Bernhard Dietrich Haage: "Alchemie im Mittelalter"
Ideen und Bilder - von Zosimos bis Paracelsus
Solve et coagula!
Die 
hochinteressante Geschichte einer verdrängten Disziplin, die einst als Schwester 
der Chemie, Pharmazie und Medizin galt.
Der Traum, dem Menschen weniger 
  wertvolle Stoffe in Gold,
Silber 
  und andere Edelmetalle verwandeln zu können ist zwar nicht so alt wie jener 
  vom Fliegen, hat den menschlichen Geist freilich nichtsdestoweniger beflügelt. 
  Transmutation, Tingieren - gängige Vokabel aus der geheimnisvollen Sprache der 
  Alchemisten, um das opus magnum, dem der Hauch der 
Magie 
  anhaftet, zu bewerkstelligen. 
  Doch 
nicht nur die Gier nach Gold veranlasste Gelehrte vieler Jahrhunderte, in die 
Geheimnisse der Natur vorzudringen, stets mehr oder minder ernsthaft bemüht herauszufinden, 
was die Welt im Innersten zusammenhält. Zumindest ebenso motivierend war die Suche 
nach der Panacea, dem Allheilmittel, dem Lapis philosophorum, der - wie 
Sauerteig 
- unedle Stoffe zur reinen Materie emporläutern sollte. Das nach menschlichem 
Ermessen Unedle, Kranke sollte "geheilt" werden. Auch der alchemistische Ansatz, 
nutzbringende Substanzen aus pflanzlichen oder tierischen Ausgangsmaterialien 
für den Bereich der Humanmedizin herzustellen (Iatrochemie), ist keinesfalls zu 
unterschätzen. Dieser Zweig der Alchemie erlangte zuerst in der alten arabischen 
Tradition Bedeutung, lange bevor sich die paracelsische Chemiatrie seiner annahm.
Weniger ehrenvoll waren Fälschungsabsichten 
  wie diese: Keinesfalls zum gewünschten Ergebnis, Bergkristall 
  in den Halbedelstein Beryll zu "verwandeln", führt folgendes "Rezept" aus dem 
  Alten Ägypten:
  Mache 
eine Lösung aus der Galle einer Schildkröte mit Milch einer trächtigen Kuh, Kupfer 
und scharfem Essig. Und in dieser Lösung wird aus dem Stein Beryll werden, ohne 
dass die Sachverständigen dahinterkommen können.
Ausgehend 
von den ersten nachgewiesenen Zeugnissen der seit dem 12. Jahrhundert in Europa 
so bezeichneten "Alchemie", deren Ursprünge in das dritte Jahrhundert vor Beginn 
der westlichen Zeitrechnung auf Bolos von Mendes zurückdatieren, breitet Bernhard 
Dietrich Haage die fundierten Ergebnisse seines engagierten Stöberns vor uns aus 
und erläutert die Begriffe, Werkzeuge und Bestrebungen der Alchemisten. Als erster 
biografisch nachweisbarer Alchemist wird Zosimos von Panopolis, der im vierten 
nachchristlichen Jahrhundert lebte, angeführt. Deutschsprachige alchemische Texte 
sind - nach aktuellem Stand der Forschung - ab dem 14. Jahrhundert nachweisbar. 
Unversehens befindet man sich inmitten des einstigen Weltbildes, umgeben von 
den Theorien großer Denker und deren zahlreichen Erklärungsmodellen zum Wesen 
der Substanzen, die sie in Geister, Körper, Steine und Salze einteilten. So galt 
beispielsweise das "philosophische Quecksilber" als Ursprung aller Metalle, als 
"reiner Geist". In der Quecksilber-Schwefel-Theorie bestimmte das charakteristische 
Mischungsverhältnis von Schwefel und Quecksilber typische Eigenschaften aller 
Stoffe. Später wurden die Reine Quecksilbertheorie und die Korpuskulartheorie 
entworfen. Im 16. Jahrhundert erscheint bei Paracelsus die Trias der Prinzipien 
von Sal-Sulphur-Mercurius (analog der Dreiteilung des Menschen in Leib, Geist 
und unsterbliche Seele).
Da 
man im Europa des 12. Jahrhunderts was die Alchemie (zu jener Zeit als "ars nova" 
ein Begriff) betraf auf keinerlei eigene (lateinische) Terminologie zurückgreifen 
konnte, wurden arabische Begriffe in angepasster Schreibweise übernommen; darunter 
al-kimiya (Alchemie) und al-iksir (Elixier). Allerdings konnte sehr wohl auf inhaltlich 
verwandte Überlieferungen (u.a. die Elementenlehre der griechischen Naturphilosophen) 
aufgebaut werden, wie auch die verbreitete animistische Grundauffassung Ansätze 
und Experimente beeinflusste. So wurde das Mischen oftmals als Zeugungsakt dargestellt 
und beschrieben, wie überhaupt die Sexualisierung 
der beobachtbaren Abläufe eine 
bedeutende Rolle in der alchemistischen Bilderwelt einzunehmen schien.
Der 
Autor spürt Motive und Symbole aus den Werken der Alchemisten in der Literatur 
seit der Antike auf, u.a. bei Wolfram von Eschenbach, wo beispielsweise das Ouroboros-Symbol 
zwar nicht explizit Erwähnung findet, aber doch thematisiert wird. Der Ouroboros 
ist das Symbol des Gottes Agathodaimon, die Schlange oder auch der Drache, der 
den eigenen Schwanz verschlingt; Zeichen der Ewigkeit, 
ewiger 
Erneuerung mit der Aussage "eins ist das All" - daher müsse alles in 
alles verwandelbar sein!
Da sich das eigentliche Ziel, die Goldherstellung, 
nicht und nicht verwirklichen lassen wollte, trat eine gewisse Ernüchterung ein, 
und andere Vorgaben gewannen an Bedeutung. Wie der Autor schlicht anmerkt: "Diese 
Erfahrung eines über endlose Läuterungen angestrebten Ziels, das sich dann objektiv 
immer weiter entfernt, nur subjektiv wahrgenommen werden kann, was zum Reden in 
Bildern, ja Paradoxien führt, hat die Alchemie mit der 
Mystik gemein."
Seriös 
und anregend zugleich werden Kenntnisse aus der "Bibel der Alchemisten" namens 
"Tabula smaragdina", Einblicke in theoretische, praktische, esoterische und exoterische 
Alchemie vermittelt. Man erfährt woher sich die Bezeichnung "hermetischer Verschluss" 
ableitet, was die "Summa perfectionis" des Geber latinus beinhaltet und dergleichen 
mehr, sodass man guten Gewissens von einer gehaltvollen, das individuelle Allgemeinwissen 
bereichernden Wirkung der Lektüre ausgehen kann. Der Autor hat die elementaren 
Qualitäten guter Sachbücher ins optimale Gleichgewicht gebracht - in bester alchemistischer 
Tradition, wonach sich die elementaren Qualitäten im Gold im Gleichgewicht befinden 
...
Bernhard Dietrich 
Haage hat seinen beeindruckenden, anspruchsvollen Exkurs in folgende Kapitel gegliedert: 
Mittelalterliche Alchemie im Überblick; Die Anfänge abendländischer Alchemie im 
hellenistischen System; Alexandrinische und byzantinische Alchemie; Arabische 
Alchemie; Alchemie im europäischen Mittelalter. Beigefügt wurden zahlreiche Abbildungen, 
ein umfangreicher Teil mit Anmerkungen, (bedingt durch die beachtliche Anzahl 
an Fußnoten), Angaben hinsichtlich der verwendeten Quellenliteratur und Nachschlagewerke, 
ein praktisches Sach- und ein nicht minder nützliches Namenregister.
Der Autor behandelt das besondere Thema auf angemessen hohem Niveau - wobei anzumerken ist, 
dass es deshalb durchaus hilfreich sein kann, kein Feind der Atome an sich sowie 
des Griechischen oder doch zumindest des Lateinischen einigermaßen kundig zu sein, 
um die besonderen Feinheiten der gebotenen Ideen, Bilder und Zitate tatsächlich 
genießen zu können.
(Anja; 02/2002)
Bernhard Dietrich Haage: "Alchemie im Mittelalter. Ideen und Bilder - von Zosimos bis 
Paracelsus"
Artemis & Winkler; 2000. 285 Seiten.
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