Georges Anglade: "Und wenn Haiti den USA den Krieg erklärt?"


Georges Anglade kennt Haiti gut. Nicht nur, weil er selbst gebürtiger Haitianer ist, sondern auch, weil er in Haiti einst Minister (unter Aristide) und im Gefängnis (unter Duvalier) war. Anglade kennt die verschiedenen Seiten des Landes, das als eines der ärmsten der Welt gilt.

Und so ist "Und wenn Haiti den USA den Krieg erklärt?", 2007 beim Nischenverlag litradukt erschienen, ein ausgesprochen politisches Buch. Von Armut gebeutelt, ohne ausreichende Infrastruktur und ein gutes Bildungssystem, überlegen einige Haitianer, wie man die Situation des Landes verbessern könne. Es ist der zehnte Tag des Irakkrieges 2003, als die offenbar perfekte Lösung erdacht wird: ein Krieg.

"Und dann war da die andere Gruppe vor denselben Bildschirmen, die nur Augen und Ohren für die ausgewogenen Ernährungsrationen des WFP, des Welternährungsprogrammes, und für die arbeitsplatzträchtigen Wiederaufbauverträge hatte: endlich Arbeit für alle nach einem Leben in Arbeitslosigkeit. Ganz zu schweigen von den ressourcenstrotzenden humanitären Organisationen, die eine Lawine von Schul- und Krankenhausbauten niedergehen lassen würden, der EU mit ihrem dicken Portemonnaie, die das gelockerte soziale Gefüge wieder festzurren, und dem Nichtregierungssektor, der, mit Mitteln reichlich ausgestattet, alles Unverträgliche unter einen Hut und alles ziellos Herumschweifende auf Kurs bringen würde. Was für eine Goldgrube! Und für all das brauchte man nur einen kleinen Krieg gegen reiche Bekehrungswütige wie die Amerikaner zu verlieren (...)"

Doch ein solcher Krieg will sorgsam geplant sein, und eben damit beschäftigen sich die einzelnen Episoden der durchaus als brisant zu bezeichnenden Politsatire aus der Feder Anglades.

Für den 94-seitigen Roman nutzte der Autor die literarische Form der "lodyans", einer typisch haitianischen Erzählweise, die in anderen Regionen eher bis gänzlich unbekannt ist. Es handelt sich um aus der mündlichen Erzähltradition entstandene abgeschlossene, kurze Erzählungen, meist humoristisch-satirisch. Mehrere dieser Erzählungen können zusammen jedoch auch ein romanähnliches Werk ergeben - so wie bei dem vorliegenden Titel, der sich aus fünfzehn solcher Episoden oder Kapitel zusammensetzt.

"Und wenn Haiti den USA den Krieg erklärt?" ist nicht allein wegen seines satirischen Inhaltes eine Freude zu lesen, sondern gerade auch, weil Anglade es in seinem Rahmen versteht, dem Leser Haiti ein Stück weit näher zu bringen. Es gibt einiges über dieses Land zu lernen, wie man bei der Lektüre feststellt, und nicht unwahrscheinlich ist, dass dieses Buch dazu anregt, sich auch nach dem Lektüreende genauer mit Haiti zu beschäftigen.

Der litradukt-Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, in erster Linie karibische und afrikanische Literatur auf dem deutschsprachigen Markt zu etablieren. Angesichts der bisherigen Titelauswahl ist anzunehmen, dass dieses Unterfangen auch gelingen könnte. Die Verarbeitung und Aufbereitung des Romans ist stabil und solide, das Titelbild von Dave Ian Landry nach einer Idee Anglades wirkt avantgardistisch und schlichtweg interessant. Einzig gewöhnungsbedürftig bei der Aufmachung der litradukt-Titel ist das geschwungene Druckbild des "t", an das sich der Leser aber rasch zu gewöhnen vermag.

"Und wenn Haiti den USA den Krieg erklärt?" ist ein sehr unterhaltsames, kurzweiliges, zugleich jedoch auch ernstes, informatives und anspruchsvolles Buch, für das eine unbedingte Leseempfehlung ausgesprochen werden kann. Die Übersetzung haitianischer Begriffe wurde gut ins Deutsche transportiert, und im Zweifelsfall wurden Begriffe im Original belassen, die dem informativen, aber überschaubaren und den Lesefluss somit nicht hemmenden Glossar am Ende des Buches entnommen werden können.

(Tanja Thome; 12/2007)


Georges Anglade: "Und wenn Haiti den USA den Krieg erklärt?"
Übersetzt von Peter Trier.
litradukt literatureditionen Peter Trier, 2007. 94 Seiten.
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Georges Anglade wurde am 18. Juli 1944 in Port-au-Prince geboren und kam ebendort so wie auch seine Frau bei dem großen Erdbeben vom 12. Jänner 2010 ums Leben.

Noch ein Buchtipp:

Hans Christoph Buch: "Haiti. Nachruf auf einen gescheiterten Staat"

Schon lange vor dem verheerenden Erdbeben war Haiti zusammengebrochen, ein Staat nur noch auf dem Papier. Hans Christoph Buch beleuchtet aber auch die vergessene Erfolgsgeschichte der ehemals reichsten französischen Kolonie, wo die Sklaven erfolgreich den Aufstand probten.
Das Erdbeben vom 12. Jänner 2010 hat allein in Port-au-Prince mehr Menschen getötet als die Tsunami-Katastrophe in Südasien im Jahr 2006, und es hat Haitis Hauptstadt buchstäblich am Boden zerstört. Aber auch die staatliche Infrastruktur liegt in Trümmern: Als eigenverantwortlich handelndes Völkerrechtssubjekt hat Haiti schon vor dem Erdbeben zu existieren aufgehört und steht heute faktisch unter der Vormundschaft der UN.
Dabei begann alles mit einer Erfolgsgeschichte, die ebenso spektakulär wie einzigartig war: Die Selbstbefreiung der Sklaven in Frankreichs reichster Kolonie Saint Domingue, ein gelungener "Spartakus"-Aufstand, der im Januar 1804 zur Gründung der Republik Haiti führte. Auf der Grundlage zahlreicher Primärquellen erweckt Hans Christoph Buch General Toussaint Louverture, den Wegbereiter der haitianischen Unabhängigkeit, zu neuem Leben, der Napoleon schon lange vor 1815 ein Waterloo zufügte.
Und er geht der Frage nach, warum auf den heroischen Akt der Staatsgründung eine zweihundert Jahre dauernde Agonie folgte. (Verlag Klaus Wagenbach)
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