Luca D'Andrea: "Das Böse, es bleibt"
Spannend,
doch nicht ganz überzeugend
Luca D'Andrea hat die deutschsprachige Krimiszene vor ein paar Jahren
mit seinem Erstling "Der Tod so kalt" mit viel Bravour betreten. Die
Südtiroler Bergwelt, wunderschön paradiesisch,
erweist sich bei ihm als perfekter Schauplatz für gruselige,
spannende Romane. Sie bietet ihm genügend
Möglichkeiten, skurrile, knorrige, einsilbige und kaltherzige
Figuren zu zeichnen, die sich überraschend gut in dieser Welt
lesen und überzeugen. In "Das Böse, es bleibt"
erkennt der Leser des früheren Romans aber auch, dass D'Andrea
abermals nach denselben Prinzipien vorgeht, dass er sich einer sehr
ähnlichen Machart bedient, um Spannung zu erzeugen. Was etwas
überraschend ist, vor allem, weil es zwischen den beiden
Romanen keine sonstigen Gemeinsamkeiten gibt. Beide sind sogenannte
Alleinsteher, also keine Teile einer Serie. Die Handlung ist irgendwo
in den 1970er-Jahren angesiedelt, was, wie man im Handlungsverlauf
erfährt, damit zu tun hat, dass Robert eine unschöne
NS-Vergangenheit hat und noch im vollen Besitz seiner Kräfte
ist.
"Das Böse, es bleibt" beginnt damit, dass Marlene den Tresor
ihres weitaus älteren Mannes plündert. Sie entwendet
Geld und einen Samtbeutel voller blauer Saphire. Zusätzlich
stiehlt sie ein altes Notizbuch, eine Kladde, in der in Roberts
winziger Handschrift die Namen aller seiner Schuldner, Freunde und
Geschäftspartner vermerkt ist. Noch weiß der Leser
nicht, wieso Marlene das tut. Er spürt nur, dass
große Angst vorherrscht. Mit Robert, der überall
seine Handlanger zu haben und ein wahrlich gefährlicher Mensch
zu sein scheint, ist offensichtlich nicht zu spaßen. Marlene
flieht in ihrem "Fiat" über enge und gefährliche
Bergstraßen. Unterwegs entledigt sie sich ihres Eherings und
tauscht den "Fiat" gegen einen "Mercedes" ein. Sie gerät in
einen heftigen Schneesturm, kommt von der Bergstraße ab und
stürzt in einen Abgrund. D'Andrea lässt sie noch den
Namen "Klaus" hauchen, bevor sie ohnmächtig wird.
Robert, der bestohlene Ehemann, ist interessanterweise ein einerseits
klischeehafter Bösewicht, andererseits aber gerade in seiner
Klischeehaftigkeit überzeugend. Er hasst menschliche
Nähe sowie jegliche Art von Humor und ist der Kopf einer
gefährlichen Erpresserbande, die buchstäblich
über Leichen geht.
D'Andrea ist sehr gut im Erschaffen von unheilschwangeren,
düsteren Szenen, welche die Stimmung gekonnt in die von ihm
gewünschten Bahnen lenken. Fast zu gut sogar, denn dadurch
untergräbt er immer wieder den Erzählfluss und
kreiert fast artifiziell anmutende Bilder.
Sehr früh im Buch deutet D'Andrea eine märchenhafte
Zweitwelt an, da ist von Hexen, Kobolden und sonstigen
Märchenelementen die Rede. Nach anfänglicher
Irritation merkt man bald, wie klug D'Andrea dieses Element einbettet
und alle Stränge damit verwebt.
Mithilfe von Rückblenden beleuchtet der italienische Autor
Roberts Vergangenheit, zeigt auf, wie er als vaterloses Kind aus
bitterer Armut bei einem SS-Mann das Handwerk des Schreckens lernt.
Bald bekommt er den Spitznamen "Kobold" verpasst. Kurz vor Kriegsende
wechselt er die Seiten und unterstützt die Alliierten und
Partisanen, brilliert mit Fachkompetenz und perfekter Beherrschung von
diversen Nahkampfarten. Auch die erlernten Verhör- und
Foltermethoden kommen ihm zugute. Natürlich geht es ihm in
erster Linie um sich selbst, und so baut er sich sukzessive sein
mafiöses Imperium in Südtirol auf.
Marlene erwacht nach ihrem Absturz auf einem Bergbauernhof. Simon, der
Marlene hilfsbereit und sympathisch gesund pflegt und vorerst die Rolle
des "Guten" zu verkörpern scheint, zeigt jedoch rasch andere
Seiten. Sein sich verdichtender Wahn weist zwar gute Ansätze
auf, ist aber letztendlich nicht ideal durchdacht. Das wirkt nicht
überzeugend. Dazu gibt es Schweine, viele Schweine.
Über die Rolle dieser Tiere möchte der Rezensent
nicht mehr verraten, weil sonst bereits zu viel davon enthüllt
würde, was im allerersten Kurzkapitel angedeutet wird.
Zudem gibt es noch einen skrupellosen Auftragsmörder, der
Marlene beseitigen soll ...
"Das Böse, das bleibt" ist ein guter Spannungsroman. Das steht
außer Frage. Allerdings einer, der nicht durchgehend
überzeugt, was in erster Linie an der immer wieder zu
stilisierten Prosa, die eben auch keine hochliterarische Prosa ist,
liegt. Statt mit dem Voranpeitschen der Handlung zu punkten, versucht
sich Luca D'Andrea zu oft an artifiziell anmutenden Tableaus, die so
zwischen den Stühlen hängen bleiben. Für
einen feinen, psychologischen Spannungsroman fehlt wieder die
psychologische Tiefenschärfe, welche die Figuren von der
Oberfläche stoßen könnte.
Zusammengefasst: Für pure Spannung zu langsam und stilisiert,
für Tiefgehendes zu oberflächlich. Eine Tatsache, die
höchstwahrscheinlich nicht an der durchgehend sehr gut
lesbaren Übersetzung liegen sollte.
Nichtsdestotrotz ein Kriminalroman, der auf 424 Seiten gut
unterhält, jedoch nicht auf ganzer Linie überzeugt.
(Roland Freisitzer; 05/2018)
Luca
D'Andrea: "Das Böse, es bleibt"
(Originaltitel "Lissy")
Aus dem Italienischen von Susanne Van Volxem und Olaf Roth.
DVA, 2018. 424 Seiten.
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Luca
D'Andrea wurde 1979 in Bozen geboren, wo er heute noch lebt. Er stieg
mit seinem ersten Krimi sofort in die Riege der internationalen
Topautoren auf. "Der Tod so kalt" erschien in rund 40 Ländern
und wurde ein weltweiter Verkaufserfolg:
"Der Tod so kalt"
Drei grausame Morde. Ein schweigendes Dorf. Ein Fremder, besessen von
der Wahrheit.
Südtirol,
1985. Tagelang wütet ein gewaltiges
Gewitter über der Bletterbach-Schlucht. Drei junge
Einheimische aus dem nahegelegenen Siebenhoch kehren von einer
Wanderung
nicht zurück - schließlich findet ein
Suchtrupp ihre Leichen, aufs Brutalste entstellt. Den Täter
vermutet man im Bekanntenkreis, doch das Dorf hüllt sich in
eisiges Schweigen.
Dreißig Jahre später beginnt ein Fremder unangenehme
Fragen zu stellen. Jeder warnt ihn vor den Konsequenzen, allen voran
sein Schwiegervater, der die Toten damals gefunden hat. Doch Jeremiah
Salinger, der seiner Frau in ihr Heimatdorf gefolgt ist, lässt
nicht locker - und wird schon bald seine Neugier bereuen. Ein Fluch
scheint alle zu verfolgen, die sich mit den Morden
beschäftigen. Ist dort unten am Bletterbach etwas Furchtbares
wieder erwacht? Etwas, so uralt wie die Erde selbst ... (DVA)
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