Isabel Allende: "Fortunas Tochter"


Man schreibt das Jahr 1832. In einer durch den Handel emporstrebenden chilenischen Hafenstadt wird vor der Tür des englischen Kaufmanns Jeremy Sommers ein weiblicher Säugling, in einen Seifenkarton gelegt und nur notdürftig mit einer Seemannsweste bedeckt, vorgefunden. Auf das entschiedene Drängen seiner unverheirateten und ledig zu bleiben gedenkenden Schwester Rose hin nimmt Jeremy den Säugling in seinen Haushalt auf, beinah an Kindesstatt, allerdings ohne ihn zu adoptieren.

Wir begleiten Eliza, so wird das kleine Mädchen genannt, zunächst durch ihre Kindheit, wo sie neben der britisch-europäischen Erziehung ihrer Tante Rose auch altindianischen Einflüssen in Gestalt einer alten Dienerin ausgesetzt ist, und verweilen länger bei den Kapiteln, da sie eben 17 Jahre alt und eine hübsche junge Frau geworden ist, und damit auch die Zeit gekommen, da der Wille zur Eigenständigkeit mit jäher Gewalt und großer Sehnsucht an die Oberfläche dringt. Vor allem ist es die Zeit der ersten Liebe, und da diese sich bei leidenschaftlichen Naturen wie der Elizas selten an gesellschaftliche oder sonstige Konventionen hält, fällt ihre Wahl auf Joaquin, einen jungen, so stolzen wie armen Chilenen, einen der vielen Angestellten ihres Onkels. Dieser erwidert die Liebe, und es entspannt sich in der Folge eine wilde und leidenschaftliche Affäre. Diese bleibt schließlich auch der aufmerksamen Tante Rose nicht verborgen, doch vermag sie es nicht über sich zu bringen einzugreifen, hat sie doch schließlich selber in ihrer frühen Jugend eine ähnliche Affäre durchgemacht. Und als sie ihre Wahlnichte schließlich doch einmal zu einer alten indianischen Wunderheilerin schleppt, bekommt sie von der zu hören, dass die größte Besessenheit die der Liebe ist, und dass das Ausmaß im konkreten Fall ihre ansonsten keineswegs geringen Kräfte übersteigt.

Die plötzliche und unvermeidliche Änderung der Geschehnisse wird durch eine andere große Besessenheit ausgelöst, laut der alten India die zweitgrößte nach der Liebe, dafür aber kollektiv ausbrechend: in Kalifornien wird Gold entdeckt und lockt in kurzer Zeit Abenteuer aus dem ganzen amerikanischen Kontinent und von weiter her in das gerade erst Teil der Vereinigten Staaten gewordene Kalifornien. Auch Elizas Geliebter Joaquin ist bei den Ersten, die Chile verlassen, in der Hoffnung, bald als reicher Mann zurückzukehren und dergestalt der Hand der Engländerin aus gutem und wohlhabendem Haus würdig zu werden. Eliza ist gegen dieses Abenteuer, vermag ihn aber nicht zu halten. Als aber kurz darauf von ihrer Familie beschlossen wird, die auf Abwege geratene Ziehtochter durch eine Reise nach England zur Raison zu bringen, nimmt Eliza das Schicksal in ihre eigenen Hände. Als schwarzer Passagier lässt sie sich von einem chinesischen Koch, Tao Chi'en, auf ein Goldgräberschiff schleusen, um ihrem Geliebten in Gegenden zu folgen, wo auf fünfzig Männer eine Frau und auf fünfzig Frauen vierzig Prostituierte kommen. Und wäre der chinesische Koch nicht früher einmal Arzt gewesen, hätte sie schon die Schiffsreise nicht überlebt ...

Allende erzählt die Haupt- und Nebengeschichten breit und ausführlich, mit großem Einfühlungsvermögen für ihre Figuren und - besonders für ihre Heldin - mit großer Sympathie. Man kann das Buch als Entwicklungsroman oder/und als Roman über die verschiedensten Nuancen der Liebe lesen; und sollte man das Pech haben Analfabet zu sein, darf man berechtigterweise auf eine Verfilmung hoffen.

(fritz)


Isabel Allende: "Fortunas Tochter"
Aus dem Spanischen von Lieselotte Kolanoske.
Suhrkamp. ca. 483 Seiten.
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