlichen Befindlichkeiten gleichermaßen lebensnah wie präzise. Aufgrund ihrer zahlreichen Reisen bewahrte sich Bishop wohl einen unabgenutzten Blick und eine gesteigerte Sensibilität. Sie arbeitete immer wieder das Gefühl der Fremdheit heraus, das alltägliche Ereignisse begleiten kann, schrieb langsam und publizierte nur spärlich - auch Kurzgeschichten, beispielsweise im Magazin "The New Yorker".

Elizabeth Bishop war in Bezug auf ihr Schreiben absolute Perfektionistin und wollte nicht als "weiblicher Poet" gesehen werden. Im Jahre 1977 schrieb sie: "Art is art and to separate writings, paintings, musical compositions, etc., into two sexes is to emphasize values in them that are not art." ("Kunst ist Kunst und Schriften, Gemälde, musikalische Kompositionen etc. in zwei Geschlechter zu trennen heißt Werte zu betonen, die nicht Kunst sind."

Elizabeth Bishop starb am 6. Oktober 1979.

(Felix; 10/2001)


Elizabeth Bishop "Die Farben des Kartographen"
Ausgewählt und übertragen von Margitt Lehbert.
Mit einem Nachwort von Evelyn Schlag.
Residenz Verlag, 2001. 110 Seiten.
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