Joseph Ratzinger Benedikt XVI.: "Gott und die Welt / Salz der Erde"

Gespräche mit Peter Seewald


Kritische Fragen und Antworten rund um den Katholizismus unserer Tage

Die katholische Kirche hat ihren angestammten Platz in den europäischen Gesellschaften verloren. Gewiss, manchmal tritt sie noch auf den Plan. Dann ruft sie Spott oder genervte Ablehnung hervor. Hat die Kirche im 21. Jahrhundert eigentlich noch eine Perspektive? Wissen die Menschen überhaupt, was die Kirche glaubt und will?

In den 1990er Jahren führte der Journalist Peter Seewald zwei lange Gespräche mit dem damaligen Chef der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger. Daraus entstanden nacheinander zwei Bücher, "Salz der Erde" und "Gott und die Welt", die nun von der DVA sinnvollerweise zu einem Doppelband zusammengefügt wurden.

In "Salz der Erde" nähern sich die beiden Interviewpartner zunächst vorsichtig an; es geht noch recht allgemein um Ratzingers Verhältnis zum damaligen Papst Johannes Paul II., um die Bedeutung des katholischen Glaubens in der heutigen Welt und um das Wesen des Katholischseins an sich. Dann folgt ein Kapitel über Ratzingers persönliche Geschichte, das schon viel über den von der Presse und auch Angehörigen seiner Kirche oft geschmähten Präfekten der Glaubenskongregation verrät. Die weiteren Kapitel gehen sozusagen ans Eingemachte: Seewald und Ratzinger skizzieren und erläutern die Probleme der katholischen Kirche, zeigen Fehler auf und suchen Alternativen. Sie greifen die zentralen Schwächen des modernen Zeitgeistes auf und befassen sich mit den Möglichkeiten der Kirche, hier Abhilfe zu schaffen und sich als glaubwürdige Alternative anzubieten, vor allem in Hinblick auf das 21. Jahrhundert, das gewaltige Umbrüche, aber auch Chancen ahnen lässt.

"Gott und die Welt" ist ein Buch über den katholischen Glauben selbst. Im Prolog findet eine Auseinandersetzung mit zentralen Glaubensschwierigkeiten und Gottes Unbegreiflichkeit statt, etwa am Beispiel Hiobs. Anschließend werden alle wesentlichen Aspekte des Glaubens angesprochen: Das Thema des ersten Kapitels ist Gott, der Schöpfer, der Gesetzgeber und der Liebende - nicht unbedingt ein einfacher Glaubensinhalt, befremden uns Heutige doch viele alttestamentarische Texte. Jesus Christus als Inhalt des zweiten Kapitels scheint aufgrund seiner menschlichen Teilnatur unkomplizierter, aber auch er entzündet Diskussionen: Ist sein Wort angesichts der gelegentlichen drastischen Drohungen wirklich eine frohe Botschaft? Wie stand Jesus zu den Frauen? Welche Rolle spielt Maria in der katholischen Kirche? Wie ist der Dreifaltigkeitsgedanke entstanden? Welchen Einfluss hat Jesu Lehre auf das christliche Leben? Wie sind Passion und Auferstehung zu verstehen?

Das dritte Kapitel, "Von der Kirche", befasst sich sowohl mit der Geschichte der Kirche und den Veränderungen, denen sie sich in jenen zweitausend Jahren unterwarf, als auch in ausreichender Gründlichkeit mit den Sakramenten und schließlich mit der Zukunft - bezüglich der künftigen Organisation, der Inhalte und der abzusehenden Gefahren.

Es ist schwierig, den Inhalt zweier umfangreicher Bücher kurz und doch repräsentativ zusammenzufassen, zumal Peter Seewald den Themenbogen innerhalb der einzelnen Kapitel und Unterkapitel sehr weit spannt. Seewald, der selbst über ein profundes Grundlagenwissen verfügt, stellt viele Fragen zu Lehre und Praxis, die dem Präfekten der Glaubenskongregation natürlich entgegenkommen; häufig fordert er seinen Gesprächspartner aber auch heraus mit provokativen Thesen, Kritik (eigene, "dem Volk" abgeschaute und über die Medien verbreitete) und Vorurteilen. Als erfahrener Journalist lässt er kein Ausweichen zu.

Allerdings ist Ratzinger keiner, der das Ausweichen nötig hat, er greift nur manchmal einen neuen Gedanken auf, ehe er die aktuelle Frage ganz beantwortet hat. Wer Ratzingers anspruchsvolle wissenschaftliche Veröffentlichungen kennt, wird staunen, mit welcher Schlichtheit dieser auch komplexe Glaubensdinge zu erläutern vermag. Und dem, der beim Stichwort "Ratzinger" lediglich den von der Presse gezeichneten "Panzerkardinal" und "Rottweiler Gottes" vor Augen hat, erschließt sich eine völlig andere Persönlichkeit des gegenwärtigen Papstes. In vielen Grundsatzfragen erweist sich Ratzinger als erstaunlich flexibel, und auch die in den Medien oft schlagwortartig herausgegriffenen Aussagen des damaligen Kardinals erhalten im originalen Kontext häufig eine ganz andere Bedeutung. Vor allem scheut Ratzinger auch nicht vor schwierigen und in der Öffentlichkeit emotional diskutierten Themen wie Sexualität und Rolle der Frau zurück. Die meisten Leser werden mit ihm nicht in jedem Detail übereinstimmen, aber das fordert er ihnen auch nicht ab.

Die politischen und spirituellen Probleme, die Ratzinger und Seewald vor rund zehn Jahren diskutierten, sind heute eher noch brennender geworden, und manche behutsame Prognose des Kardinals, die man im Buch findet, scheint sich zu bewahrheiten - nicht unbedingt ein Wunder angesichts der enormen Spannweite und Tiefe von Ratzingers Allgemeinbildung und Interessen, die auch vor den modernsten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht Halt machen.

Die Bücher dieses Doppelbandes sind wahrscheinlich nicht dazu geeignet, Menschen zum katholischen Glauben zu bekehren, die mit ihm nie einen Berührungspunkt hatten. Jenen jedoch, die sich mit der Zeit von der Kirche entfremdet haben, bieten sie einen unmittelbaren, sehr gut verständlichen und lebendigen Zugang zu praktisch allen Aspekten des Katholizismus, sowohl den inneren, also der Glaubenslehre und Moral, als auch den äußeren, die die Position der Katholiken, als Einzelne und als Kollektiv, in der Gesellschaft bestimmen. Somit können diese Bücher durchaus dazu dienen, zu einem verschütt gegangenen Glauben zurückzufinden oder auch zur Institution Kirche. Und Leser, die nicht dem katholischen Milieu im weiteren Sinne entstammen, erhalten einen interessanten Überblick über alles, was den Katholizismus ausmacht.

Seewald, kritisch, dabei aufgeschlossen, fordernd, aber nicht aggressiv, und Ratzinger, erfreulich offen und persönlich, kritikfähig, geistvoll und Anteil nehmend, ergänzen sich vorzüglich. Es macht Freude, dieses Buch zu lesen, trotz des gewaltigen Umfangs. Und manchem vermöchte es wohl die Einsicht zu vermitteln, dass er keine modische Esoterik benötigt, da der gute alte Katholizismus mit seinem robusten Fundament interessante und durchdachte Antworten auf viele, vielleicht alle seine Lebensfragen anbietet.

(Regina Károlyi; 09/2006)


Joseph Ratzinger Benedikt XVI.:
"Gott und die Welt / Salz der Erde. Gespräche mit Peter Seewald"

DVA, 2006. 691 Seiten.
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Peter Seewald, Jahrgang 1954, war bis 1994 Redakteur und Autor bei "Spiegel", "Stern" und dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung".