Isaac Asimov, Robert Silverberg: "Einbruch der Nacht"

Basierend auf einer Kurzgeschichte von Isaac Asimov aus dem Jahr 1941 haben die beiden Schwergewichte der SF-Literatur einen Roman geschaffen, der ihre jeweiligen besonderen Qualitäten verbindet.


Aufgrund der Existenz von sechs Sonnen, die sich in ihrem System befinden, kennen die Bewohner des Planeten Kalgash keine Dunkelheit. Finsternis ist etwas so Ungewohntes, dass sich ein Unternehmen auf Fahrten durch 15 Minuten absolute Dunkelheit spezialisiert hat. Als die ersten Kunden vor Angst sterben und andere bleibende psychische Schäden davontragen, wird der Psychologe Dr. Sheerin 51 mit der Untersuchung dieser Auswirkungen beauftragt. Nach Gesprächen mit Betroffenen und einem Selbstversuch rät er, die "Geisterbahn" zu schließen, da die Bewohner Kalgashs offensichtlich nicht für die Dunkelheit geschaffen sind.

Siferra 81 hat bei archäologischen Ausgrabungen unter der bis dahin ältesten bekannten Stadt des Planeten, genauer unter einer Ascheschicht, Überreste einer weiteren Stadt gefunden und ahnt, dass ihre Entdeckung Schwierigkeiten nach sich ziehen wird. Die bisher nur etwa 2000 Jahre umspannende Geschichte der Kalgasher scheint wesentlich weiter zurück zu reichen als zunächst angenommen, denn die Stadt unter der ersten Schicht ist allem Anschein nach ebenfalls 2000 Jahre alt. Unter dieser Stadt finden sich noch sechs bis acht weitere Ascheschichten, unter denen ebenfalls die Reste von noch älteren Städten ruhen sollen. Spätere Laboruntersuchungen ergeben, dass die einzelnen Schichten jeweils etwa 2050 Jahre auseinander liegen und der Planet somit wesentlich länger als bislang angenommen bewohnt ist. Doch wie soll man das der Konkurrentenschar und der Bevölkerung erklären?

Dr. Beenay 25 ist Astrologe im Mitarbeiterstab des bedeutenden Professors Athor 77, der die Universalen Gesetze der Gravitation definiert hat, welche das gesamte Universum der Kalgasher umschreiben. Nun hat er in der Anwendung der Theorie auf die Praxis eine Abweichung entdeckt, welche sich nur durch das Vorhandensein eines weiteren - unsichtbaren - Himmelskörpers im System Kalgashs erklären lässt. Nach ausgiebigen Überprüfungen der Berechnungen tritt er vor seinen Mentor, um ihm die Ergebnisse vorzulegen und ist dann beruhigt, dass sich diese in ein angepasstes Modell der Welt integrieren lassen - zumindest so lange, bis ihn ein Gespräch mit der von ihrer Expedition zurückgekehrten Siferra nachdenklich macht und er weitere Berechnungen anstellt. Das Resultat lautet, dass in regelmäßigen Abständen eine Konstellation eintritt, in der nur eine Sonne des Systems am Himmel steht und sich der unbekannte Himmelskörper zwischen diese und Kalgash schiebt. So wäre der Planet etwa vierzehn Stunden lang in Dunkelheit getaucht. Ein Ereignis, das sich alle 2049 Jahre wiederholt und in etwa einem Jahr wieder eintreten wird, wie es auch von einer religiösen Sekte bereits vorhergesagt wurde.

Diese Sekte unter der Leitung des Propheten Mondior hat ihr Wissen anscheinend über mehrere solcher "Nächte" gerettet und weiß, was auf die Kalgasher zukommt, wenn es dunkel wird und seltsame Dinge namens "Sterne" am Himmel erscheinen. Auch Dr. Sheerin kann seinen Wissenschaftskollegen detailliert erklären, was in der Psyche der Bewohner des Planeten vor sich gehen wird, wenn die Dunkelheit hereinbricht. Wahrhaft apokalyptische Zustände werden erwartet, weswegen die Wissenschafter ihre Mitmenschen zu warnen versuchen, doch ein ehemals mit ihnen befreundeter Journalist fällt den Forschern in den Rücken.
Folglich überrascht die "Nacht" alle Bewohner des Planeten, mit Ausnahme der Wissenschafter und der Kultanhänger.
Danach muss es einen neuen, ganz anderen Tag geben, an dem die Kalgasher erkennen, dass ihre Welt und ihre sechs Sonnen bei weitem nicht das ganze Universum ausmachen und sie die verschiedenen kosmologischen Perspektivenverschiebungen, für welche die irdische Menschheit einige Jahrhunderte Zeit hatte, in einigen Stunden durchleben mussten, was nicht jeder Geist verkraften konnte.
Nun bewegen sich die Wissenschafter durch eine ganz neue Welt, in der die ihnen bekannten Regeln nicht mehr gelten und sie erkennen, dass es notwendig ist, sozusagen einen Schritt zurück zu machen, damit es wieder voran gehen kann.

In klassischer Manier wird hier von einem großen soziologischen Kritiker und Visionär, Asimov, und einem Meister der Charakterzeichnung und Figurenverknüpfung im Bereich der SF-Literatur, Silverberg, eine Gesellschaft gezeigt, die auf einem fiktiven Planeten vor einem Umbruch steht, der die besten und schlechtesten Seiten von Menschen ans Tageslicht (oder eher: in die Finsternis ...) bringt. Es gelingt, wissenschaftliche Prognosen mit menschlichen Fragen zu verbinden. Sicherlich ist ebendies die Aufgabe guter SF, wenn sie nicht nur utopische Literatur darstellen will.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2004)


Isaac Asimov, Robert Silverberg: "Einbruch der Nacht"
(Originaltitel "Nightfall")
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Isaac Asimov wurde am 2. Jänner 1920 im russischen Petrowsk geboren. Seine Familie wanderte 1923 in die USA aus. Er studierte Chemie und promovierte 1948 an der Columbia-Universität in New York zum Dr. phil., danach studierte er Medizin. Asimov arbeitete als Chemiker und schrieb Ende der 1930er Jahre erste Science-Fiction-Erzählungen. Ab 1958 widmete er sich ausschließlich dem Schreiben. Isaac Asimov starb am 6. April 1992 in New York.
Robert Silverberg wurde 1935 in New York geboren und zählt zu den bekanntesten Science-Fiction-Autoren.

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1. Ein Robot darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen.
2. Ein Robot muss den Befehlen eines Menschen gehorchen, es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zum Ersten Gesetz.
3. Ein Robot muss seine eigene Existenz schützen, solange dieser Schutz nicht dem Ersten oder Zweiten Gesetz widerspricht. (Lübbe) zur Rezension ...
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