P. T. Barnum: "König Humbug"

Sein Leben, von ihm selbst erzählt


"Der große Fehler unserer amerikanischen Zivilisation liegt darin, dass man allzusehr das 'Praktische' im Auge hat und eine schmutzige Geldgier oft die Folge davon ist. Hinzu kommt noch, dass man alle uns so notwendigen Erheiterungen und Genüsse verächtlich macht, die in anderen Ländern den ärmsten Schichten der Gesellschaft zugänglich sind." (P. T. Barnum)

Lange bevor Lebenslust und Neugier von der unglückseligen "politischen Korrektheit" späterer Tage angekränkelt und beschnitten wurden, verbrachte ein gewisser Phineas Taylor Barnum (1810-1891) den größten Teil seines Lebens als herumziehender Kuriositätenschausteller und Leiter des Amerikanischen Museums.
Dieses Buch beinhaltet seine Erinnerungen, die erstmals anno 1855 erschienen und sicherlich all jenen Freude bereiten werden, die den Stil der Erzählungen von "Sindbad dem Seefahrer" mögen. Unerschrocken wie dieser einst, zog P. T. Barnum in die große weite Welt, um Reichtum und Ruhm zu finden, erlebte dabei allerhand sonderbare Episoden, lernte Menschen und Tiere vieler Herren Länder kennen und kehrte zwischendurch immer wieder zu seiner Familie zurück.

Wer war jener Mann, der früh seine erste Liebe ehelichte und mit ihr eine Tochter zeugte, der einer staunenden Öffentlichkeit die angeblich 161 Jahre alte Kinderfrau von George Washington präsentierte, der mit einem hochtalentierten kleinwüchsigen fünfjährigen Knaben, den er als elfjährigen General Tom Thumb "vermarktete", europäische Herrscherhäuser zu Begeisterungsstürmen hinriss, der die schwedische Sängerin Jenny Lind mit erheblichem finanziellen Risiko (und gigantischem Erfolg) für eine Konzerttournee in die USA holte, und der sich in Connecticut einen von orientalischen Bauformen inspirierten Wohnsitz errichten ließ, den er "Iranistan" nannte?
Licht in den überaus interessanten Werdegang des P. T. Barnum bringen seine Memoiren, die eine gelungene Geschichten-Mischung mit für ihn typischen, einem Baron Münchhausen oder Till Eulenspiegel in nichts nachstehenden Absonderlichkeiten und Eigenarten darstellen. Ergänzt wird das Selbstporträt durch ein Geleitwort von Markschiess-van Trix und ein Nachwort von Tilman Spreckelsen.

Schon früh zum Broterwerb gezwungen, fand Barnum bereits in jungen Jahren großen Gefallen daran, sich die Leichtgläubigkeit der Menschen zunutze zu machen und manipulierte die Öffentlichkeit genüsslich - sei es als meinungsmachender Publizist, als Organisator eines Wanderzirkusses oder als Lotterielosverkäufer. Freilich büßte er oft genug seine gesamte Barschaft bei dubiosen Spekulationen ein und musste wiederholt ganz neu beginnen. Sein untrüglicher Instinkt für lukrative Unternehmungen ließ ihn anscheinend nie wirklich im Stich, dennoch sah er sich einem Freund gegenüber zu folgender Aussage veranlasst: "Dreißig Jahre lang habe ich mich abgerackert, um Gutes zu tun, aber dabei dummerweise immer meine schlechtesten Seiten offenbart, bis die halbe Christenheit glauben musste, ich trüge Hörner und Hufe."
Der Gerechtigkeit wegen muss ergänzt werden, dass Barnum bei seinen Mitarbeitern hohes Ansehen ob seiner Anständigkeit genoss und seine Machenschaften niemals angelegt waren, jemandem absichtlich persönlichen Schaden zuzufügen. Er ging auf im Planen und Umsetzen außergewöhnlicher Projekte. Hierbei bediente er sich sehr wohl der List und der Tücke, jedoch nicht, um sich vordergründig zu bereichern. Beim Lesen ergibt sich der Eindruck, er habe eben bei günstigen Gelegenheiten schneller und besser alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sein aktuelles Ziel zu erreichen.

Seine unversiegbare Lust, Kuriositäten ausfindig und diese sodann einer zahlenden Öffentlichkeit zugänglich zu machen, trieb gar skurrile Blüten, die er in herrlich lockerer Art und Weise niedergeschrieben hat. Allein die Kapitelüberschriften, die ein wenig an Grimmelshausens Simplicissimus erinnern, bezeugen die Lebensfreude und den Tatendrang eines Mannes, dessen Lebenswerk schließlich ein Raub der Flammen wurde: "Ich werde Ladendiener und besichtige die Efeuinsel", "Ich werde Ladenbesitzer, heirate und gebe eine Zeitung heraus" - um nur zwei zu nennen.

Er verstand es, die Neugier der Massen durch perfekte Werbemaßnahmen anzustacheln, wobei er sich mit bewundernswertem Raffinement der Presse bediente. Legendär ist beispielsweise jenes Exponat, das aus Kopf und Rumpf eines Affen, mit dem Unterleib eines Fischs kombiniert und als Seejungfrau ausgestellt wurde. Eine Zeichnung dieses angeblich ungemein interessant wirkenden Kuriosums findet sich im Buch.
Barnums Begabung bestand darin, durchaus plausible Hintergrundgeschichten für seine Ausstellungsstücke zu (er)finden. Er arrangierte abgekartete Schaukämpfe zwischen Artisten, eine Treibjagd mit matten Büffeln, und schaffte es offenkundig auch in Zeiten finanzieller Tristesse immer wieder, potente Geldgeber mit Leidenschaft und echter Begeisterung für die eigenen Projekte zu interessieren.
P. T. Barnum war ein Meister der Öffentlichkeitsarbeit, der alles erträumte, so manches davon versuchte und vieles verwirklichte.

(kre; 12/2001)


P. T. Barnum: "König Humbug. Sein Leben, von ihm selbst erzählt"
Aufbau Taschenbuch Verlag, 2001. 222 Seiten.
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