Franz Kotteder: "Die Billig-Lüge"

Die Tricks und Machenschaften der Discounter


In den letzten Jahren haben sich Discounter-Ketten wie Aldi, Lidl, Schlecker und andere immer mehr in Europa - und zum Teil darüber hinaus - ausgebreitet und sind vom Bedienen einer eher einkommensschwachen Käuferschicht zu einkommensstärkeren Kunden übergegangen. Trotz gelegentlicher Skandale um fehlendes Personal, fehlende Betriebsräte, die Herkunft von Tropenholzmöbeln und den Verkauf von Haifischsteaks finden diese Ketten weiterhin ihre Kundschaft und legen auch noch ständig zu. Der Erfolg dieser Lebensmitteldiscounter - und ihrer Pendants im Technologiebereich, wie MediaMarkt und Saturn - hat mindestens genauso viel Neid wie Bewunderung hervorgerufen. Doch weil "Geiz ist geil" zum Schlachtruf des beginnenden 21. Jahrhunderts geworden ist, sind wir ja eigentlich alle in Wirklichkeit Discounterjünger geworden.

Franz Kotteder nimmt die Idee von "Geiz ist geil" und die Discounter, die daran verdienen, in diesem Buch sehr kritisch unter die Lupe und geht dabei leider ein wenig chaotisch vor. Die einleitenden Kapitel über die neue Sparkultur und die Gründer der verschiedenen Discounter-Ketten sind voller Wiederholungen, Spekulationen und reiner Polemik und wirken dadurch zunächst ein wenig abschreckend. Immer wieder werden Missstände angedeutet, aber nie wirklich dargelegt bzw. nur sehr vage belegt.

Danach wird das Buch allerdings erfreulicher aufgrund einer relativ anschaulichen Kurzdarstellung des Discount-Systems, so weit es in seiner Anwendung bekannt ist. Dabei wird zunächst die allgemeine Unternehmensstruktur dargestellt. Anschließend wird der Umgang mit den Lieferanten kritisiert - der übrigens nicht anders ist als bei anderen großen Abnehmern im globalen Markt, weswegen das Einschießen auf die deutschen Discounter-Könige hier ein wenig einseitig wirkt. Die damit eventuell verbundenen Gefahren für die Warenvielfalt und -qualität ist allerdings in jedem Fall gegeben. Die weiterführenden Ergebnisse dieses Preisdrucks nach unten in Bezug auf Lebensmittel sind dem lesenden Menschen eigentlich vertraut, werden allerdings hier in einem Teil ihrer Kausalität in mehreren - komischerweise nicht aufeinander folgenden - Kapiteln noch einmal zusammenfassend dargestellt. Dies geht dann auch über die deutschen bzw. europäischen Produktionsbereiche hinaus und bis in die entlegensten Ecken der Welt, wo Kinderarbeit und Sklaverei unter anderem zur Herstellung von Orangensaft, Kaffee und Schokolade beitragen. Hier wird allerdings auch kritisch hinterfragt, wer denn nun für diese Zustände verantwortlich ist und auch gefragt, ob ein Hungerlohn nicht immer noch besser als der Hungertod sein könnte.

Den müssen die Mitarbeiter der Discounter zwar nicht erleiden, aber ihre Arbeitsbedingungen erscheinen nach den in diesem Buch gegeben Informationen beileibe nicht rosig, wobei die Ausführungen zur Diebstahlkontrolle hier etwas genauer hinterfragt werden müssen. Nach Auskunft der Versicherer und der Einzelhandelsverbände ist Ladendiebstahl rein vom Wert her, also der Schadenssumme für den Händler, größtenteils durch die Mitarbeiter bedingt. (Was natürlich nicht in allen Bereichen gilt.) Deswegen ist eine Kontrolle der Mitarbeiter in der Branche durchaus gängiger, als es nach dem hier zu Lesenden den Anschein hat.

Die letzten beiden Kapitel geben dann einen Ausblick auf das Leben im Jahr 2020, wenn die beschriebenen Entwicklungen unverändert weiterlaufen, und wie man gegebenenfalls selbst dies verhindern könnte - so man es denn verhindern möchte.

Nach einer anfänglich sehr polemischen und aggressiven Attacke wird "Die Billig-Lüge" in der zweiten Hälfte wesentlich differenzierter und es wird auch mehr belegt, so dass es nach dem etwas abschreckenden Einstieg schlussendlich doch lesenswert wird. Man erfährt nicht unbedingt Neues, aber man bekommt zum Teil bekannte Daten in interessanten neuen Verknüpfungen serviert, was sehr zum Nachdenken anregt.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 09/2005)


Franz Kotteder: "Die Billig-Lüge"
Droemer, 2005. 269 Seiten.
ISBN 3-426-27371-3.
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Franz Kotteder, Jahrgang 1963, ist seit 1991 Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung" mit Schwerpunkt Kulturthemen, daneben Autor politischer Sachbücher.